Open Air

Wacken und der Mainstream

Die Anwohner Gerda und Karl-Heinz begrüssen in Wacken die anreisenden Heavy-Metal-Fans mit dem "Pommesgabel-Zeichen".
Die Anwohner Gerda und Karl-Heinz begrüssen in Wacken die anreisenden Heavy-Metal-Fans mit dem "Pommesgabel-Zeichen". © picture alliance / dpa / Carsten Rehder
Moderation: Timo Grampes · 31.07.2014
Weshalb Erfolg im Heavy-Metal nicht negativ sanktioniert wird und in Wacken inzwischen sogar Junggesellenabschiede gefeiert werden, erklärt der Musikjournalist Lars Brinkmann.
Timo Grampes: Und jetzt auf, auf zum Open-Air im schleswig-holsteinischen Wacken, das größte Heavy-Metal-Fest der Welt, das startet ja heute zum 25. Mal. Und zwei Fragen und zwei Antworten dazu habe ich schon mal vorab: Was haben das Festival und der Kinderanimationsstreifen "Drachen zähmen leicht gemacht II" gemeinsam? Yes – beide laufen gerade als Kinofilme in 3D – boah, ey.
Und was hat der gemeine Heavy-Metal-Fan mit einer 71-jährigen Wackenerin gemeinsam? Richtig – beide freuen sich total aufs Festival. Die 71-Jährige hat in der "Münchener Abendzeitung" nämlich bekannt, das sei für Wacken wie Ostern, Pfingsten und Weihnachten zusammen. Ist das so mainstreamig, wie es klingt? Darüber spreche ich mit dem Kollegen Lars Brinkmann. Er ist Musikjournalist – hallo, Lars!
Lars Brinkmann: Hallo!
Grampes: Der 3D-Film und Großmutter schon in heller Vorfreude – wie mainstreamig ist das Festival inzwischen?
Brinkmann: Ich glaube, das ist im Heavy-Metal nicht so ein großer Widerspruch, wie wir das normalerweise kennen. Heavy-Metal ist ja genauso wie Hip-Hop ein Musikgenre, in dem Erfolg nicht negativ sanktioniert wird. Das heißt, dieses ganze Underground-Gewirbel spielt im Metal nicht so eine Riesenrolle.
"Nicht nur Heino und die Scorpions"
Grampes: Ach, okay, Mainstream ist da gar kein Problem eigentlich. Es wird zum Problem gemacht.
Brinkmann: Die besten Metal-Bands, die man eben halt auch so kennt – Motörhead, oder nehmen wir auch so was wie Rammstein mit rein – sind eben auch sehr, sehr, sehr erfolgreich irgendwie, und deswegen stellt sich dieser Widerspruch erst mal nicht so wirklich dar. Dass das dann nachher, wie in jedem anderen Genre, auch dort sozusagen Gralshüter gibt, die irgendeine Idee verraten sehen in dem Augenblick, wo mehrere Tausend auf einer Wiese stehen, das goes with the territory – also das hat, glaube ich, eher was mit der Dynamik in der Musik und dem Sich-Abgrenzen, Distinktionsgewinn et cetera zu tun.
Grampes: Verratene Ideen, da haben wir es doch. Welche sollen das denn sein?
Brinkmann: Na ja, natürlich gibt es auch dort irgendwie eine Mentalität, die sagt, ihr müsst draußen bleiben. Gerade dann, wenn die Musik, umso härter sie ist, desto ausgeprägter ist diese Vorliebe.
Auf Wacken spielen ja jetzt nicht nur Heino und die Scorpions, sondern da spielen ja auch Bands wie zum Beispiel Immortal, die man aufgrund ihres krassen Make-ups auch die Pandabären des Black-Metals nennt. Und wenn wir in diesem Genre sind, Black-Metal, dann haben wir es auch tatsächlich mit Leuten zu tun, denen es wichtig ist, dass sozusagen die Band immer wieder vor den schon Bekehrten predigt.
"Ist Wacken noch Wacken?"
Grampes: Verstehe. Lass uns noch kurz bei den Klischees bleiben. Der Metaler, das sich possierlich im Wacken-Schlamm wälzende Wesen. Wie verbreitet ist das Bild inzwischen?
Brinkmann: Ich glaube, sehr. Wir haben es ja mit einer wahren Invasion von Wacken-Beiträgen zu tun und Filmen. Nachdem Cho Sung-hyung mit dem "Full Metal Village" irgendwie 2007 mehrere Preise auch abgeräumt hat, und das auch völlig zu recht – das war ja der erste Wacken-Film, der hat ja im Grunde genommen all die Leute, die dann danach gekommen sind, im Grunde genommen erst auf das Thema gesetzt.
Ein Beamter der Bundespolizei spielt am 30. Juli 2014 in Itzehoe mit einer aufblasbaren Gitarre. Bis zum Samstag 2. August werden in der kleinen Gemeinde Wacken rund 75.000 Besucher zum Heavy Metal Festival "Wacken Open Air" erwartet. 
