Olbertz: Junge Leute sollten wildes Spiel der Kräfte kritisch sehen
Sachsen-Anhalts Kultusminister Jan-Hendrik Olbertz hat sich für „einen aufgeklärten Wirtschaftsunterricht“ ausgesprochen, damit Schüler und Schülerinnen ein kritisches Bewusstsein entwickelten. Derzeit würden ethische und wirtschaftliche Fragen im Unterricht allerdings zu sehr voneinander abgegrenzt, kritisierte Olbertz. Sie müssten fächerübergreifend behandelt werden.
Katrin Heise: Brauchen wir ein eigenständiges Schulfach Ökonomie oder Wirtschaft? Diese Frage beantworten die einzelnen Bundesländer sehr unterschiedlich. Ja sagt Sachsen-Anhalt, und ich begrüße den Kultusminister in Sachsen-Anhalt, Jan-Hendrik Olbertz. Schönen guten Morgen, Herr Olbertz.
Jan-Hendrik Olbertz: Guten Morgen Frau Heise, ich grüße Sie auch.
Heise: Wie fest verankert ist denn das Schulfach Wirtschaft? Ist es ein Pflichtfach bei Ihnen?
Olbertz: Das ist unterschiedlich. Wir haben es in der Sekundarschule oder Realschule, wie sie in anderen Ländern heißt, als Pflichtfach verankert, und insbesondere dort mit vier Stunden im Wochenstundenplan bei den Schülern, die den Hauptschulabschluss innerhalb dieser Schule erwerben. Und wir haben es im Gymnasium in den Wahlpflichtangeboten verankert.
Heise: Vier Stunden in der Woche, das ist ja doch ein ganz schön großes Feld. Was lernen die Schüler da, womit beispielsweise befassen sie sich als Fünft- oder Siebtklässler?
Olbertz: Man muss vorsichtig sein, vier Wochenstunden beziehen sich auf die Fächergruppe Wirtschaft/Technik/Hauswirtschaft, das jeweils dann unterschiedlich akzentuiert wird. Es sind also sozusagen drei Fächer, die einen Fachverbund bilden. Was lernen sie dort? Die lernen dort vor allem im Sekundarschulbereich solche wichtigen Dinge wie Haushaltsplanung im privaten Haushalt, Verbraucherinformationen, Funktion des Geldes, Formen von Krediten, auch Säulen der sozialen Sicherung, oder im hauswirtschaftlichen Bereich Finanzierung im privaten Haushalt.
Übrigens im Sachunterricht der Grundschule auch das schöne Thema Umgang mit Taschengeld. Das ist richtig bei uns verankert in den Lehrplänen. Und am Gymnasium sind es die etwas komplexeren Themen wie Geldkreislauf, Anforderungen an Geldinstitute und ihre Leistungen, Geldanlagen, Finanzierungen, Zins- und Zinseszinsberechung, Märkte und Preisbildungen. Also das sind so ein paar Stichworte aus den Rahmenvorgaben in den beiden Schulformen Sekundarschule und Gymnasium.
Heise: Gerade der Anfang, was Sie am Anfang sagten, auch für die jüngeren Schüler oder Real- und Hauptschüler, das klingt mir sehr alltagstauglich. Gibt es Kooperationen auch mit Realwirtschaft oder Banken?
Olbertz: Ja, das ist sehr wichtig. Es ist ja so, dass jedes Jahr der Bundesverband der deutschen Banken Unterrichtsmaterialien herausgibt mit solchen schönen Titeln wie zum Beispiel „Wie Wirtschaft erleben?“ oder das Rollenspiel „Rund ums Geld“. Das verteilen wir in die Schulen und versuchen das auch wirklich als Unterrichtsmaterial zu verwenden. Und ansonsten ist es ja überhaupt wichtig, dass die Themen, die eine Schule generiert im Zusammenhang mit Wirtschaft, irgendwie im Alltagsleben der Schüler, auch außerhalb der Schule, wieder erkennbar bleiben müssen.
Das ist so ein Stück Relevanz und Lernmotivation. Und deswegen verknüpfen wir das ja mit allen Angeboten der Sekundarschule, die zwischen Schule und Arbeitswelt angesiedelt sind, also Schülerbetriebspraktika, Unterrichtstage in Unternehmen oder Schülerfirmen. Wir haben immerhin 50 Schülerfirmen im Land, die auch in einem Wettbewerb zueinander stehen. Also diese Relevanz nach draußen, außerhalb der schulischen Welt, die ja immer eine Kunstwelt ist, die liegt mir sehr am Herzen.
