Oper

Erotisches Abenteuer

Von Uwe Friedrich |
Der designierte Dresdner Intendant Serge Dorny hat die Oper Lyon zum zweitwichtigsten Haus Frankreichs gemacht. Nach viel schwerer Kost bietet er nun die Komödie „Le comte Ory“ von Rossini: ein Festtag für das Musiktheater.
Dieser Graf Ory ist ein unverbesserlicher Schwerenöter. Keine Frau ist vor ihm sicher, schon gar nicht die Gräfin Adèle, deren Gatte gerade im Krieg ist und dem sie selbstverständlich ewige Treue geschworen hat. Weil ihr das doch unerwartet schwer fällt, wittert der Graf eine Chance: Er erscheint als zotteliger Guru verkleidet in er dörflichen Mehrzweckhalle und erteilt Nachhilfeunterricht in Sachen Lebenslust.
Der Regisseur und Ausstatter Laurent Pelly hat die Mittelalterkomödie erfolgreich in die Gegenwart verlegt, denn die Geschichte vom schamlosen Grafen, der sich selbst in haarsträubende Situationen manövriert, aus denen er sich mitunter nur durch Fenstersprünge und andere Fluchten retten kann, funktioniert auch in modernem Dekor.
Nächtliche Verwirrung
Wenn er und seine Kumpanen sich im zweiten Akt als Wandernonnen mit Rucksack und Gesundheitslatschen verkleiden, hat das zwar schon viel visuellen Witz, bereitet aber vor allem eine der frivolsten Szenen der Operngeschichte vor: Die angebliche Nonne bittet aus Angst vor dem Gewitter, zu Adèle ins Bett schlüpfen zu dürfen, wo aber bereits sein Page Isolier auf ein erotisches Abenteuer mit der Dame hofft. Um die nächtliche Verwirrung komplett zu machen, wird Isolier von einer Frau gesungen, und Frauen, die in der Oper Männer darstellen, dürfen bekanntlich mit jedem gerade habhaften Liebesobjekt rummachen, egal welchen Geschlechts.
So kommt es zum flotten Belcanto-Dreier, bei dem zwischenzeitlich niemand mehr weiß, ob er oder sie gerade an einem Mann oder einer Frau fummelt – aber es macht allen Beteiligten hörbar Spaß. Und dem Publikum auch, denn es wird hervorragend gesungen in Lyon.
Verzückungen erster erotischer Erfahrungen
Der Tenor Dmitry Korchak hat keine Höhenangst und verfügt über die nötige Koloraturleichtigkeit, um die Frauen um ihn herum zu verführen, Désirée Rancatore bringt in ihren virtuosen Verzierungen sowohl ihre Sehnsüchte der Gräfin Adèle als auch die Angst vor der eigenen (sexuellen) Courage zum Ausdruck, während Antoinette Dennefeld zwischen jugendlichem Leichtsinn und den Verzückungen erster erotischer Erfahrungen pendelt; auch die kleineren Rollen sind sehr gut besetzt.
Für seine letzte Komödie „Le comte Ory“ überarbeitete Gioacchino Rossini die Musik seiner italienischen Oper „Il viaggio a Reims“ für den französischen Geschmack und komponierte einige lyrische Verbindungsstücke hinzu. Der Dirigent Stefano Rancantore lässt diese Musik aus dem französischen Geist des Drame lyrique spielen, ohne den vorwärtsdrängenden rhythmischen Impuls zu vergessen.
Die komischen Situationen werden musikalisch ebenso punktgenau geliefert wie szenisch auf der Bühne. Das Ergebnis ist ein Festtag für das komische Musiktheater.
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