Oper im Erlebnispark

Von Bernhard Doppler |
Zum Rossini-Festival hat man auch noch die letzte noch unbekannte Oper des Komponisten ausgegraben. Passend zum Eindruck des Festes lässt man sie in einem Erlebnispark spielen. Ein Meisterwerk findet der Zuschauer doch noch und zwar da, wo er es nicht für möglich gehalten hatte: Die Aufführung von "Mathilde di Shabran" in Pesaros Sportarena.
"Rossini-Land": ein touristischer Erlebnispark mit Souvenirläden, kostümierten Bühnenfiguren und sonstigen Vergnügungsangeboten. Soweit ist es mit der Rossini-Pflege in Rossinis Geburtsstadt Pesaro gekommen, nachdem man in 33 Jahren auch die letzte seiner unbekannten Opern beim Rossini-Festival ausgegraben hat!

Es mag ein selbstkritischer Gedanke sein, der das Florentiner Theaterkollektiv "Teatgro Sotterraneo" veranlasste, Rossinis Farsa "Il Signor Bruschino" in einem Rossini-Erlebnispark spielen zu lassen. Doch in erster Linie macht es leider deutlich, wie wenig ernst man Rossinis rührend burleske Stücke nimmt. Das Theaterkollektiv hat als Statisten ein ganzes Heer von Touristen aufgeboten, die durch den Park schlendernd, einem vom Rossini-Land-Personal aufgeführten Rossini-Stück beiwohnen.

Was die auch immer in Pesaro musikwissenschaftlich fundierte Entdeckerfreude auszeichnete, das Kennenlernen einer von der späteren Opernpraxis fast verdrängten Form, mit der Rossini seine Karriere begann: der "Farsa", der Opernfarce, ist so nicht möglich, zumal die Erlebnisparkwelt an eine sich anbiedernde Vorstellung des Kinder- und Jugendtheaters denken lässt. Wenn dazu noch kommt, dass auch musikalisch die Neuerungen Rossinis - er sprach etwa bei der Ouvertüre von "Zukunftsmusik" - beim Orchestra Sinfonia G. Rossini unter Daniele Rustioni nicht deutlich werden und auch diesmal ein weiteres Kennzeichen des Festivals, die Entdeckung junger Belcanto-Sänger kaum funktioniert (bei Maria Aleida und David Alegret durfte man nicht an Eva Mei und Juan Diego Florez denken, die 15 Jahre zuvor das Liebepaar gesungen hatte), dann ist der Abstieg Rossinis zum Touristensouvenir trotz aller lustigen Einfälle ärgerlich.

Musikalisch auf weit höherem Niveau freilich die Eröffnungspremiere: "Ciro di Babilonia". Auch dieses Jugendwerk ist musikhistorisch interessant. Wegen der Fastenzeit komponierte der junge Rossini einen Stoff aus dem Alten Testament, Belsazars Ende, kombiniert mit Szenen aus dem Leben des Perserkönigs Kyros, und das wieder mit einer verwickelten Liebesgeschichte verbunden. Rossini hat dabei das Werk wie einen Steinbruch behandelt, Nummern aus anderen Opern verwendet und es selbst, wie die Herausgeber der kritischen Ausgabe meinen, "maltratatta", malträtiert. Doch "Ciro di Babilonia" enthält einprägsame Musik, langsam sich entwickelte große Arien oder eine Szene im Kerker, die ein wenig an Beethovens Fidelio denken lässt.

Ewa Podlés als Ciro, aber auch Michael Spyres als Belsazar und Jessica Pratt als Amira beeindrucken. Doch leider nimmt auch hier die Inszenierung von Davide Livermoore das Werk nicht ernst und veralbert es. Ausgangspunkt ist wohl der Oscar-belohnte Stummfilm "The Artist"; denn Livermoore inszeniert Rossinis "Drama con cori" als Stummfilm, wobei nicht ganz auszumachen ist, ob die Zuschauer einen Stummfilm sehen, beim Drehen oder bei der Vorführung eines Stummfilms dabei sind. Die Musik wird jedenfalls in pathetische Gesten, sei es vom anteilnehmenden 20er-Jahre-Kinopublikum auf der Bühne, sei es von den Akteuren übersetzt, wobei dies zwar alten Geschichtsbildern über das Perserreich entgegenkommt, aber wenig Rossinis Musik.

Doch es gibt ein Rossini-Wunder! Dort wo man es gar nicht erwartet hätte, in der hässlichen modernen Sportarena, die im August in Pesaro als Festspielhaus dient; eine Neuadaption einer Inszenierung von "Mathilde di Shabran" aus dem Jahre 2004: Es ist ein halb-ernst, halb-komisches Meisterwerk Rossinis über einen Menschen- und Frauenfeind, der sich in einer Burg verschanzt: Ritter Corradino. Ein Arzt und ein Dichter, den es an diese Burg verschlägt, kommentieren das Geschehen, denn Corradino wird schließlich ja doch von seinem Hass geheilt.

Michele Mariotti weiß meisterhaft mit dem Orchestra del Teatro Comunale di Bologna die Rafinessen, die reflektierende Modernität von Rossinis Musik herauszuarbeiten - und er hat ein Sängerensemble zu Verfügung, das nirgendwo Wünsche offenlässt, Olga Peretyatko mit einer unendlich langen bravourösen Schlussarie in der Titelrolle, Paolo Bordogna als Dichter, Anna Goryachova als von Corradino gefangen gehaltener Edoardo und natürlich Juan Diego Florez - zur Zeit vermutlich der beste Rossini-Tenor als Menschenfeind, wobei er durchaus auch als Komiker beeindruckt. Denn auch die Inszenierung von Mario Martone -auf zwei sich verschlingenden riesigen Wendeltreppen spielend - setzt Note für Note sehr genau und mit viel Witz die Bekehrung des Menschenfeinds um. Pesaro funktioniert doch noch!
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