Heise: Sie haben jetzt gerade auch gesagt, dass zum Beispiel die Banken bei Ihnen Material verteilen können. Im Moment stehen die Banken ja nun alles andere als gut da. Wie kritisch kann der Unterricht sein?
Olbertz: Na ja, ich denke, er muss schon kritisch sein. Er darf sicherlich nicht Weltuntergangsstimmungen verbreiten und Schwarz-Weiß-Malereien, in deren Ergebnis jetzt alle Denker Ganoven sind, da wäre ich sehr vorsichtig. Aber allein die Verantwortung im Umgang mit Geld, insbesondere mit Geld, das man nicht selber verdient hat, und Taschengeld ist Geld der Eltern, das finde ich schon ganz interessant, das auch mal moralisch zu reflektieren, denn die müssen dafür in aller Regel hart arbeiten.
Und ich finde es wichtig, dass auch Eltern einbezogen sind und ihren Sprösslingen klar machen, wir sind dann großzügig, wenn ihr mit dem Geld verantwortlich und vernünftig umgeht. Denken wir Handyrechnungen, denken wir an Süßigkeiten oder denken wir, was weiß ich, an Diskobesuche und dergleichen. Das ist ja alles mit dem Ausgeben von Geld verbunden, wo immer auch mit bedacht werden muss, dass irgendjemand das verdienen muss.
Heise: Das heißt, die Verantwortung im Großen wird da im Kleinen irgendwie nachgestellt. Spielen denn so Stichworte wie Vetternwirtschaft, Korruption, Finanzblase oder Heuschrecken eine Rolle?
Olbertz: Ja, natürlich. Das ist ja in den Stichworten, die ich vorhin genannt habe, also wenn wir meinetwegen im Gymnasium über Währungen und Wechselkurse sprechen oder darüber, was sich hinter dem geheimnisvollen Wort DAX verbindet, man vermutet ja erst mal ein Pelztier, das ist ja was ganz anderes, es ist der Aktienindex. Und alleine das Rauf und Runter solcher Werte oder Börsenkurse zeigt ja auch, wie hoch spekulative Anteile an diesen Entwicklungen sind.
Ich bespreche es mit jungen Leuten manchmal entlang der Spritpreise, die ja zu den Verhältnissen, die in Rotterdam herrschen, in keinem direkten Zusammenhang zu stehen scheinen, insbesondere dann nicht, wenn ich in zwei verschiedenen Nachbarstädten ganz unterschiedliche Spritpreise habe. Da ein kritisches Bewusstsein zu entwickeln und durchaus auch Anlass zu geben, dass junge Leute dieses sehr wilde Spiel der Kräfte auch kritisch sehen, halte ich für eine Verpflichtung eines aufgeklärten Wirtschaftsunterrichts.
Heise: Sagt Jan-Hendrik Olbertz, Kultusminister in Sachsen-Anhalt. Er ist ein Befürworter des Schulfaches Wirtschaft. Sie hören ihn hier bei uns im „Radiofeuilleton“ im Deutschlandradio Kultur. Herr Olbertz, wenn ich Sie richtig verstehe, ist Wirtschaftsunterricht auch schon durchaus Werteunterricht bei Ihnen?
Olbertz: Ja. Es ist ja ohnehin so, dass wir aufpassen müssen, nicht mit jeder Krise, die wir in der Gesellschaft beobachten, immerfort neue Unterrichtsfächer zu verlangen. Das würde immer auf Kosten der Kernfächer gehen, weil die Zahl der Stunden nun mal begrenzt ist, so wie die Zahl der Stunden eines Tages begrenzt ist. Deswegen sind das sehr oft Querschnittsthemen, die also auch in anderen Fächern behandelt werden und aufgeworfen werden und zum Beispiel das Fach Ethik/Sozialkunde kann sich durchaus mit einer Wirtschaftslehre beschäftigen, die auch Gebote wie Gerechtigkeit und Fairness kennt.
Genauso wichtig ist, Leistungsanreiz beispielsweise, oder denken wir mal an alle Fragen, die mit der, wie soll man sagen, mit der Ehrlichkeit von Geschäftsleuten zusammenhängen. Oder der wunderbare Grundsatz „Eigentum verpflichtet“ ist ja alles andere als ein ausschließlich wirtschaftlicher Grundsatz.
