Olympische Spiele

Gewinner sind korrupte Baufirmen

Das erste Fußballspiel der Frauen Brasilien gegen China im Olympiastadion von Rio de Janeiro 2016
Das Olympiastadion von Rio de Janeiro - hier mit dem ersten Fußballspiel der Frauen Brasilien gegen China © picture alliance / dpa / Soeren Stache
Dawid Bartelt im Gespräch mit Dieter Kassel  · 05.08.2016
Für die Brasilianer überschattet die Krise des Landes die Erwartungen an die Olympischen Spiele, sagt der Leiter der Böll-Stiftung in Rio de Janeiro, Dawid Bartelt. Gut verdient haben vor allem die "fünf Schwestern".
Die brasilianische Bevölkerung sieht dem Start der Olympischen Spielen eher gleichgültig entgegen, sagt der Leiter der Böll-Stiftung in Rio de Janeiro, Dawid Bartelt, im Deutschlandradio Kultur. Die Alltagssorgen seien angesichts der politischen und wirtschaftlichen Krise des Landes drängender und bestimmen das Leben der Menschen mehr als die Olympischen Spiele. Die meisten Brasilianer könnten sie nur im Fernsehen verfolgen, weil die Eintrittspreise für viele nicht erschwinglich seien.

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"Die fünf Schwestern"

"Verdienen tun mit Sicherheit die großen Baufirmen, wie auch schon bei der Fußballweltmeisterschaft", sagt Bartelt. Es seien die selben fünf international tätigen Unternehmen, die auf der Liste derjenigen Firmen ganz oben stünden, die im Rahmen eines früheren großen Korruptionsfalls Bestechungsgelder bezahlt hätten. In Brasilien würden sie die "fünf Schwestern" genannt". "Deren Presse ist im Moment nicht so gut, aber sie haben trotzdem gut verdient an diesen Spielen."

Vorteile der Verkehrsprojekte

Die Bevölkerung profitiere nach den Spielen vor allem von den Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur, erklärt Bartelt. Allerdings seien die Schnellbustrassen und die U-Bahn-Linie so gebaut, dass sie Hotels, Flughafen und Sportstätten gut verbinden. Das Problem der maroden S-Bahn-Verbindungen in die Vorstädte sei damit nicht gelöst. "Das wartet seit langem dringend darauf, umfassend modernisiert und ausgeweitet zu werden", sagt Bartelt. "Wenn die Scheinwerfer aus und die Athleten wieder weg sind, dann wird hier mit Sicherheit erstmal eine ganze Weile gar nichts passieren."

Das Interview im Wortlaut:

