Online beten in der Coronakrise

Amen geht auch digital

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Praying hands with faith in religion and belief in God on dark background. Power of hope or love and devotion. Namaste or Namaskar hands gesture. Prayer position.
Beten kann man zwar auch in Gedanken, aber wenn man es digital tut, beten andere für einen mit. © Getty Images / iStockphoto
Von Kirsten Dietrich · 19.04.2020
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In der Coronakrise verlagert sich die religiöse Praxis mehr und mehr ins Internet. Auch beten kann man inzwischen online. Einige Glaubensgemeinschaften bieten entsprechende Plattformen. Sie werden rege genutzt.
"Wir haben die klassischen Sachen: Gesundheit, einen guten Krankenverlauf, für persönliche Freunde, für Eltern, 'meine Oma', schreibt hier jemand, Freunde in aller Welt", sagt Karsten Kopjar. Dafür beten User im Internet. Auf der Seite onlinekirche.ekmd.de können sie ihre Anliegen in einer sogenannten Gebetswolke eintragen und damit für andere sichtbar machen. Mit der Corona-Krise haben sich die Bitten deutlich verändert: weg vom allgemeinen Frieden und Erfolg in schwierigen Situationen, hin zur Fürsorge nah und fern.
"Dann gibt es auch das Leid von anderen", zählt Kopjar auf. "'Ärzte und Pflegende' steht hier zum Beispiel, aber auch: für Streitende. Da steckt wahrscheinlich eine persönliche Familiengeschichte dahinter, wo jemand nicht mehr mit der Enge klarkommt."
Karsten Kopjar betreut als Social-Media-Koordinator die Onlinekirche der evangelischen Kirche in Mitteldeutschland:
"Seit den Ausgangssperren merken wir, dass wir tatsächlich um ein Zehnfaches mehr Beiträge bekommen. Das hat uns total begeistert. Wir waren ein bisschen überrascht, wie stark das zugenommen hat, aber vor allem hat uns das gefreut, weil wir merken: Da sind Menschen, die brauchen Gebet, die suchen Gebet, und sie finden es bei uns."

Schon das Tippen ist ein Gebet

Mit ihrer Onlinekirche will die mitteldeutsche Landeskirche ausprobieren, wie das geht: über Glauben nicht nur online informieren, sondern wirklich Glauben online leben. Die Möglichkeit zum Gebet gibt es bereits, seit das Projekt vor zwei Jahren startete. Auf der Homepage heißt es:
"Du kannst dein Anliegen hier vor Gott bringen und andere können sehen, wofür du gebetet hast."
Karsten Kopjar erklärt: "In der Anmoderation sagen wir: Wenn du möchtest, kannst du hier was eintragen und klickst dann auf Amen. Also der Button, der woanders 'Senden' heißen würde, heißt bei uns 'Amen'."
Der Text für das Gebetsformular ergänzt: "Wir glauben, dass Gott deine Worte schon wahrnimmt, wenn du sie denkst, tippst oder anderweitig betest. Über dieses Formular gelangen sie außerdem auf die Gebetsliste unserer Teamtreffen, wo wir auch regelmäßig für eure Anliegen beten."

Am Computer zur Ruhe kommen

Digital Beten – das funktioniert ganz offensichtlich, und nicht nur unter den Einschränkungen der Corona-Krise. Es gibt viele Online-Angebote. Manche begleiten die Betenden und zeigen, wie man zur Ruhe kommt und Worte für ein Gespräch mit Gott findet. Auf der Seite de.sacredspace.ie klingt Beten so:
"Ich sitze einfach am PC und Gott ist gegenwärtig.
Gott umschließt mich, durchdringt mich in meiner Tiefe,
meine Sinne, meine Gedanken."
Sieben Tafeln mit Gebets- und Bibeltexten, klare Schrift auf grauem Hintergrund, dazu sanfte Musik: Die Seite "Sacredspace" bietet jeden Tag ein Angebot zum Gebet am Computer. Das dauert nur zehn Minuten, versprechen die Macher der Seite, irische Jesuiten.
"Mit dem Gründer von Sacred Space, Peter Scully, hatte ich mal die Möglichkeit, zu sprechen, und ich hab das gefragt, diese Tradition ist alt, die ist eigentlich nicht in der Form digital, wie kann das denn gehen?"
Die Religionswissenschaftlerin Simone Heidbrink erforscht an der Universität Heidelberg religiöses Leben im Internet.
"Da sagte er ganz klar, er findet, dieser Bildschirm und dieses Fokussieren auf diesen Monitor, diesen begrenzten Raum, das hilft ganz massiv und ist eher ein Plus als ein Minus."

