Olivier Guez: Das Verschwinden des Josef Mengele

Frei von Reue und Entsetzen

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Ehemalige Nazi-Bonzen hatten in Argentinien ein glänzend funktionierendes Netzwerk aufgebaut. Unbehelligt lebte Mengele dort für viele Jahre. © Aufbau-Verlag/dpa
Von Gabriele von Arnim · 20.08.2018
1949 flüchtete der NS-Kriegsverbrecher Josef Mengele nach Argentinien und traf auf viele Sympathisanten. Bis heute ranken sich Legenden um ihn – denen der Autor Olivier Guez in seinem neuen Buch eine penible Recherche entgegensetzt.
Über Jahrzehnte hat man immer wieder etwas gelesen über die vergebliche und viel zu schlaffe Suche nach dem berüchtigten Mörderarzt von Auschwitz, Josef Mengele. Es gab Lücken in den Berichten, die jetzt von dem französischen Autor Olivier Guez detailreich gefüllt werden. Und so liest man einen penibel recherchierten, bedrückenden Fluchtroman.

Elegant, gebildet, feinsinnig - und ein Schlächter

Der elegante, gebildete, feinsinnig lächelnde Schlächter – auch als "Todesengel von Auschwitz" bekannt – wurde im Argentinien des General Peron mit offenen Armen willkommen geheißen. Ehemalige Nazi-Bonzen hatten dort ein glänzend funktionierendes Netzwerk aufgebaut, mit feinen Verästelungen hinein in die Regierung.
Der Mann, der unter anderem Babys lebendig ins Feuer warf oder Müttern die Gebärmutter herausriss, der entsetzlich experimentierte mit Zwillingen, lebte unbehelligt und vergnügt im Eldorado der Kriegsverbrecher. Offenbar gänzlich frei von Reue oder gar Entsetzen ob der eigenen Taten. Erst als sowohl der deutsche Staatsanwalt Fritz Bauer wie auch der israelische Geheimdienst Mossad sich auf die Suche nach ihm machen, dünnt die Protektion aus, muss Mengele sich mühen um Gönner.
Porträtaufnahmen des gesuchten KZ-Arztes Josef Mengele. Die Aufnahmen links und Mitte sind aus dem Jahr 1938, die Aufnahme rechts aus dem Jahr 1956.
Porträtaufnahmen des gesuchten KZ-Arztes Josef Mengele© picture-alliance / dpa
Zwar katapultieren ihn politische Umstände bald wieder ein wenig aus dem Blickfeld. Andere Themen sind wichtiger geworden – vielleicht auch nur bequemer. Aber seine Sicherheit bleibt gefährdet. Mengele zieht von Ort zu Ort, Frau und Sohn verlassen ihn, er wird Untermieter bei einer deutschen Familie, die seine prekäre Situation nutzt und ihn finanziell ausnimmt.
Geld kommt immer wieder auch aus Günzburg, aus der väterlichen Firma, die nach dem Krieg sehr erfolgreich Landwirtschaftsmaschinen in die ganze Welt verkauft. Und geheime Kanäle zu bedienen weiß. Die Ehemaligen stecken überall und halten überall zusammen: im deutschen Günzburg wie im peronistischen Argentinien oder im Paraguay des Alfredo Stroessner.

Hochmut, Rassismus, Luxus- und Frauenlust

Das Buch ist ein Roman: Wir leben mit Mengele, mit seinem Hochmut, seinem Rassismus, seiner Luxus- und Frauenlust, seiner Menschenverachtung, seiner schlotternden Angst, seiner Höllfenfahrt, wie es an einer Stelle heißt. Manchmal wüsste man gern, was nun authentisch ist, was Fiktion. Ob der Autor sich die Pein des Mörders wünscht oder sie notiert gefunden hat in dessen Tagebüchern. Ob er ihm die Qual der vielen Krankheiten, die Last der Einsamkeit in den morbiden Lebenslauf hineinschreibt oder ob er abbildet, was war.
Es liest sich die Fiktion – so wie es sein sollte – als eine Lebens-, eine Seinsmöglichkeit. Und man weiß am Ende nicht: Ist man zornig darüber, dass der Mann bis spät in die siebziger Jahre hinein lebte und eines natürlichen Todes sterben durfte oder war dieses lange, immer elender und prekärer werdende Fluchtleben genau die richtige Strafe für den Mann, der die vielleicht grauenhaftesten Menschenexperimente des 20. Jahrhunderts ausgeführt hat.
Im Epilog des Buches erzählt Guez von einem Tribunal gegen Mengele in Yad Vaschem im Jahre 1985. Es hat tatsächlich stattgefunden. Augenzeugen berichten, drei Tage lang. Man hält es kaum aus, das Grauen zu lesen. Und begreift: Dieser Teufel konnte keine Gewissensbisse haben. Sie hätten ihn unverzüglich umgebracht.

Olivier Guez: "Das Verschwinden des Josef Mengele"
Aus dem Französischen von Nicola Denis.
Aufbau Verlag 2018
224 Seiten, 20 Euro

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