Olaf Scholz: Müntefering nicht isoliert
Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Olaf Scholz, sieht Arbeitsminister Franz Müntefering trotz dessen Niederlage im Streit um das Arbeitslosengeld I nicht geschwächt. Müntefering leiste eine erfolgreiche Politik und werde von allen unterstützt. Nur in einer Sachfrage vertrete er eine Position, die von den meisten nicht geteilt werde, sagte Scholz.
Sagenschneider: Das hatte sich Kurt Beck so schön vorgestellt. Mit einer einzigen Idee wollte er sich ganz viele Freunde machen: bei den Gewerkschaften, bei den Wählern. Die SPD sollte wieder profiliert werden als Partei der sozialen Gerechtigkeit. Tja, aber da ist nun Franz Müntefering, der nicht so recht mitspielen will, der es nach wie vor ablehnt, die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I für ältere Arbeitnehmer zu verlängern und überhaupt die Agenda 2010 zu verändern. Ein Krisentreffen hat keine Annäherung gebracht. Man konnte oder wollte sich nicht auf einen Kompromiss verständigen.
Nach dem jetzigen Stand ist Franz Müntefering der Verlierer, denn Kurt Beck kann offenbar auf die Zustimmung der SPD zählen, der Mehrheit: erst mal am Montag im Vorstand und nächste Woche in Hamburg auf dem Parteitag. Aber hat diese Debatte nun wirklich der SPD genutzt? Olaf Scholz ist Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion und nun am Telefon von Deutschlandradio Kultur. Guten Morgen, Herr Scholz!
Scholz: Guten Morgen!
Sagenschneider: Wie isoliert ist Franz Müntefering?
Scholz: Gar nicht. Er hat eine Position, die, soweit man das überblicken kann, von den meisten nicht geteilt wird, in einer einzigen Sachfrage. Aber ansonsten wird seine ja sehr erfolgreiche Politik als Arbeitsminister von allen unterstützt. Wir alle arbeiten gemeinsam daran, dass die Arbeitsvermittlung immer besser wird, und wir arbeiten gemeinsam mit ihm daran, dass wir politisch in Deutschland gesetzliche Mindestlöhne durchsetzen können. Da ziehen wir an einem Strang.
Sagenschneider: Trotzdem wird Franz Müntefering eine Politik vertreten müssen, hinter der er nicht steht, die er für falsch hält, und das sagt er ja auch deutlich.
Scholz: Wir sind alle nicht in Parteien, weil wir ganz alleine nur unserer Meinung sind, sondern weil wir glauben, dass es gut ist, sich zusammenzuschließen, weil man gemeinsam mehr durchsetzen kann. Das bedeutet auch, dass man sich ein bisschen nach dem richtet, was alle gemeinsam beschließen. So geht das und ich glaube, das versteht jeder Wähler auch so. Der wählt ja auch eine Partei nicht, weil er 100 Prozent richtig findet, sondern 80 Prozent.
Sagenschneider: Na ja, aber Müntefering hat bislang offen gelassen, inwieweit er sich im Kabinett für diese Idee stark machen wird, tatsächlich stark machen wird. Und dass auch Bundesfinanzminister Steinbrück und Außenminister Steinmeier nicht gerade warmherzig eine Veränderung der Agenda 2010 verteidigen werden, ist ja auch kein Geheimnis.
Scholz: Der Finanzminister und der Außenminister haben gesagt, dass sie den Parteivorsitzenden Kurt Beck mit seinem Vorschlag unterstützen. Und in der Tat, für diesen Vorschlag spricht ja auch viel: 24 Monate als Höchstanspruch sind gerade mal sechs Monate mehr als jetzt 18 Monate. Das kann man nicht so substanziell sehen, dass man sagen kann, das kann man nur so oder so sehen, aber es entspricht dem Gerechtigkeitsbild vieler Menschen und es ist ja richtig, eine engagierte Politik zu machen, auch Anstrengungen damit zu verbinden. Aber man muss immer sehen, dass alle mitkommen. Ich glaube, das ist das, was bei diesem Vorschlag herauskommt. Deshalb wird er auch überall Unterstützung kriegen und wie ich annehme im Kabinett sich auch durchsetzen, auch bei der Union.
