Olga Costa und Mexikos Moderne

Die vielen Farben einer neu entdeckten Malerin

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Das Selbstporträt der Malerin Olga Costa zeigt eine dunkelhaarige Frau Mitte 30 im grünen Sommerkleid sitzend unter freiem Himmel in einem Hof. Sie hält einen kleinen Malpinsel in der linken Hand und fixiert den Betrachter mit ernstem Blick.
Das "Autorretrato" (Selbstbildnis) von Olga Costa aus dem Jahr 1947 ist bis 26. März 2023 in Leipzig zu sehen. © Museum der bildenden Künste Leipzig (Foto: Alexander Schmidt / Punctum, 2022)
Carsten Probst im Gespräch mit Andrea Gerk · 01.12.2022
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In Mexiko ist Olga Costa längst als bedeutende Vertreterin der Moderne anerkannt. In ihrer Geburtsstadt Leipzig wird Costas Werk nun erstmals in Deutschland präsentiert. Das zeigt ihr zentrales Thema: die Nähe zu den Menschen und zur Natur.
In den vergangenen Jahren wurden zahlreiche Künstlerinnen neu oder wieder entdeckt, die zuvor in der bislang männlich dominierten Kunstgeschichte der Moderne vergessen oder zu Unrecht wenig beachtet worden waren. Zum Beispiel Carmen Herrera, Etel Adnan oder Paula Rego, deren Werke derzeit in der Kestner Gesellschaft in Hannover zu sehen sind.
Das Museum der bildenden Künste in Leipzig präsentiert eine weitere Entdeckung – die deutsch-mexikanische Malerin Olga Costa, die in Mexiko als bedeutende Vertreterin der Moderne anerkannt, in Deutschland aber bislang völlig unbekannt ist. Das kann sich nun ändern: "Dialoge mit der mexikanischen Moderne" heißt die Ausstellung im Untertitel.
Geboren wurde sie 1913 in Leipzig als Olga Kostakowsky und älteste Tochter jüdischer Eltern, die aus Odessa vor antisemitischen Pogromen nach Deutschland geflohen waren. 1925 wanderte die Familie von Berlin nach Mexiko aus, 1993 ist Olga Costa dort gestorben. Ihr malerisches Werk, das im Wesentlichen autodidaktisch entstand, wird nun erstmals in Deutschland gezeigt.

Nationale Kunst und postkolonialer Diskurs

Der Kunstkritiker Carsten Probst stellt Olga Costas Malerei in das Spannungsfeld zwischen der wirkmächtigen europäischen Moderne und den Bestrebungen in den USA und Lateinamerika, sich von ihrem Einfluss zu lösen: "Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es den Versuch auch in Mexiko, sich von dieser europäischen Moderne loszusagen und eine eigene nationale Kunst und Architektur zu begründen und wenn man so will: einen postkolonialen Diskurs."
Das Gemälde "La vendedora de frutas" von Olga Costa zeigt eine Obstverkäuferin an ihrem Stand hinter vielen Sorten Obst. Sie bietet der Betrachterin eine aufgeschnittene Maracuja an.
Selbstbewusster Blick auf den mexikanischen Alltag: Das Gemälde "La vendedora de frutas" (Die Obstverkäuferin) von Olga Costa aus dem Jahr 1951 ist derzeit im Museum der bildenden Künste in Leipzig zu sehen.© Museum der bildenden Künste Leipzig (Foto: Alexander Schmidt / Punctum, 2022)
Das betraf in der Malerei bestimmte Motive und Farben, aber auch die Auseinandersetzung mit den Lebensbedingungen in Mexiko. Als herausragendes Beispiel nennt Probst das großformatige Gemälde „La vendedora de frutas“, das Olga Costa 1951 malte; ihre "Obstverkäuferin" steht im Zentrum der Leipziger Ausstellung und ist auch auf dem Plakat der Schau abgebildet.

