"Open Border Kongress" in München

Lasst alle rein!

Die Münchner Kammerspiele in der Maximilianstraße.
Die Münchner Kammerspiele in der Maximilianstraße. © imago/ecomedia/robert fishman
Von Michael Watzke · 18.10.2015
Vorträge, Diskussionen, Performances: Die Münchner Kammerspiele haben am Wochenende mit dem "Open Border Kongress" für offene Grenzen geworben. Eine der Aktionen bekam besonders viel Aufmerksamkeit - und löste Proteste der CSU aus.
Der Open-Border-Kongress beginnt mit einer halben Stunde Verspätung. Grund: Gedränge vor dem Eingang der Münchner Kammerspiele. Nur wer ein bezahltes Ticket hat, darf rein, erklärt Mitveranstalter Malte Jelden.
"Deshalb warten wir jetzt noch ein bisschen, bis alle auf legalem Wege ihre Tickets gekauft haben."
Ordnung muss sein. Schließlich bezieht sich "Open Borders" ja nicht auf die Theaterkasse, sondern auf die Außengrenzen der Europäischen Union, erklärt Eröffnungsredner Heribert Prantl von der "Süddeutschen Zeitung".
"Es wäre gut, wenn die bayerische, deutsche, europäische Politik auf den Exodus von heute nicht mit einem Exodus der Menschlichkeit und mit Haft- und Transitzonen antworten würde."
Der Exodus ist kein Bibelspruch mehr, sondern Realität. Weltweit. Deshalb: "Alle Grenzen auf!" ruft Asyl-Aktivistin Napuli Paul Langa aus dem Sudan. Endlich kämen tausende und abertausende Flüchtlinge nach Deutschland.
Da fällt der Applaus im vollbesetzten Kammerspielsaal ein wenig schüchtern aus. Als bekämen die Teilnehmer des Open Border Kongresses Angst vor der eigenen Courage. Nicht so Besucherin Hilde Schmitz. Die sudetendeutsche Heimatvertriebene applaudiert heftig:
"Ich war auch einmal ein Flüchtlingskind. Zwar ein deutsches Flüchtlingskind. Und man hat uns damals aufgenommen. Wir waren zwar natürlich Deutsche. Deswegen mussten wir ja aufgenommen werden. Aber ich finde, das ist kein Argument."
Argument ist für Hilde Schmitz, dass man niemanden ausgrenzen dürfe.
"Ich finde, dass es falsch ist, dass man Grenzen baut. Die ganzen Gelder, die jetzt für Grenzen verwendet werden – da wäre es vernünftiger, man würde die Flüchtlinge gut unterbringen."
Die Flüchtlinge – es ist nicht leicht, beim Open Border Kongress mit Ihnen zu sprechen. Es sind kaum welche da. Vor den Kammerspielen steht Sunni, Asylbewerber aus Eritrea mit zwei Freunden.
"Wir wollen hier Freunde treffen!"
"Habt Ihr denn von dem Open Border Kongress gehört?"
"Doch, wir haben gehört, hier im Theater, aber…"
"Keine Lust, mal anzuschauen?"
"Wir haben nicht so viel Zeit…"
"Ich glaube, allein das Angebot zu machen, reicht manchmal nicht aus, um die Geflohenen zu erreichen, weil sie gar keine Vorstellung davon haben, was sie da erwartet und wie sie da gemeint sein könnten. Momentan muss man immer über Vermittler arbeiten. Man muss die Lehrer aktivieren, die Deutschkurse geben, und die Sozialarbeiter, die die Unterkünfte betreuen."
… sagt Malte Jelden, für den der Open Border Kongress an diesem Wochenende nur Auftakt ist für ein größeres und langfristiges Projekt: Das "Munich Welcome Theatre" an den Kammerspielen München.
Tipps für "Hobby-Schlepper"
"Es geht um eine Öffnung des Theaters für die Themen Flucht, Ankunft und Asyl. Wir wollen in einem Prozess der Beratung und Projekt-Entwicklung gucken: Wie kann sich das Theater dauerhaft den Menschen öffnen, die zurzeit in Deutschland ankommen. Sowohl in seinen Themen, aber auch in den Strukturen und beruflichen Qualifizierungsmöglichkeiten. Da liegen große Chancen darin, sich zivilgesellschaftlich als Betrieb zu organisieren."
Ein Unternehmensberater hätte es nicht schöner formulieren können. Zum Open Border Kongress kamen vor allem Intellektuelle und Kulturschaffende. Viele angelockt von der "Schlepper-und-Schleuser-Tagung". Einer politisch-künstlerischen Diskussions-Veranstaltung, gegen die – zur Freude der Organisatoren – sogar die CSU protestierte. Mitveranstalter Matthias Weinzierl vom Bayerischen Flüchtlingsrat:
"Es gab einen wahnsinnigen Medienhype um die Schlepper- und Schleuser-Tagung. Das zeigt, dass wir da ein Fass aufgemacht und ein Tabu angekratzt haben. Allein in Bayern haben wir 400 Schlepper im Knast sitzen, die sind nicht verurteilt, da ist Brisanz drin, und das wollen wir diskutieren."
Etwa mit augenzwinkernden Info-Angeboten und Tipps für "Hobby-Schlepper", also Menschen wie Du und ich, die aus innerem Antrieb Asylsuchende nach Deutschland schleusen wollen. Einige Aktivisten der AfD nahmen das wörtlich und protestierten lautstark vor den Kammerspielen:
"Es ist einfach geschmacklos, das Schlepper- und Schleuserwesen zu bejubeln. Die Flüchtlinge zahlen tausende Dollar und werden auf einen lebensgefährlichen Weg geschickt!"
"Das war aber auch schon früher so, auch die DDR-Fluchthelfer haben dafür Geld genommen. Flucht ohne Hilfestellung kann nicht gelingen. Menschen, die hierher kommen, brauchen immer jemanden, der ihnen hilft. In der Regel ist es so, dass sie dafür zahlen. Ohne diese Hilfestellung geht es einfach nicht."
Der Open Border Kongress in München gab in erster Linie künstlerische Hilfestellung. Politisches Aktionstheater wie etwa "Identitäten dehnen", die Gesangs- und Tanzperformance eines ivorisch-deutschen Darstellerteams.
"Es geht um die Abschaffung der Lager- und Residenzpflicht! Endlich Schluss mit den Scheiß-Abschiebungen! Wir stellen Zelte auf!"
Die sechs singenden Tänzer stellten den Protestmarsch von 40 Asylbewerbern nach, die 2012 von Würzburg nach Berlin wanderten. Einige der Demonstranten traten nach dem Marsch am Brandenburger Tor in einen Hungerstreik. So etwas könnte in diesem Winter wieder geschehen, wenn sich die Situation der Flüchtlinge in den Aufnahmelagern nicht bessert, deutet Asyl-Aktivistin Napuli Paul Langa an. Sie fordert deshalb von Kanzlerin Merkel, die geplanten Asylrechts-Verschärfungen sofort zurückzunehmen.
"Merkel muss den Mund aufmachen und den Flüchtlingen endlich Freiheit und Würde schenken."
Vor allem solle Merkel die Grenzen weiter öffnen statt sie zu schließen. "Wir schaffen das!" riefen die Kongress-Teilnehmer aus München der Kanzlerin in Berlin zu.
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