"Onkel Wanja" in Hamburg

Tschechow-Tristesse im Torfmoor

Lina Beckmann als Sofia Alexandrowna und Charly Hübner als Wanja bei "Onkel Wanja" im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg
Lina Beckmann als Sofia Alexandrowna und Charly Hübner als Wanja bei "Onkel Wanja" im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg © dpa / picture alliance / Christian Charisius
Von Alexander Kohlmann · 17.01.2015
So viel Langeweile war selten: Bei Tschechows "Onkel Wanja" geht Karin Beier am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg auf Nummer sicher. Anknüpfungspunkte an unsere Gegenwart sind nirgendwo zu erkennen - statt dessen gibt es eine Inszenierung fürs Literaturmuseum.
Was von diesem Abend in Erinnerung bleiben wird, ist das Bühnenbild von Johannes Schütz. Ein riesiges Torfmoor hat der langjährige Bühnenbildner von Jürgen Gosch auf die Bühne des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg gekippt. Die dunkle Erdfläche verschwindet in der Dunkelheit, eine abgebrochene Baggergabel liegt noch dazwischen, nein, diese Wälder sind schon nicht mehr zu retten, der Kirschgarten ist zu Beginn dieser "Onkel Wanja"-Inszenierung schon sehr lange abgeholzt.
Ganz vorne, auf einem Steg, der quer über die Bühnenrampe geht, spielt sich Tschechows Drama in der Provinz ab. Hier lässt Regisseurin Karin Beier ihre Figuren in historisierenden Kostümen von links und rechts auf- und abtreten, russische Lieder musizieren und tanzen. Später werden antike Möbel hereingeschleppt, wer gerade nicht spielt, liegt schlafend auf dem Sofa, so viel Langeweile, Tristesse und Depression war selten - und selten haben zwei Stunden so lange gedauert.
Bürgerliche Selbstvergewisserung in Hamburg
Ein Versuch, das Figuren-Ensemble aus dem vorrevolutionären Russland irgendwie in unsere Gegenwart hinüber zu retten, ist nirgendwo zu erkennen, stattdessen wird brav psychologisch-realistisch gespielt. Nicht ohne Charme ist das, wenn Oliver Nägele als rundlicher Professor im Ruhestand sein ländliches Exil betrauert und von Charly Hübner als zusammengesunkener Wanja in einer letzten Aufbäumung gegen das eigene verschenkte Leben fast erschossen wird. Alleine, fast die ganze Zeit ist die große Frage, wozu das Ganze?
Als mit dem reinigendem Aufbrechen der Konflikte kiloweise Bühnenschnee allmählich die Torf-Tristesse bedeckt, ist das ein schönes Bild, das aber nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass ohne die Bühne nur eine Tschechow-Klamotte an der Rampe übrig bleibt. Die tut niemanden weh und zieht sich auf einen Ausstellungsmodus im Literaturmuseum zurück - und wird dafür von den eigentlich eher nüchternen Hamburgern mit erstaunlich frenetischem Applaus gefeiert.
Vielleicht braucht das Schauspielhaus im Moment gerade diese Form der bürgerlichen Selbstvergewisserung, um seine über tausend Plätze zu füllen - und in Zukunft wieder Spielraum zu haben, um echte, künstlerische Wagnisse einzugehen.
Mehr zum Thema