Heiter und bodenständig

"Das ist tatsächlich keine moderne Malerei, wie man sie aus Europa kennt", urteilt Carsten Probst. Das Bild sei weder abstrakt noch surrealistisch noch irgendwie experimentell; diese Malerei wirke ausgesprochen bodenständig, figurativ, heiter. Die Obstverkäuferin, eine selbstbewusste junge Frau, bietet eine aufgeschnittene Maracuja an und steht dabei in der ganzen Fülle von nicht weniger als 51 Obstsorten.
Genau das sei die Moderne, die man in Mexiko zu dieser Zeit als die eigene verstanden habe, sagt Probst: die Vielfalt des Angebotes an Lebensmitteln, die Lebensfülle, der Reichtum der Natur, die selbstbewussten Menschen. "Die Malerei von Olga Costa, die auch nicht sehr akademisch geprägt war, kam diesem Ideal des eigenen mexikanischen Modernismus sehr entgegen – auch in den anderen Darstellungen von Mensch und Natur."
Zur Malerei kam Olga Costa über die Betrachtung der großen öffentlichen Wandmalereien, des "Muralismo" unter anderem von Diego Rivera an der Universität von Mexiko City – da soll sie beschlossen haben, ein Kunststudium zu beginnen, das sie aber schon nach vier Monaten abbrach.

Ich male nicht einfach nur das, was ich sehe, sondern ich male das, was mich zum Malen provoziert.

Die Malerin Olga Costa

Sie heiratete einen Kommilitonen, den Künstler José Chávez Morado, und malte autodidaktisch weiter. Olga Costa und ihr Mann, die sich in einem großen Netzwerk von Künstlern und Kuratorinnen bewegten, ließen sich in einem ehemaligen Bergbauort im Bundesstaat Guanajuato nieder.

Ihre Malerei folgte keinem Plan

Die Leiterin des Kulturinstitutes dieser Region, María Adriana Camarena de Obeso, erklärt, warum sich Costas Werk in der mexikanischen Kunstgeschichte so großer Anerkennung erfreut: "Für Olga war eines der zentralen Themen die Nähe zu den Menschen, aber auch die Nähe zur Natur. Sie wollte die Natur nicht einfach malen, sondern sie plastisch abbilden."
Das spontane, unbefangene Reagieren auf die Umgebung sieht man dieser Malerei auch an, sie folgt keinem Plan. Costa studierte die Menschen in ihrer Umgebung, konzentrierte sich später auf die Pflanzen in ihrem Garten und auf Oberflächenstrukturen von Mineralien, die sie sammelte. "Es ist kein Werk, das sich an einem Konzept ausrichtet, sondern beständig ins Offene hineinwächst", sagt Probst.

Anerkennung als genuin mexikanische Künstlerin

Ihre frühen Porträts, teilweise auch von Kindern, wirken wie Adaptionen der arte popular, der Kunst der indigenen Bevölkerung, die nach der mexikanischen Revolution 1917 neu und verstärkte Anerkennung fand, sagt Carsten Probst. Was heute vielleicht als kulturelle Aneignung kritisiert werden würde, brachte ihr in Mexiko Anerkennung, und so galt ihre Malerei trotz ihrer europäischen Herkunft als genuin mexikanisch.
"Sie war mit vielen Künstlerinnen und Künstlern befreundet, die auch politisch engagiert waren, wie Diego Rivera oder Frida Kahlo", berichtet die mexikanische Kunstexpertin María Adriana Camarena de Obeso. "Aber Olgas Weg war weniger der der Politik, eher der sozialen Fragen, dessen, was die Menschen in ihrem Alltag tun. Sie war engagiert für den Frieden, für das lebenswerte Leben. Und so sollten auch ihre Arbeiten nicht politisch sein, sondern für die Menschen das Leben bewahren und zurückgewinnen."
Diese Eigenständigkeit wird in der Leipziger Ausstellung deutlich im Vergleich mit den Arbeiten ihrer Zeitgenossen. "Sie hat sicher nicht die surrealistische Brillanz von Frida Kahlo oder Diego Rivera", meint Probst. Auch die ganze politische Agitation fehle bei ihr. Sie lehnte jede Theatralik ab, sie suchte die Realität und die Einfachheit.

Die Ausstellung Olga Costa – Dialoge mit der mexikanischen Moderne ist bis zum 26. März 2023 im Museum der bildenden Künste Leipzig zu sehen.

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