Sagenschneider: Darauf kommen wir später noch mal zurück. Mich würde erst mal interessieren, Herr Scholz, warum eigentlich kein Kompromiss möglich war, oder war der nicht gewollt zwischen Beck und Müntefering?
Scholz: Da ist ganz bewusst nicht öffentlich diskutiert worden und ich werde diese Öffentlichkeit jetzt nicht in unserem Gespräch nachträglich herstellen. Es sind viele Dinge hin- und hergewendet worden. Es spricht für alles etwas und man muss sich am Ende entscheiden. Am Ende wird es so sein, dass am Montag der Parteivorstand über den Vorschlag von Kurt Beck abstimmen wird, der eben bedeutet, dass wir den Höchstanspruch um sechs Monate verlängern.
Sagenschneider: Wollen Sie nicht so recht was dazu sagen, weil es im Grunde doch dann um die Machtfrage ginge?
Scholz: Es ging nicht um die Machtfrage, auch wenn das ein beliebtes Journalisten- und Politikerthema ist, sondern es ging darum, sich in der Sache auf etwas zu verständigen. Wenn man persönlich anderer Meinung ist, dann ist es auch ganz normal zu sagen, das sehe ich eben anders. Das ist dann wichtig für die eigene Position, aber trotzdem sich an das gemeinsam Beschlossene zu halten und so wird es ausgehen.
Sagenschneider: Wie, Herr Scholz, verhält es sich eigentlich mit der Glaubwürdigkeit der SPD, wenn sie nun Kurt Beck folgt, denn vor einem Jahr, als die CDU ihren Parteitagsbeschluss in Sachen Arbeitslosengeld I verabschiedet hat, da wurde das ja von der SPD fast einhellig kritisiert, auch von Kurt Beck. Was hat sich also geändert in den letzten 12 Monaten, außer dass die Umfragewerte für die SPD sich eher noch verschlechtert haben?
Scholz: Der Vorschlag von Herrn Rüttgers, den die CDU beschlossen hat, war schlecht und bleibt schlecht. Den haben wir damals zurecht abgelehnt und das tun wir auch heute noch, denn der hat ja auf eine etwas eigenwillige Art und Weise funktioniert. Öffentlich wurde gesagt, es soll 24 Monate höchstens geben - und das haben auch glaube ich die meisten Menschen verstanden und gehört -, aber tatsächlich wurde sehr viel Kleingedrucktes mit dieser Sache verbunden: zum Beispiel, dass Jüngere weniger kriegen sollen, dass Frauen, die eine Betreuungsphase für Kinder eingelegt haben, weniger kriegen sollen, dass Arbeitslose, die schon mal arbeitslos waren, weniger kriegen sollen. Und das Schlimmste, was in diesen Beschlüssen drinsteht: Es war sogar vorgesehen, dass bei denjenigen, die nicht Arbeitslosengeld I, sondern Arbeitslosengeld II bekommen, in Zukunft, egal ob die mit in einem Haushalt leben oder nicht, Eltern und Kinder für den Hilfesuchenden aufkommen müssen. Ein 50-Jähriger muss bei seinen Eltern oder seinen Kindern erst mal nachfragen, ob sie nicht was für ihn über haben, bevor das Arbeitslosengeld II einsetzt. Solche Beschlüsse kann man mit uns nicht umsetzen. Das werden wir auch nicht machen. Wir wollen eine Verbesserung, keine Verschlechterung.
