Online-Serie „Ramadram“

Eine Theatersoap für die Fastenzeit

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Spielort der Serie ist das "Migrantpolitan", ein Labor auf Kampnagel, in dem seit fünf Jahren nicht nur Kunst entsteht, sondern auch Ideen des Zusammenlebens ausprobiert werden. © Judith Rau
Von Stefan Keim · 02.05.2020
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Migrantinnen und Migranten spielen und erzählen, wie sie Deutschland erleben. Zu sehen ist das als 17-teilige Online-Serie, im Stil angelehnt an die populären Fernsehsoaps des arabischen und afrikanischen Fernsehens. "Ramadram" heißt das Projekt.
Fernsehsoaps – schnell gedrehte Serien mit täglich neuen Folgen – sind ein riesiger Markt in Arabien und Afrika. Die populärsten kommen aus der Türkei und Syrien, Nigeria und Ägypten. In der Zeit des Ramadan sind sie besonders beliebt.
Das Hamburger Kollektiv New Media Socialism hat nun zusammen mit der Kulturfabrik Kampnagel eine 17-teilige Online-Serie gestartet, deren Finale am 23. Mai, dem Zuckerfest, laufen soll. "Ramadram" heißt sie. Die ersten Folgen sind online. Jeden Abend um 22 Uhr gibt es eine weitere.
Solche Serien liegen gerade im Trend, die Theater müssen geschlossen bleiben, also produzieren sie Onlinefilme. Doch was gibt es da zu sehen?
Der Vorspann zur Serie "Ramadram" erinnert an die glatten Seifenopern des arabischen und afrikanischen Fernsehens. Viele Leute lächeln sympathisch in die Kamera, während ihre Namen und ihre Rollennamen eingeblendet werden. Die Folgen von "Ramadram" sind kurz, keine dauert länger als eine Viertelstunde.

Es wird diskutiert, gegessen und gefeiert

Oft sind Vor- und Abspann fast so lang wie die Handlung dazwischen. Ein Kernspielort der Serie ist das "Migrantpolitan", ein Labor auf Kampnagel, in dem seit fünf Jahren nicht nur Kunst entsteht, sondern auch Ideen des Zusammenlebens ausprobiert werden. Es wird also diskutiert, gegessen und gefeiert. In der ersten Folge ist das Migrantpolitan allerdings in einem erbärmlichen Zustand.
Der Streit geht darum, wer endlich mal aufräumt. Seit Wochen ist kein Geschirr gespült worden, und im Kühlschrank haben sich lebendige Organismen gebildet. Zwei junge Männer argumentieren, es sei Ramadan, sie müssten fasten, da könne man nicht so viel arbeiten. In diesem Augenblick erscheint eine junge Frau mit Essen und bietet allen etwas an. Sie möchte wissen, wie Ramadan funktioniert. "So there´s also no sex on ramadan, right?"
So ist es, sagt ein Mann, kein Essen, kein Sex, aber nach Sonnenuntergang, beim Fastenbrechen herrschen andere Regeln. Über weite Strecken herrscht ein lockerer, komödiantischer Ton in "Ramadram", auch wenn es um religiöse Traditionen geht.
In den arabischen Fernsehsoaps wäre diese Selbstironie wohl nicht möglich, obwohl diese Serien – wie Regisseurin Nadine Jessen sagt – neben der Unterhaltung eine politische Funktion haben: "Gesellschaftskritik, Herrschaftskritik – all diese Dinge, die in den offiziellen Medien nicht vorkommen – werden in diesen Soaps thematisiert. Es gibt auch die Sehgewohnheit in diesen Ländern, dass im scheinbar Banalen Kritik angebracht werden kann."

Tanz, Musik und ein bisschen Zauberei

In der Serie "Ramadram" wacht eine junge Frau im Krankenhaus auf und findet folgende Worte der Pflegerin gar nicht beruhigend: "Guten Tag, Frau Nazar. Schön, dass Sie aufgewacht sind. Ich sage gleich Ihrem Ehemann Bescheid. Der macht sich ja schon solche Sorgen. Er kommt gleich. Er kommt gleich. Er kommt gleich…"
Sie haut ab und versteckt sich im Migrantpolitan, wo die liebenswert-chaotischen Bewohner eine wilde Aufräumorgie beginnen, die ganz im Stil der indischen Bollywoodfilme mit Tanz, Musik und ein bisschen Zauberei abläuft.
Die Darstellerinnen und Darsteller sprechen in ihrer jeweiligen Landessprache. Es gibt Untertitel, dafür muss man allerdings auf Youtube einen Button anklicken. Sie diskutieren auch über die Frage, was man tun muss, um in Deutschland bleiben zu können: Vielleicht sogar irgendjemanden heiraten. "I want to marry naturally not because of want to stay her legally. – Do you have a special talent?" Also nein, nicht wegen des Aufenthaltsstatus heiraten, heißt es da. Und ob vielleicht besondere Talente vorhanden sind.
"Wir geben da nicht jedes Wort vor", erklärt Regisseurin Nadine Jessen. "Das heißt wir sprechen vorher darüber, und dann wird es improvisiert und gedreht. Es ist ein gegenseitiges Aufladen, und das Tolle ist, weil wir ja mit der Kamera arbeiten, muss es ja nur einmal gut sein."

Die deutsche Polizei kommt schlecht weg

Die deutsche Ordnungsmacht kommt in "Ramadram" ziemlich schlecht weg. Die Hamburger Punkband Boy Division spielt dumme Rassisten, die einen Ermittler losschicken, um das Migrantpolitan zu beobachten. "Also wir hatten jetzt hier in letzter Zeit mehrere Anrufe von besorgten Bürgern. Da in diesem Migrantpolitan, da gehen lauter verdächtige Ausländer ein und aus, Nafris, Schwarze, das ganze Programm. Da machen irgendwelche Gutmenschen irgendwelche Sachen für Geflüchtete. – Ich glaub', die nennen sich wieder die Kreativen. – Ja, weißt ja, was die fürs kreativ sein brauchen und so, ne?"
Nadine Jessen hält diese Darstellung keinesfalls für übersteigert, im Gegenteil. "Es entspricht leider der traurigen Lebensrealität vieler unserer Darstellerinnen und Darsteller, dass sie von einer Ordnungsmacht gerne als Gruppe gelesen werden. Wenn unsere Darsteller am Bahnhof auf ihre Freunde warten, werden die von der Polizei kontrolliert. Da kann Ihnen jeder unserer Darsteller stundenlang drüber erzählen."
"Empowertainment" nennen Nadine Jessen und Kamerafrau Judith Rau von New Media Socialism ihre Arbeitsform. Unterhaltung und Ermächtigung, Migrantinnen und Migranten spielen und erzählen, wie sie Deutschland erleben.
Das Virus spielt in den bisherigen Folgen keine Rolle. Es gibt schon Reaktionen aus Gambia, Nigeria, der Türkei und Australien, wo Leute "Ramadram" anschauen und darüber lachen, wenn am Ende der vierten Folge drei Männer etwas bei ihren Schnurrbärten schwören.
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