Freiwillige beten für dich

Neben den Gebetsseiten mit Anleitung zum Selberbeten stehen die, bei denen man das Beten in andere Hände legen kann: Seiten wie amen.de zum Beispiel: Seit sieben Jahren gibt es die Seite, beinahe dreieinhalb Millionen Gebete habe man schon vermittelt, heißt es auf der Startseite. Zum Beten klickt man einfach auf "Sorge eingeben":
"Um für dich beten zu lassen, schreib bitte das, was dich bewegt oder bedrückt in das folgende Feld."
Die eingetippten Gebete werden an echte Personen weitergeleitet, die sich bei den Machern der Seite registriert haben – mit dem Versprechen, für andere zu beten.
"Es ist offensichtlich ein Bedarf an religiösen Angeboten da", sagt Heidbrink. "Wer deckt diesen Bedarf? Zumal kirchenferne Menschen wahrscheinlich sich leichter tun, online in irgendeiner Form an einem religiösen Angeboten teilzunehmen, als im Pfarrhaus an die Tür zu klopfen."

Manche wissen nicht, wie man betet

Es gibt noch keine genauen Untersuchungen dazu, wer die Angebote nutzt – ob zum Beispiel eher im weitesten Sinne christlich geprägte Menschen oder auch nichtreligiöse.
"Aber es gibt auch Menschen, die an uns schreiben und sagen: Ich weiß gar nicht, wie Beten geht, könnt ihr bitte für mich beten", erzählt Karsten Kopjar.
Eine Frau steht in einem Wald, hält die Hände vor der Brust zusammen und schaut in den Himmel.
Vieles lasse sich von der analogen auf die digitale Welt übertragen, sagt die Theologin Eva Harasta.© Unsplash / Diana Simumpande
Wer online betet, sucht jedenfalls Gemeinschaft – sonst könnte man sich ja auch einfach so an Gott richten und bräuchte nicht eigens irgendwo Gebetswünsche einzutippen. Die evangelische Theologin Eva Harasta von der evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt in Wittenberg hat sich intensiv mit dem Beten beschäftigt – vor allem dem analogen. Aber vieles lasse sich auf die digitale Welt übertragen, sagt sie:
"Dass Menschen ihre inneren Gedanken vor Gott bringen wollen, aber das irgendwie in Gemeinschaft mit anderen Menschen machen wollen. Es muss nicht sein, dass ich in der Kirchenbank neben jemand anders stehe, aber trotzdem ist es gut, jemand an der Seite zu haben, und sei es auch nur übertragen."

"Beten hat immer etwas Virtuelles"

Die Religionswissenschaftlerin Simone Heidbrink ergänzt:
"Beten hat ja immer was Virtuelles. Es ist ja eine Konversation mit einem gedachten Transzendenten, das hat immer so einen gewissen Virtualitätsaspekt. Warum soll das nicht über digitale Medien gehen?"
Gerade in der Coronakrise entdecken auch die Landeskirchen und Bistümer die Möglichkeiten des digitalen Betens. Zum Beispiel mit einem Nonstop-Coronagebet auf evangelisch.de.
Die meisten digitalen Gebetsangebote werden bislang von Gruppen aus dem frommen evangelikalen Spektrum getragen – was manchmal nur erkennbar ist, wenn man die Institutionen im Impressum aus anderen Zusammenhängen kennt.
"Deutschland betet gemeinsam – herzlich willkommen! In einer Zeit von Social Distancing wollen wir das Gegenteil tun, mit unseren Herzen, nämlich ein Zusammenkommen der Herzen in der Krise."
So begrüßte Johannes Hartl, der Leiter des charismatisch-katholischen Gebetshauses Augsburg, in der vergangenen Woche die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der durchaus umstrittenen Gebetsaktion "Deutschland betet gemeinsam".
"Und wenn Sie jetzt gerade live zugeschaltet haben, vielleicht nehmen Sie Ihr Handy jetzt gleich und schreiben per WhatsApp oder SMS einem Bekannten oder Freund oder irgendjemandem 'Ich bin hier gerade mit dabei, komm doch auch mit dabei!'"

Beten lässt sich nicht verzwecken

Öffentliches Beten im Livestream mit konservativen Promis, Politikern und Bischöfen und in Schwarz-rot-gold-Optik: Da wird die Theologin Eva Harasta hellhörig. Denn auch in Krisenzeiten sei das Gebet eben gerade nicht der Ort für noch so gut gemeinte Appelle.
"Das ist etwas Undogmatisches eigentlich, das Beten. Weil es ja nicht ein moralisches Urteilsvermögen ist, sondern man tritt vor Gott, man tritt in Gemeinschaft mit anderen Menschen und möchte gemeinsam vor Gott treten und hat so eine Art Lebensraum. Und nicht einen streng reglementierten Raum."
Das Beten vertrage viele Experimente, digital oder analog. Nur eines gehe nicht: das Gebet verzwecken – sei es zu eng gefasste Inhalte oder durchs Schielen auf Klickzahlen und messbare Erfolge.
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