Heise: Aber wenn ich Sie da richtig verstehe, dann wird das genau aus dem Wirtschaftsunterricht rausgenommen und dann eher bei Ethik eventuell behandelt.
Olbertz: Na ja, das ist ja auch meine Kritik im Moment an den Verhältnissen, das bezieht sich übrigens auch auf mein Land, dass wir immer noch zu stark Unterrichtsgegenstände streng aufteilen auf einzelne verschiedene Fächer und dann mehr voneinander abgrenzen. Solche Fragen müssen meiner Ansicht nach übergreifend behandelt werden und nicht nur in der singulären Zuordnung zu einem einzelnen Fach. Also das Thema „Eigentum verpflichtet“ als ein ethischer Grundsatz gehört genauso in den harten Wirtschaftskundeunterricht wie in den Ethikunterricht. Und dann muss es gelingen, Verbindungen herzustellen, das heißt Brücken zu schlagen, und dann kann es spannend werden.
Heise: Gerade da gehen aber häufig die Verbindlichkeiten verloren, dann ist nämlich eben doch ein anderes Thema wichtig, und dann kommt eben genau diese Frage nicht zum Tragen. Wie sind eigentlich Ihre Lehrer ausgebildet?
Olbertz: Wir haben ja ausgebildete Lehrer für das Lehramt Wirtschaft und Technik, wir haben gleichzeitig, will ich gar nicht verschweigen, ein Problem mit dem Lehrernachwuchs. Im Moment wird in der Universität Magdeburg eng angelehnt an das Lehramt an berufsbildenden Schulen ein solches Studium völlig neu geplant, denn ich mache mir schon Sorgen, dass wir für diese wichtigen Fächer in absehbarer Zeit nicht genug Lehrer haben. Und der andere Punkt ist natürlich die Lehrerfortbildung. Gerade jetzt die Bankenkrise zeigt, dass wir da, glaube ich, erhebliche Defizite haben, insbesondere was Finanzpolitik betrifft und Bankenwesen.
Denn man kann, glaube ich, nicht mit dumpfen Ängsten oder dumpfen Abwehrgefühlen diese Entwicklung begleiten, sondern da braucht man schon auch eine offensive kritische Haltung, um auch mit einem gewissen Realitätssinn und einem begründeten Optimismus und nicht einem Schönreden der Krise die dann zu meistern. Denn das Vertrauen der jungen Leute, überhaupt der Menschen insgesamt, in das Bank- und Finanzwesen, das dürfte zurzeit nicht allzu groß sein.
Heise: Da haben Sie wohl recht. Was entgegnen Sie eigentlich Kritikern, die sagen, die Schule und der Unterricht sollen nicht noch mehr unter ökonomischen Gesichtspunkten gestaltet werden?
Olbertz: Ich kann diese Kritik schon verstehen, weil die Ökonomisierung unseres gesamten Alltagslebens ja auch eine ganze Menge von Problemen aufwirft und auch viele andere universelle Fähigkeiten von jungen Menschen unter Umständen eingrenzt. Auf der anderen Seite ist eine Bildungskonzeption nicht auf Relevanz gegründet, wenn sie solche ganz praktischen Dinge ausblendet. Ich glaube, die Kunst besteht wie so häufig im Leben in einem Mittelweg, die reflexiven und systematischen Belange von Bildung, über die die Kinder schlicht und ergreifend denken und urteilen lernen, einerseits und den Erwerb praktischer Kompetenzen andererseits einigermaßen gut zu verknüpfen.
Heise: Sagen Sie, erwarten Sie eigentlich demnächst, jetzt aufgrund dieser Situation, die wir haben, einen bundeseinheitlichen Referenzrahmen für ein Wirtschaftsfach in der Schule?
Olbertz: Das glaube ich eher weniger. Ich setze Hoffnungen in das Bemühen der Kultusministerkonferenz, also der Gemeinschaft der Kultusminister, immer mehr Fächer aufzunehmen, in den Kanons, für die es Bildungsstandards gibt. Also die Länder müssen sich untereinander einigen und gemeinsame Maßstäbe formulieren. Ich glaube, wir können nicht auf zentrale Vorgaben warten, würde im Übrigen auch dem Hoheitsprinzip widersprechen. Und ich habe auch vor zentralen Vorgaben eine gewisse Scheu, denn wenn die nichts taugen, taugen sie in ganz Deutschland anschließend nichts.
