Oper als Revolutionsauslöser

Es gibt wahrscheinlich kein anderes Werk in der über 400-jährigen Geschichte der Oper, das so unmittelbare politische Auswirkungen hatte wie „Die Stumme von Portici“. Bereits ihre Fabel basiert auf einem historischen Vorgang, dem im Jahre 1647 von einem Fischer namens Tommaso Masaniello angeführten Aufstand der Bevölkerung Neapels gegen die spanischen Besatzer und deren Steuerpolitik.
Bei Auber/Scribe wird die politische Motivation des Aufstands zeitweilig von einer unhistorischen Liebesgeschichte überdeckt: Fenella, die stumme Schwester Masaniellos, wird von Alphonse, dem Sohn des Vizekönigs von Neapel, kurz vor dessen standesgemäßer Heirat mit Elvire verführt und daraufhin vom Vizekönig ohne Alphonses Wissen eingekerkert. Fenella gelingt jedoch die Flucht. Als Masaniello von der Entehrung seiner Schwester erfährt, gibt er das von seinen Anhängern lange ersehnte Zeichen für den Aufstand. Es war vermutlich gerade diese Überlagerung, die das Werk zum Sturmvogel der Juli-Revolution werden ließ. Der Zensur schien das Werk vergleichsweise unverdächtig, während, wie Goethe darlegte, „jeder in die leer gelassene [motivatorische] Stelle das hineintrage, was ihm selber in seinem Land nicht behage“.

Wie sehr Auber und Scribe mit diesem Werk den Nerv ihrer Zeit, das Aufbegehren des „einfachen Volkes“ gegen eine restaurative Gesellschaftsordnung getroffen hatten, wurde anlässlich seiner Brüsseler Erstaufführung in Gegenwart des niederländischen Königs am 25. August 1830 deutlich. Im stummen Fischermädchen Fenella glaubte das belgische Opernpublikum die eigene unterdrückte Nation verkörpert zu sehen. Das Duett Masaniello/Pietro, das im Namen der heiligen Vaterlandsliebe zum Aufstand aufruft und dabei textlich die Marseillaise zitiert, elektrisierte das Opernpublikum so sehr, dass es aus dem Theater stürmte und den Justizpalast besetzte. Diese Aufführung wurde somit zum Ausgangspunkt für die belgische Revolution von 1830, die zur erneuten Unabhängigkeit des Landes von den Niederlanden führte.
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Anhaltisches Theater Dessau
Aufnahme vom 25.5.11

Daniel F. E. Auber
Die Stumme von Portici (La Muette de Portici)
Libretto: Eugène Scribe

Alphonse – Oskar de la Torre, Tenor
Masaniello – Diego Torre, Tenor
Elvire – Angelina Ruzzafante, Sopran
Lorenzo – Angus Wood, Tenor
Selva – Ulf Paulsen, Bass
Borella – Kostadin Arguirov, Bariton
Pietro – Wiard Witholt, Bass
Hofdame – Anne Weinkauf, Mezzosopran
Ein Fischer – Stephen Biener, Bass
Chor des Anhaltischen Theaters Dessau
Anhaltische Philharmonie
Leitung: Antony Hermus


nach dem 3. Akt ca. 20:35 Uhr Pause mit Nachrichten