Sagenschneider: Was bringt denn dann eine Verlängerung der Bezugsdauer für ältere Arbeitslose wirklich? Oder führt das im Grunde nur dazu, dass die Firmen das so handhaben wie früher, dass Ältere gerne schon mal etwas früher in den Ruhestand geschickt werden, weil man sich sagt na ja, der Staat zahlt's ja dann schon?
Scholz: Eine sehr berechtigte Frage, übrigens genau die, über die wir sehr intensiv gegenwärtig in der SPD diskutieren, denn keiner von uns will, dass die schlimmen Zustände wiederkehren, die wir in den 80er und 90er Jahren hatten, wo Betriebe mit Hilfe einer staatlichen Sozialleistung ihre älteren und meistens ja am besten vom Kündigungsschutz gesicherten Belegschaften aus den Betrieben gedrängt haben. Das darf nicht wieder sein.
Aber es gibt viele Gründe anzunehmen, warum das nicht so ist. Das erste ist: Das, womit das immer geklappt hat, war vor allem die frühe Möglichkeit, Rente wegen Arbeitslosigkeit zu kriegen. Wenn man dann davor das Arbeitslosengeld gepackt hat, dann gab es eine lange Phase, wo jemand gewissermaßen aus öffentlichen Kassen früher bezahlt wurde und man dann als Unternehmen nur den Rest dazutun musste. Das wird nicht wieder gehen, denn die Rente wegen Arbeitslosigkeit ist erst sehr viel später beziehbar beziehungsweise für die Leute, die nach 1951 geboren sind, gar nicht mehr. Insofern fehlt es an der Struktur, diesen Anreiz zu machen.
Vergessen wir auch nicht: Im Anschluss an den Arbeitslosengeld-Bezug schließt sich dann das Arbeitslosengeld II an und nicht mehr die frühere Arbeitslosenhilfe, die eben doch viel Unbeweglichkeit erzeugt hat. Diese beiden Dinge zusammen sprechen alle dafür, dass wir diese Zustände nicht wieder haben. Und zuletzt: wir wollen auch für Missbrauchsregeln sorgen, so dass das alles ausgeschlossen bleibt, denn das ist ein ernsthaftes Thema und das darf nicht wieder passieren.
Sagenschneider: Aber man nimmt etwas den Druck weg, sich rasch eine Arbeit zu suchen, auch wenn sie nicht so gut bezahlt ist wie der vorherige Job, und darin bestand ja eigentlich die Idee. Die Zahlen zeigen ja auch, dass die Agenda 2010 hier durchaus Erfolge gebracht hat. Die Beschäftigungsquote der über 55-Jährigen ist rasant nach unten gegangen und die Arbeitslosigkeit bei den über 50-Jährigen im letzten Jahr deutlich gesunken.
Scholz: Zunächst mal freue ich mich darüber, wer jetzt alles die Agenda 2010 lobt. Das hätte man im letzten Wahlkampf etwas lauter gerne von unseren politischen Opponenten gehört, dass wir alles richtig gemacht haben. Ich habe das anders verstanden in der Zeit. Aber es ist ja schön, dass das jetzt eingesehen wird. Dafür aber darf ich dann auch sagen, dass diese ganze Reform-Agenda, die ich ja nun ganz wesentlich mit durchgesetzt habe, ein viel umfassenderes Programm hat als diesen einen kleinen Punkt.
Sagenschneider: Aber das ist ein wichtiger Punkt!
Scholz: Nein, es ist ein Punkt unter vielen. Es ist sogar in der Arbeitsmarktpolitik nicht der wichtigste, wie Sie ja eben schon hoffentlich sehen konnten, als ich erläutert habe, was alles zusammenwirkt, damit es keine Missbrauchssituation gibt.