Heise: Das Schulfach Wirtschaft im Land der Frühaufsteher, wie sich Sachsen-Anhalt selber nennt, ist es durchgesetzt. Jan-Hendrik Olbertz, sachsen-anhaltinischer Kultusminister, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.
Olbertz: Ich danke Ihnen auch.
Jan-Hendrik Olbertz: Guten Morgen Frau Heise, ich grüße Sie auch.
Heise: Wie fest verankert ist denn das Schulfach Wirtschaft? Ist es ein Pflichtfach bei Ihnen?
Olbertz: Das ist unterschiedlich. Wir haben es in der Sekundarschule oder Realschule, wie sie in anderen Ländern heißt, als Pflichtfach verankert, und insbesondere dort mit vier Stunden im Wochenstundenplan bei den Schülern, die den Hauptschulabschluss innerhalb dieser Schule erwerben. Und wir haben es im Gymnasium in den Wahlpflichtangeboten verankert.
Heise: Vier Stunden in der Woche, das ist ja doch ein ganz schön großes Feld. Was lernen die Schüler da, womit beispielsweise befassen sie sich als Fünft- oder Siebtklässler?
Olbertz: Man muss vorsichtig sein, vier Wochenstunden beziehen sich auf die Fächergruppe Wirtschaft/Technik/Hauswirtschaft, das jeweils dann unterschiedlich akzentuiert wird. Es sind also sozusagen drei Fächer, die einen Fachverbund bilden. Was lernen sie dort? Die lernen dort vor allem im Sekundarschulbereich solche wichtigen Dinge wie Haushaltsplanung im privaten Haushalt, Verbraucherinformationen, Funktion des Geldes, Formen von Krediten, auch Säulen der sozialen Sicherung, oder im hauswirtschaftlichen Bereich Finanzierung im privaten Haushalt.
Übrigens im Sachunterricht der Grundschule auch das schöne Thema Umgang mit Taschengeld. Das ist richtig bei uns verankert in den Lehrplänen. Und am Gymnasium sind es die etwas komplexeren Themen wie Geldkreislauf, Anforderungen an Geldinstitute und ihre Leistungen, Geldanlagen, Finanzierungen, Zins- und Zinseszinsberechung, Märkte und Preisbildungen. Also das sind so ein paar Stichworte aus den Rahmenvorgaben in den beiden Schulformen Sekundarschule und Gymnasium.
Heise: Gerade der Anfang, was Sie am Anfang sagten, auch für die jüngeren Schüler oder Real- und Hauptschüler, das klingt mir sehr alltagstauglich. Gibt es Kooperationen auch mit Realwirtschaft oder Banken?
Olbertz: Ja, das ist sehr wichtig. Es ist ja so, dass jedes Jahr der Bundesverband der deutschen Banken Unterrichtsmaterialien herausgibt mit solchen schönen Titeln wie zum Beispiel „Wie Wirtschaft erleben?“ oder das Rollenspiel „Rund ums Geld“. Das verteilen wir in die Schulen und versuchen das auch wirklich als Unterrichtsmaterial zu verwenden. Und ansonsten ist es ja überhaupt wichtig, dass die Themen, die eine Schule generiert im Zusammenhang mit Wirtschaft, irgendwie im Alltagsleben der Schüler, auch außerhalb der Schule, wieder erkennbar bleiben müssen.
Das ist so ein Stück Relevanz und Lernmotivation. Und deswegen verknüpfen wir das ja mit allen Angeboten der Sekundarschule, die zwischen Schule und Arbeitswelt angesiedelt sind, also Schülerbetriebspraktika, Unterrichtstage in Unternehmen oder Schülerfirmen. Wir haben immerhin 50 Schülerfirmen im Land, die auch in einem Wettbewerb zueinander stehen. Also diese Relevanz nach draußen, außerhalb der schulischen Welt, die ja immer eine Kunstwelt ist, die liegt mir sehr am Herzen.
Heise: Sie haben jetzt gerade auch gesagt, dass zum Beispiel die Banken bei Ihnen Material verteilen können. Im Moment stehen die Banken ja nun alles andere als gut da. Wie kritisch kann der Unterricht sein?