Dieter Kassel: Der olympische Fackellauf, das ist ja nun eigentlich ein deutliches Zeichen des Friedens. Das olympische Feuer wird zum Veranstaltungsort getragen als Zeichen des friedlichen sportlichen Wettstreits der Nationen. Das allerdings ist in Brasilien nicht so gewesen. Da kam es zum Einsatz von Tränengas, Pfefferspray und Gummigeschossen durch die Polizei, nachdem ungefähr 20 Kilometer von der Olympia-Stadt Rio entfernt Demonstranten Steine geworfen hatten.
Und nicht nur die Fackel ist in diesem Fall voller Symbolik, die Demonstrationen sind es auch, denn sie zeigen, wie gering die Vorfreude auf die Spiele ist und wie groß der Frust über die Organisatoren und die wirtschaftliche Lage in Brasilien. Dawid Bartelt erlebt das jeden Tag. Er lebt in Rio und leitet das dortige Büro der Heinrich-Böll-Stiftung. Ich habe mich wegen der Zeitverschiebung vor dieser Sendung mit ihm unterhalten und ihn als Erstes gefragt, ob sich denn in Rio wirklich niemand auf die Olympischen Spiele freue.
Dawid Bartelt: Nein, das kann man so nicht sagen. Die Demonstrationen, die übrigens in den offiziellen Medien ziemlich totgeschwiegen wurden, die sind jetzt auch nicht repräsentativ für eine Mehrheit. Aber ich glaube, ein großer Teil der Bevölkerung hier steht dem Ganzen relativ gleichgültig gegenüber, weil letztlich die Alltagssorgen doch drängender und vordringlicher sind. Und wir befinden uns hier ja in einer ziemlich tiefen sowohl ökonomischen wie politischen Krise. Ich glaube, das bestimmt doch das Fühlen der Menschen mehr als jetzt die Olympischen Spiele, die die Menschen im Fernsehen verfolgen werden, denn auch, das darf man ja auch nicht vergessen, die Eintrittspreise sind ja auch so, dass das für viele Menschen ja nicht erschwinglich ist.
Kassel: Bei uns wurde ziemlich intensiv über diese Zwischenfälle beim Fackellauf berichtet. Und da hieß es auch, Professoren und Studenten hätten da demonstriert, weil an vielen Universitäten schon seit Monaten keine Gehälter mehr gezahlt werden. Ist denn die wirtschaftliche Lage so schlecht oder ist das eher ein organisatorisches Problem?
Bartelt: Das ist eine gute Frage. Es ist tatsächlich so, und selbst die Polizisten haben ja vor den Olympischen Spielen demonstriert am Internationalen Flughafen mit Plakaten, wo drauf stand "Willkommen in der Hölle", also ziemlich drastisch. Der Bundesstaat hier ist zurzeit finanziell fast pleite, und das hat sicherlich auch was mit hohen Ausgaben, erhöhten und dann immer noch höher als auch vorgesehenen Ausgaben für die Olympischen Spiele zu tun.
Es ist allerdings etwas, was hier auf bundesstaatlicher Ebene im Land immer wieder passiert, dass Gehälter dann verspätet ausgezahlt werden und es Streiks braucht, um die Regierung dazu zu nötigen. Der öffentliche Sektor nimmt einen erheblichen Teil der Budgets, der Haushalte ein, sowohl auf bundesstaatlicher wie auf kommunaler Ebene, und da kommt es immer wieder zu solchen Engpässen. Und hier, glaube ich, sind aber die Olympischen Spiele tatsächlich ein Grund dafür.