Ich will etwas zu Ihrem Argument sagen, dass die Menschen dann nicht rechtzeitig sich um neue Arbeit bemühen. Das ist ja irgendwie eines, das am Ende keine Schranke mehr hat. Irgendwo ist dann jede Grenze, jede Leistung, die über eine bestimmte Dauer bezogen wird, diskutierbar. Es geht doch nur darum, dass wir dafür sorgen, dass die Menschen sich früh um Arbeit bemühen und dass man ihnen auch diesen Rat gibt, dass es schlechter ist, lange zu warten als nicht, und dass man ganz viel Vermittlung mit ihnen macht, was ja früher auch nicht passiert ist. Dann ist es aus der individuellen Perspektive von Ihnen, von mir und vielen anderen, die sich natürlich in der ersten Minute um neue Arbeit bemühen werden, doch besser, dass man weiß, wenn man älter ist, dass man notfalls, falls all diese Bemühungen nichts bringen, etwas länger gesichert ist. Das ist die Perspektive der Menschen, die wir uns hier zu eigen machen.
Nach dem jetzigen Stand ist Franz Müntefering der Verlierer, denn Kurt Beck kann offenbar auf die Zustimmung der SPD zählen, der Mehrheit: erst mal am Montag im Vorstand und nächste Woche in Hamburg auf dem Parteitag. Aber hat diese Debatte nun wirklich der SPD genutzt? Olaf Scholz ist Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion und nun am Telefon von Deutschlandradio Kultur. Guten Morgen, Herr Scholz!
Scholz: Guten Morgen!
Sagenschneider: Wie isoliert ist Franz Müntefering?
Scholz: Gar nicht. Er hat eine Position, die, soweit man das überblicken kann, von den meisten nicht geteilt wird, in einer einzigen Sachfrage. Aber ansonsten wird seine ja sehr erfolgreiche Politik als Arbeitsminister von allen unterstützt. Wir alle arbeiten gemeinsam daran, dass die Arbeitsvermittlung immer besser wird, und wir arbeiten gemeinsam mit ihm daran, dass wir politisch in Deutschland gesetzliche Mindestlöhne durchsetzen können. Da ziehen wir an einem Strang.
Sagenschneider: Trotzdem wird Franz Müntefering eine Politik vertreten müssen, hinter der er nicht steht, die er für falsch hält, und das sagt er ja auch deutlich.
Scholz: Wir sind alle nicht in Parteien, weil wir ganz alleine nur unserer Meinung sind, sondern weil wir glauben, dass es gut ist, sich zusammenzuschließen, weil man gemeinsam mehr durchsetzen kann. Das bedeutet auch, dass man sich ein bisschen nach dem richtet, was alle gemeinsam beschließen. So geht das und ich glaube, das versteht jeder Wähler auch so. Der wählt ja auch eine Partei nicht, weil er 100 Prozent richtig findet, sondern 80 Prozent.
Sagenschneider: Na ja, aber Müntefering hat bislang offen gelassen, inwieweit er sich im Kabinett für diese Idee stark machen wird, tatsächlich stark machen wird. Und dass auch Bundesfinanzminister Steinbrück und Außenminister Steinmeier nicht gerade warmherzig eine Veränderung der Agenda 2010 verteidigen werden, ist ja auch kein Geheimnis.
Scholz: Der Finanzminister und der Außenminister haben gesagt, dass sie den Parteivorsitzenden Kurt Beck mit seinem Vorschlag unterstützen. Und in der Tat, für diesen Vorschlag spricht ja auch viel: 24 Monate als Höchstanspruch sind gerade mal sechs Monate mehr als jetzt 18 Monate. Das kann man nicht so substanziell sehen, dass man sagen kann, das kann man nur so oder so sehen, aber es entspricht dem Gerechtigkeitsbild vieler Menschen und es ist ja richtig, eine engagierte Politik zu machen, auch Anstrengungen damit zu verbinden. Aber man muss immer sehen, dass alle mitkommen. Ich glaube, das ist das, was bei diesem Vorschlag herauskommt. Deshalb wird er auch überall Unterstützung kriegen und wie ich annehme im Kabinett sich auch durchsetzen, auch bei der Union.