Olbertz: Na ja, ich denke, er muss schon kritisch sein. Er darf sicherlich nicht Weltuntergangsstimmungen verbreiten und Schwarz-Weiß-Malereien, in deren Ergebnis jetzt alle Denker Ganoven sind, da wäre ich sehr vorsichtig. Aber allein die Verantwortung im Umgang mit Geld, insbesondere mit Geld, das man nicht selber verdient hat, und Taschengeld ist Geld der Eltern, das finde ich schon ganz interessant, das auch mal moralisch zu reflektieren, denn die müssen dafür in aller Regel hart arbeiten.
Und ich finde es wichtig, dass auch Eltern einbezogen sind und ihren Sprösslingen klar machen, wir sind dann großzügig, wenn ihr mit dem Geld verantwortlich und vernünftig umgeht. Denken wir Handyrechnungen, denken wir an Süßigkeiten oder denken wir, was weiß ich, an Diskobesuche und dergleichen. Das ist ja alles mit dem Ausgeben von Geld verbunden, wo immer auch mit bedacht werden muss, dass irgendjemand das verdienen muss.
Heise: Das heißt, die Verantwortung im Großen wird da im Kleinen irgendwie nachgestellt. Spielen denn so Stichworte wie Vetternwirtschaft, Korruption, Finanzblase oder Heuschrecken eine Rolle?
Olbertz: Ja, natürlich. Das ist ja in den Stichworten, die ich vorhin genannt habe, also wenn wir meinetwegen im Gymnasium über Währungen und Wechselkurse sprechen oder darüber, was sich hinter dem geheimnisvollen Wort DAX verbindet, man vermutet ja erst mal ein Pelztier, das ist ja was ganz anderes, es ist der Aktienindex. Und alleine das Rauf und Runter solcher Werte oder Börsenkurse zeigt ja auch, wie hoch spekulative Anteile an diesen Entwicklungen sind.
Ich bespreche es mit jungen Leuten manchmal entlang der Spritpreise, die ja zu den Verhältnissen, die in Rotterdam herrschen, in keinem direkten Zusammenhang zu stehen scheinen, insbesondere dann nicht, wenn ich in zwei verschiedenen Nachbarstädten ganz unterschiedliche Spritpreise habe. Da ein kritisches Bewusstsein zu entwickeln und durchaus auch Anlass zu geben, dass junge Leute dieses sehr wilde Spiel der Kräfte auch kritisch sehen, halte ich für eine Verpflichtung eines aufgeklärten Wirtschaftsunterrichts.
Heise: Sagt Jan-Hendrik Olbertz, Kultusminister in Sachsen-Anhalt. Er ist ein Befürworter des Schulfaches Wirtschaft. Sie hören ihn hier bei uns im „Radiofeuilleton“ im Deutschlandradio Kultur. Herr Olbertz, wenn ich Sie richtig verstehe, ist Wirtschaftsunterricht auch schon durchaus Werteunterricht bei Ihnen?
Olbertz: Ja. Es ist ja ohnehin so, dass wir aufpassen müssen, nicht mit jeder Krise, die wir in der Gesellschaft beobachten, immerfort neue Unterrichtsfächer zu verlangen. Das würde immer auf Kosten der Kernfächer gehen, weil die Zahl der Stunden nun mal begrenzt ist, so wie die Zahl der Stunden eines Tages begrenzt ist. Deswegen sind das sehr oft Querschnittsthemen, die also auch in anderen Fächern behandelt werden und aufgeworfen werden und zum Beispiel das Fach Ethik/Sozialkunde kann sich durchaus mit einer Wirtschaftslehre beschäftigen, die auch Gebote wie Gerechtigkeit und Fairness kennt.
Genauso wichtig ist, Leistungsanreiz beispielsweise, oder denken wir mal an alle Fragen, die mit der, wie soll man sagen, mit der Ehrlichkeit von Geschäftsleuten zusammenhängen. Oder der wunderbare Grundsatz „Eigentum verpflichtet“ ist ja alles andere als ein ausschließlich wirtschaftlicher Grundsatz.
Heise: Aber wenn ich Sie da richtig verstehe, dann wird das genau aus dem Wirtschaftsunterricht rausgenommen und dann eher bei Ethik eventuell behandelt.