Gut verdient haben vor allem fünf Firmen

Kassel: Aber nun sind die Olympischen Spiele natürlich eine Big-Money-Affäre. Wer in Brasilien verdient denn nun wirklich daran, und wer eben nicht?
Bartelt: Verdienen tun mit Sicherheit die großen Baufirmen, wie auch schon bei der Fußballweltmeisterschaft. Es sind dieselben fünf Schwestern, sagt man hier, also fünf große international aufgestellte Bau- und Logistikkonzerne, die auch ganz oben stehen auf der Liste derjenigen Unternehmen, die im Zusammenhang mit dem großen Korruptionsskandal um den Erdölriesen Petrobras eben Bestechungsgelder gezahlt haben. Das heißt, deren Presse ist im Moment nicht so gut, aber sie haben trotzdem gut verdient an diesen Spielen, denn die Bauten, die Verkehrsinfrastruktur, die Sportstätten, das waren ja die Unternehmen, die wirklich also viel Geld gekostet haben und entsprechend auch Profite angeboten haben.
Kassel: Nun gibt es ja Dinge, die werden bleiben nach den Olympischen Spiele, wenn auch nicht allzu lange. Neue U-Bahn-Strecke ist fertig geworden, mehrere Schnellbusverbindungen, ein Teil der Unterkünfte für die Sportler wird dann als Wohnung zur Verfügung stehen. Hat die Bevölkerung, wenn die Spiele vorbei sind, dann tatsächlich gar nichts mehr davon?
Bartelt: Doch. Es gibt einen Nutzen für sie nach den Spielen, das ist vor allen Dingen im Bereich dieser Verkehrsinfrastruktur, die Sie ansprechen. Allerdings muss man da genauer hingucken. Die Schnellbustrassen und auch die U-Bahn-Linie werden der Bevölkerung zugute kommen, aber eher so allerdings in einer Art Form von Kollateralnutzen, denn sie sind gebaut worden nicht aufgrund einer Bedarfsanalyse, also wo muss ich vor allen Dingen was tun, wo muss ich das begrenzte Geld prioritär anwenden, sondern sie sind ja dazu da, um die Hotels und den internationalen Flughafen mit den Sportstätten zu verbinden. Also da hätte man mehr tun können.
Es gibt zum Beispiel hier ein marodes S-Bahn-System in die Vorstädte, das wartet seit Langem dringend darauf, umfassen modernisiert und ausgeweitet zu werden. Da wird jetzt nichts passieren, und wenn die Scheinwerfer aus und die Athleten wieder weg sind, dann wird hier mit Sicherheit erst mal eine ganze Weile gar nichts passieren. Was die Wohnungen angeht, die Sie angesprochen haben, das sind viele. Und das war eigentlich, sagen Kritiker, der wesentliche Zweck auch der Entscheidung, die Olympischen Spiele dort draußen, im Westen der Stadt abzuhalten und nicht zentrumsnah. Denn da werden tatsächlich ganz viele oder sind ganz, ganz viele Appartementwohnungen gebaut worden, und die sind aber alle im hochpreisigen Segment. Also anders als in London, wo das East End revitalisiert wurde und auch sozial erschwinglicher Wohnraum geschaffen wurde – das passiert hier gar nicht, und das ist einer der großen Kritikpunkte, denn die Wohnungsnot gerade für Menschen ohne viel Einkommen ist hier erheblich.

Rio hat einfach Pech gehabt

Kassel: Angesichts der gravierenden sozialen und wirtschaftlichen Probleme, würden Sie so weit gehen, es wäre im Prinzip besser gewesen, auf diese Olympischen Spiele in Rio zu verzichten?
Bartelt: Das kann man so nicht sagen. Im Moment, in der Tat muss man auch immer sagen, Rio hat einfach Pech gehabt. Solche Spiele haben ja einen großen Vorlauf. Wir haben hier eine internationale Konferenz gehabt, organisiert vom Goethe-Institut und dem BMZ, und haben diese Frage auch diskutiert, und da war die Meinung von vielen Experten, man sollte eigentlich heutzutage Olympische Spiele nur abhalten, wenn man vorher eine Volksbefragung durchführt. Hätte man die aber 2007, also Brasilien die Bewerbung abgab, durchgeführt, bin ich mir ziemlich sicher, das Ergebnis wäre positiv gewesen. Denn damals stand Brasilien ganz anders da, mit einem ganz anderen Selbstbewusstsein, auch ökonomisch sehr viel stärker, sehr viel Optimismus bei der Bevölkerung. Und niemand konnte absehen, dass jetzt, wo die Spiele dann nun stattfinden, wir in dieser schwierigen, ökonomisch wie politisch außerordentlich schwierigen Lage sind. Was man braucht, und die Brasilianer selbst haben darauf hingewiesen 2013 bei den Protesten während des Confederations Cup, was wir brauchen, ist eine neue Form von diesen Sportgroßereignissen. Die müssen kleiner werden, die müssen demokratischer organisiert werden, die dürfen nicht so tief eingreifen und die öffentlichen Kassen nicht so stark belasten, wie das hier in Brasilien mit WM und den Olympischen Spielen der Fall war.
Kassel: Wenig Vorfreude bei den Bewohnern von Rio kurz vor der Eröffnung der Olympischen Spiele. Der Leiter des örtlichen Büros der Heinrich-Böll-Stiftung, Dawid Bartelt, hat uns erklärt, warum das so ist. Herr Bartelt, vielen Dank für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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