Oper Frankfurt

Der Böse ist immer und überall

Frankfurter Oper
Frankfurter Oper © dpa / picture alliance / Daniel Reinhardt
Von Jörn Florian Fuchs · 04.07.2015
Die absurde Avantgarde lässt an der Oper Frankfurt aufhorchen − mit drei selten gespielten Einaktern von Bohuslav Martinu. Der Abend zwischen Humta-Dada und Tragödie gelingt auch dank der exzellenten Sänger.
Draußen herrschen Wüstentemperaturen und im Bockenheimer Depot brummt auch nur eine mäßig kühlende Klimaanlage vor sich hin. Früher wurden dort Straßenbahnen gewartet, jetzt nutzt die Frankfurter Oper den Ort für all jene Produktionen, die nach einer eher intimen Aufführungsstätte verlangen. Man sitzt und schwitzt auf einer Tribüne, davor schwitzen und witzeln sich erst drei, dann fünf, schlussendlich acht Sänger durch die Einakter des gebürtigen Tschechen und Wahl-Parisers Bohuslav Martinů.
Los geht es mit "Messertränen", einer verschrobenen Posse um die junge Eleonore, welche in Liebesdingen zwischen dem "sprachlos Erhängten" und einem sehr lebendig singenden Satan schwankt. Eleonores Mutter mag eher den Urbösen, doch des Kindes Herz hängt zunächst am Verblichenen. Der wird gegen Ende des Stücks plötzlich lebendig und entpuppt sich stracks als Satan, das beziehungsweise der Böse ist eben immer und überall.
Regisseurin Beate Baron bettet das Geschehen in einen am Boden liegenden roten Theatervorhang, in welchem sich Mutter und Tochter kunstvoll verstricken und aus dem sie sich nur mühsam herauswinden. Die Umgebung ist eher trist, ein Holzzaun steht da, überall gibt es Sand, hoch oben thront eine Art Überwachungsstand. Dort sitzt allerdings kein Soldat oder Jäger oder Spion, sondern ein wundervoller Akkordeonist, der seinem Instrument die hübschesten Melodien entlockt und dem Geschehen vorwiegend den Rücken kehrt.
Stilsicher und pointiert
Martinůs Musik ist schillernd französisch, bedient sich aber auch beim Jazz, sie klingt ein wenig nach Kurt Weill und Dmitri Schostakowitsch, vermengt Operettiges mit leicht angeschrägten Tonfeldern. Ein Stilmix zweifellos, aber dabei so stilsicher und pointiert, dass man gerne und gespannt zuhört.
Nach den "Messertränen" wird es dann richtig dadaistisch. Vom Band kommen Un-Sinnsprüche, Akkordeon und Klavier musizieren fröhlich, aber ziemlich ziellos vor sich hin, zu hören ist außerdem eine Toilettenspülung und manch anderes. Das passt zu Martinůs Welt- und Kunstsicht, auch wenn er wohl kein Hardcore-Dadaist war. Vielmehr ging es ihm stark um existentielle Fragen, wobei er diese, wenn überhaupt, meist ziemlich surrealistisch beantwortet.
Auch das zweite Werk des Abends, "Zweimal Alexander", bietet ein reizvoll verrätseltes Vexierspiel mit einigen bösen Späßen. Alexandre will die Treue seiner Gattin Armande testen und verkleidet sich als sein angeblicher Cousin aus den USA und tatsächlich findet Armande den Neuankömmling superklasse. Als die Maske fällt, bleibt sie bei ihrer Meinung, was naturgemäß zu erheblichen Schwierigkeiten führt...
Die singende Gießkanne
Besonders zu erwähnen sind noch ein Ballett spukhafter Gestalten, die Armande heimsuchen und in Frankfurt als Küchengeräte und Gartenhelfer erscheinen. Wann hat man je eine solch lyrisch singende, klingende Gießkanne oder so einen fein timbrierten Wischmopp gesehen und gehört? Eindrucksvoll ist weiter das ebenfalls singende Portrait, der Hausherr hängt nämlich gleich mehrfach an der Wand und mal hier, mal dort äußert sich der Gemalte lautstark. Ab und an rasen auch noch ein paar Radfahrer halbwegs sinnfrei durch die Szenerie.
Klamauk und Ironie sind indes sowohl für den Komponisten Martinů wie für die Regisseurin Baron nicht das einzig Entscheidende, immer wieder schält sich eine fundamentale Welt- und Seinsskepsis heraus, ein Leiden an dem was ist und wie es ist. Noch deutlicher wird dies im letzten Einakter, der Funkoper "Komödie auf der Brücke". Richtig lustig ist die nicht. Wer sich auf die besagte Brücke verirrt, den lassen Soldaten nicht weiter. So treffen sich merkwürdige Paare und Passanten, alles verwirrt sich immer mehr, bis plötzlich der Krieg in Form von Stroboskopflimmern und akustischen Knalls einbricht.
Ein plattes Finale
Beate Baron zeigt diesen Dreiviertelstünder als sehr statisches Hörtheater, was zum Genre Funkoper passt, aber doch etwas ermüdet. Nur wenig Bewegung herrscht auf der Bühne, am Ende mäht eine Gewehrsalve alles nieder, was noch aufrecht stehen kann. Solch ein plattes Finale hätte Baron uns ersparen können, ansonsten ist die Sache ein sehr gelungenes Plädoyer für einen viel zu wenig bekannten und gespielten Komponisten.
Dies liegt auch am exzellenten Sängerensemble, das mühelos in diverse Rollen schlüpft. Besonders Elizabeth Reiter und Sebastian Geyer beeindrucken – und das mittelgroß besetzte Orchester unter Nikolai Petersen. Immerhin wird Bohuslav Martinůs wichtige Oper "Julietta" derzeit häufiger inszeniert, zuletzt ebenfalls in Frankfurt. Aber auch seine Einakter machen süchtig nach mehr.
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