Im Mainstream angekommen: Selbst Polizisten begeistern sich für das Heavy-Metal-Festival© picture alliance / dpa / Carsten Rehder
Wir erinnern uns auch an diesen vierstündigen Beitrag, NDR-Beitrag von Detlef Buck, irgendwie "Heavy Metal trifft Karnickels", irgendwie. Also es gab auch beim NDR dann zum Beispiel noch mal mehrmals hintereinander immer wieder Sendungen zu den Themen, die übrigens dann auch meistens von denselben Leuten gemacht werden. Aber man merkt, dass die Medien das Thema erst so Mitte der Nuller, des ersten Jahrzehnts entdeckt haben.
Grampes: Etwas zeitversetzt mal wieder, das Ganze. Wenn wir mal zurückgehen auf Los: 1990, da waren es ja um die 800 Besucher, jetzt so um die 80.000. Was ist denn von damals übrig geblieben in Wacken? Ist Wacken noch Wacken?
Brinkmann: Ich glaube schon, irgendwie, weil sich Wacken auch mit zunehmendem Erfolg mehr darum gekümmert hat, sozusagen ein Nachwuchszelt zu machen, wo Leute spielen können, die noch keinen Plattenvertrag haben. Das Ganze ist eben sehr integer im Kern.
"Die ersten Jahre waren wirtschaftlich eine Katastrophe"
Mich erinnert es ein bisschen an Woodstock, wo es eben auch einmal eine Idee gab und man dann einfach gemacht hat. Die ersten Jahre von Wacken waren ja auch wirtschaftlich eine absolute Katastrophe, da mussten ja auch die Eltern noch Geld pumpen und so weiter, und so weiter. Die sind ja mit Riesendefiziten da rausgegangen, weil sie viel zu viel Security eingestellt haben und so weiter, und so weiter.
Aber Wacken hat zum Beispiel auch eine Million für das Freibad jetzt gespendet, weil sie wissen, dass die Leute, die auf Wacken fahren, dieses Freibad, das ist eben auch schon Teil dieser Veranstaltung, genauso wie der Biergarten und die Wacken-Firefighters, diese Blaskapelle, die dann spielt irgendwie. Da gibt es irgendwie Händlermeilen und so weiter.
Man muss sich das ja auch vorstellen: Das sind dreihundert Fußballfelder großer Campingplatz, sozusagen. Das sind ja, du sagst, ungefähr 75.000 Zahlende, sagt man. Damit ist es auch ausverkauft, aber es sind 85.000. Das heißt, da kommen allein noch mal 10.000 Zaungäste oben drauf.
Grampes: Die Zaungäste und Wacken ist nicht nur das Festival, sondern es wird quasi zu einem Gesamt-... Gesamtkunstwerk will ich es nicht nennen ...
Brinkmann: Ja, ich warte da auch schon drauf.
"Junggesellenabschiede auf Wacken"
Grampes: Immer diese Worte, die einem zuerst auf der Zunge liegen. Aber ein Großereignis, das über diese Tage hinausweist, an denen es stattfindet - das haben wir auch bei der 71-Jährigen schon gehört. Du hast angedeutet, welcher Wert vor allen Dingen da drin liegt. Und das ist immer noch das Musikalische. Man entdeckt viele neue Bands, habe ich das richtig verstanden?
Brinkmann: Ja. Du kannst sehr viele neue Bands entdecken, indem du eben halt – also wenn du jetzt nicht drauf bestehst, dass die alle einen Plattenvertrag, und du das Album dann dir am nächsten Tag bei Amazon irgendwie kaufen kannst, dann hast du da eine Menge zu entdecken. Es gibt natürlich auch, das muss man auch mal bei aller Freude da drüber, dass so etwas überhaupt gemacht wird, erwähnen, es gibt natürlich so Entscheidungen, wie zum Beispiel Heino dort spielen zu lassen, der da ja mit Rammstein zusammen gespielt hat, die nicht nur auf Gegenliebe gestoßen sind.
Es gibt auch einen allgemeinen Trend, so Junggesellenabschiede zum Beispiel auf Wacken. Das ist so ein bisschen das, wo man dann so mit der Nase rümpfen darf, irgendwie klar ist, kann man sich auch über Jan Delay unterhalten, der nach Wacken gefahren ist, um dort ein Video zu drehen, das ja aber auch eher so guerillamäßig gedreht worden ist. Also, ohne die Jungs mit einzubeziehen, sondern sozusagen so rein und erst mal gucken, was passiert. So Gonzo-Journalismus.
Da gibt es auch eine ganz lustige Dokumentation, "Metaller, die auf Brüste starren", wo man das praktisch nur gemacht hat. Da hat man dann nur sich die Gäste des Wackens vorgenommen und sie gefragt, was sie dort erleben.
Grampes: Auf Brüste gucken, okay. Konstatiere, Wacken ist Mainstream und das ist auch gut so und ein Problem schon gar nicht. Musikjournalist Lars Brinkmann über den Wert von Wacken. Danke schön!
Brinkmann: Gern!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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