Sagenschneider: Darauf kommen wir später noch mal zurück. Mich würde erst mal interessieren, Herr Scholz, warum eigentlich kein Kompromiss möglich war, oder war der nicht gewollt zwischen Beck und Müntefering?
Scholz: Da ist ganz bewusst nicht öffentlich diskutiert worden und ich werde diese Öffentlichkeit jetzt nicht in unserem Gespräch nachträglich herstellen. Es sind viele Dinge hin- und hergewendet worden. Es spricht für alles etwas und man muss sich am Ende entscheiden. Am Ende wird es so sein, dass am Montag der Parteivorstand über den Vorschlag von Kurt Beck abstimmen wird, der eben bedeutet, dass wir den Höchstanspruch um sechs Monate verlängern.
Sagenschneider: Wollen Sie nicht so recht was dazu sagen, weil es im Grunde doch dann um die Machtfrage ginge?
Scholz: Es ging nicht um die Machtfrage, auch wenn das ein beliebtes Journalisten- und Politikerthema ist, sondern es ging darum, sich in der Sache auf etwas zu verständigen. Wenn man persönlich anderer Meinung ist, dann ist es auch ganz normal zu sagen, das sehe ich eben anders. Das ist dann wichtig für die eigene Position, aber trotzdem sich an das gemeinsam Beschlossene zu halten und so wird es ausgehen.
Sagenschneider: Wie, Herr Scholz, verhält es sich eigentlich mit der Glaubwürdigkeit der SPD, wenn sie nun Kurt Beck folgt, denn vor einem Jahr, als die CDU ihren Parteitagsbeschluss in Sachen Arbeitslosengeld I verabschiedet hat, da wurde das ja von der SPD fast einhellig kritisiert, auch von Kurt Beck. Was hat sich also geändert in den letzten 12 Monaten, außer dass die Umfragewerte für die SPD sich eher noch verschlechtert haben?
Scholz: Der Vorschlag von Herrn Rüttgers, den die CDU beschlossen hat, war schlecht und bleibt schlecht. Den haben wir damals zurecht abgelehnt und das tun wir auch heute noch, denn der hat ja auf eine etwas eigenwillige Art und Weise funktioniert. Öffentlich wurde gesagt, es soll 24 Monate höchstens geben - und das haben auch glaube ich die meisten Menschen verstanden und gehört -, aber tatsächlich wurde sehr viel Kleingedrucktes mit dieser Sache verbunden: zum Beispiel, dass Jüngere weniger kriegen sollen, dass Frauen, die eine Betreuungsphase für Kinder eingelegt haben, weniger kriegen sollen, dass Arbeitslose, die schon mal arbeitslos waren, weniger kriegen sollen. Und das Schlimmste, was in diesen Beschlüssen drinsteht: Es war sogar vorgesehen, dass bei denjenigen, die nicht Arbeitslosengeld I, sondern Arbeitslosengeld II bekommen, in Zukunft, egal ob die mit in einem Haushalt leben oder nicht, Eltern und Kinder für den Hilfesuchenden aufkommen müssen. Ein 50-Jähriger muss bei seinen Eltern oder seinen Kindern erst mal nachfragen, ob sie nicht was für ihn über haben, bevor das Arbeitslosengeld II einsetzt. Solche Beschlüsse kann man mit uns nicht umsetzen. Das werden wir auch nicht machen. Wir wollen eine Verbesserung, keine Verschlechterung.
Sagenschneider: Was bringt denn dann eine Verlängerung der Bezugsdauer für ältere Arbeitslose wirklich? Oder führt das im Grunde nur dazu, dass die Firmen das so handhaben wie früher, dass Ältere gerne schon mal etwas früher in den Ruhestand geschickt werden, weil man sich sagt na ja, der Staat zahlt's ja dann schon?
