Oliver Reese über eigenständiges Autorentheater

Neue Stücke brauchen viel Zeit

Der neue Intendant des Berliner Ensembles, Oliver Reese, steht am 30. Mai 2017 neben dem Schriftzug des Berliner Ensembles.
Oliver Reese war bisher Chef des Frankfurter Schauspiels. © picture alliance / dpa / Wolfgang Kumm
Oliver Reese im Gespräch mit Susanne Burkhardt  · 20.10.2018
Braucht Deutschland ein eigenständiges zeitgenössisches Autorentheater? Der Intendant des Berliner Ensembles, Oliver Reese, verweist auf die vielen Gegenwartsstücke an Berliner Bühnen und die Probleme der Stückentwicklung.
Als der Intendant Oliver Reese vor einem Jahr das Berliner Ensemble von Claus Peymann übernahm, waren die Hoffnungen auf Erneuerung groß. Während sich an der Berliner Volksbühne unter der neuen Leitung von Chris Dercon bereits ein Desaster abzeichnete, herrschte Vorfreude auf das Programm des Berliner Ensembles. Mit Reese ging ein Theaterprofi ans Werk, der ein großartiges Ensemble mitbrachte und ankündigte, das BE in ein "Theater der zeitgenössischen Autoren" verwandeln zu wollen.
Ein Jahr später erschien Ende September in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" ein Text des Theaterautors Volker Lüdecke, der ein eigenständiges zeitgenössisches Autorentheater einfordert – mit eigenem Ort. Er kritisiert, dass sich am BE nur ein kleiner, ausgesuchter Kreis von Autoren ausprobieren könne und die Erwartungen sich dort bisher nicht erfüllt hätten.

Neue Stücke auf vielen Bühnen

Die Idee eines solchen neuen Spielortes als Autorentheater sei ganz sicher Unsinn, sagte Oliver Reese im Deutschlandfunk Kultur. "Wir kümmern uns alle darum." Neue Stücke würden in vielen Berliner Theatern gespielt. Das BE kümmere sich insofern besonderes darum, weil es ein Autorenprogramm habe und mit ihnen zusammen Stücke entwickelte. "Das braucht halt Zeit und vielleicht sogar noch mehr Zeit, als ich am Anfang gedacht habe, das gebe ich gerne zu."
Die ersten Stücke aus diesem Programm kämen jetzt in der neuen Spielzeit auf die Bühne, beispielsweise "Kriegsbeute" von Burhan Qurbani und Martin Behnke. Außerdem seien lebende Autoren im Programm, meistens mit Uraufführungen. Kay Voges habe sein Stück "Die Parallelwelt" auf die Bühne gebracht, und im kleinen Haus habe es gerade einen Doppelabend mit feministischem Programm gegeben. "Sehr viel mehr Gegenwart können sie von uns nicht mehr verlangen, es war einfach nur Gegenwart."
Im Kleinen Haus würden ausschließlich lebende Autoren gespielt, sagte Reese. Für das Große Haus sei es schwieriger, geeignete Stücke zu finden. Ein Richtwert sei, dass es eigentlich 30 Aufführungen geben sollte. "Aber ich kriege auch eine Reihe von Texten, wo ich sagen muss, ich hatte gehofft, wir könnten sie vor 700 Leuten spielen, aber der Text hat nicht diese Dimension", sagte der Intendant. "Es ist verdammt schwer, ein Stück zu schreiben, mit dem sie im großen Haus dieses Format bedienen."
Am Frankfurter Schauspiel habe er beispielsweise das Stück "Terror" von Schirach uraufgeführt und 60 Mal am Großen Haus gespielt. "Aber wo sind die Stücke, mit denen sie das machen können?" International gebe es da einige Stücke, deshalb kämen sie auch auf die Bühne. In Deutschland gebe es davon nicht so viele, und es brauche Zeit, diese Stücke mit zu generieren. Es könne Jahre dauern, bis ein Text reif sei.

Krise des Dramas

Auf die Kritik an Filmadaptionen am Theater entgegnete Reese, es gebe eine "Krise des Dramas". Viele Dramatiker hätten sich vom Theater abgekehrt. Er habe selbst die Erfahrung gemacht, dass Schriftsteller abgesagt hätten, als er sie darum bat, ein Stück für das BE zu schreiben. Viele schrieben Drehbücher für Filme oder Serien.

Schwierige Stückwahl

Während in England das "well-made play" den größten Teil des Spielplans ausmache, werde es in Deutschland verachtet, sagte Reese. Ein Stück wie "Menschen, Orte und Dinge" sei in Großbritannien sehr gut gelaufen, aber am BE im kleinen Haus nicht so erfolgreich gewesen. Es sei nach zwölf Aufführungen nicht mehr gespielt worden.
Es gebe eine gewisse Verachtung in Deutschland, wenn ein Stück nur gut gemacht sei und nur ein Thema habe – das gelte dann nicht als große Kunst. Das Feuilleton liebe stattdessen Elfriede Jelinek oder René Pollesch. Das seien tolle Künstler, die in Frankreich oder England nicht gespielt würden. "Aber die haben dazu geführt, dass eine ganze Art von Stücken es schwer hat auf dem Spielplan."
Aber da benötige man auch eine Gegenbewegung. Deshalb probe er jetzt das neue Stück "Wheeler" des US-Autors Tracy Letts, das auch zum ersten Mal auf eine deutsche Bühne komme. (gem)
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