Olbertz: Na ja, das ist ja auch meine Kritik im Moment an den Verhältnissen, das bezieht sich übrigens auch auf mein Land, dass wir immer noch zu stark Unterrichtsgegenstände streng aufteilen auf einzelne verschiedene Fächer und dann mehr voneinander abgrenzen. Solche Fragen müssen meiner Ansicht nach übergreifend behandelt werden und nicht nur in der singulären Zuordnung zu einem einzelnen Fach. Also das Thema „Eigentum verpflichtet“ als ein ethischer Grundsatz gehört genauso in den harten Wirtschaftskundeunterricht wie in den Ethikunterricht. Und dann muss es gelingen, Verbindungen herzustellen, das heißt Brücken zu schlagen, und dann kann es spannend werden.
Heise: Gerade da gehen aber häufig die Verbindlichkeiten verloren, dann ist nämlich eben doch ein anderes Thema wichtig, und dann kommt eben genau diese Frage nicht zum Tragen. Wie sind eigentlich Ihre Lehrer ausgebildet?
Olbertz: Wir haben ja ausgebildete Lehrer für das Lehramt Wirtschaft und Technik, wir haben gleichzeitig, will ich gar nicht verschweigen, ein Problem mit dem Lehrernachwuchs. Im Moment wird in der Universität Magdeburg eng angelehnt an das Lehramt an berufsbildenden Schulen ein solches Studium völlig neu geplant, denn ich mache mir schon Sorgen, dass wir für diese wichtigen Fächer in absehbarer Zeit nicht genug Lehrer haben. Und der andere Punkt ist natürlich die Lehrerfortbildung. Gerade jetzt die Bankenkrise zeigt, dass wir da, glaube ich, erhebliche Defizite haben, insbesondere was Finanzpolitik betrifft und Bankenwesen.
Denn man kann, glaube ich, nicht mit dumpfen Ängsten oder dumpfen Abwehrgefühlen diese Entwicklung begleiten, sondern da braucht man schon auch eine offensive kritische Haltung, um auch mit einem gewissen Realitätssinn und einem begründeten Optimismus und nicht einem Schönreden der Krise die dann zu meistern. Denn das Vertrauen der jungen Leute, überhaupt der Menschen insgesamt, in das Bank- und Finanzwesen, das dürfte zurzeit nicht allzu groß sein.
Heise: Da haben Sie wohl recht. Was entgegnen Sie eigentlich Kritikern, die sagen, die Schule und der Unterricht sollen nicht noch mehr unter ökonomischen Gesichtspunkten gestaltet werden?
Olbertz: Ich kann diese Kritik schon verstehen, weil die Ökonomisierung unseres gesamten Alltagslebens ja auch eine ganze Menge von Problemen aufwirft und auch viele andere universelle Fähigkeiten von jungen Menschen unter Umständen eingrenzt. Auf der anderen Seite ist eine Bildungskonzeption nicht auf Relevanz gegründet, wenn sie solche ganz praktischen Dinge ausblendet. Ich glaube, die Kunst besteht wie so häufig im Leben in einem Mittelweg, die reflexiven und systematischen Belange von Bildung, über die die Kinder schlicht und ergreifend denken und urteilen lernen, einerseits und den Erwerb praktischer Kompetenzen andererseits einigermaßen gut zu verknüpfen.
Heise: Sagen Sie, erwarten Sie eigentlich demnächst, jetzt aufgrund dieser Situation, die wir haben, einen bundeseinheitlichen Referenzrahmen für ein Wirtschaftsfach in der Schule?
Olbertz: Das glaube ich eher weniger. Ich setze Hoffnungen in das Bemühen der Kultusministerkonferenz, also der Gemeinschaft der Kultusminister, immer mehr Fächer aufzunehmen, in den Kanons, für die es Bildungsstandards gibt. Also die Länder müssen sich untereinander einigen und gemeinsame Maßstäbe formulieren. Ich glaube, wir können nicht auf zentrale Vorgaben warten, würde im Übrigen auch dem Hoheitsprinzip widersprechen. Und ich habe auch vor zentralen Vorgaben eine gewisse Scheu, denn wenn die nichts taugen, taugen sie in ganz Deutschland anschließend nichts.
Heise: Das Schulfach Wirtschaft im Land der Frühaufsteher, wie sich Sachsen-Anhalt selber nennt, ist es durchgesetzt. Jan-Hendrik Olbertz, sachsen-anhaltinischer Kultusminister, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.
Olbertz: Ich danke Ihnen auch.