Scholz: Eine sehr berechtigte Frage, übrigens genau die, über die wir sehr intensiv gegenwärtig in der SPD diskutieren, denn keiner von uns will, dass die schlimmen Zustände wiederkehren, die wir in den 80er und 90er Jahren hatten, wo Betriebe mit Hilfe einer staatlichen Sozialleistung ihre älteren und meistens ja am besten vom Kündigungsschutz gesicherten Belegschaften aus den Betrieben gedrängt haben. Das darf nicht wieder sein.
Aber es gibt viele Gründe anzunehmen, warum das nicht so ist. Das erste ist: Das, womit das immer geklappt hat, war vor allem die frühe Möglichkeit, Rente wegen Arbeitslosigkeit zu kriegen. Wenn man dann davor das Arbeitslosengeld gepackt hat, dann gab es eine lange Phase, wo jemand gewissermaßen aus öffentlichen Kassen früher bezahlt wurde und man dann als Unternehmen nur den Rest dazutun musste. Das wird nicht wieder gehen, denn die Rente wegen Arbeitslosigkeit ist erst sehr viel später beziehbar beziehungsweise für die Leute, die nach 1951 geboren sind, gar nicht mehr. Insofern fehlt es an der Struktur, diesen Anreiz zu machen.
Vergessen wir auch nicht: Im Anschluss an den Arbeitslosengeld-Bezug schließt sich dann das Arbeitslosengeld II an und nicht mehr die frühere Arbeitslosenhilfe, die eben doch viel Unbeweglichkeit erzeugt hat. Diese beiden Dinge zusammen sprechen alle dafür, dass wir diese Zustände nicht wieder haben. Und zuletzt: wir wollen auch für Missbrauchsregeln sorgen, so dass das alles ausgeschlossen bleibt, denn das ist ein ernsthaftes Thema und das darf nicht wieder passieren.
Sagenschneider: Aber man nimmt etwas den Druck weg, sich rasch eine Arbeit zu suchen, auch wenn sie nicht so gut bezahlt ist wie der vorherige Job, und darin bestand ja eigentlich die Idee. Die Zahlen zeigen ja auch, dass die Agenda 2010 hier durchaus Erfolge gebracht hat. Die Beschäftigungsquote der über 55-Jährigen ist rasant nach unten gegangen und die Arbeitslosigkeit bei den über 50-Jährigen im letzten Jahr deutlich gesunken.
Scholz: Zunächst mal freue ich mich darüber, wer jetzt alles die Agenda 2010 lobt. Das hätte man im letzten Wahlkampf etwas lauter gerne von unseren politischen Opponenten gehört, dass wir alles richtig gemacht haben. Ich habe das anders verstanden in der Zeit. Aber es ist ja schön, dass das jetzt eingesehen wird. Dafür aber darf ich dann auch sagen, dass diese ganze Reform-Agenda, die ich ja nun ganz wesentlich mit durchgesetzt habe, ein viel umfassenderes Programm hat als diesen einen kleinen Punkt.
Sagenschneider: Aber das ist ein wichtiger Punkt!
Scholz: Nein, es ist ein Punkt unter vielen. Es ist sogar in der Arbeitsmarktpolitik nicht der wichtigste, wie Sie ja eben schon hoffentlich sehen konnten, als ich erläutert habe, was alles zusammenwirkt, damit es keine Missbrauchssituation gibt.
Ich will etwas zu Ihrem Argument sagen, dass die Menschen dann nicht rechtzeitig sich um neue Arbeit bemühen. Das ist ja irgendwie eines, das am Ende keine Schranke mehr hat. Irgendwo ist dann jede Grenze, jede Leistung, die über eine bestimmte Dauer bezogen wird, diskutierbar. Es geht doch nur darum, dass wir dafür sorgen, dass die Menschen sich früh um Arbeit bemühen und dass man ihnen auch diesen Rat gibt, dass es schlechter ist, lange zu warten als nicht, und dass man ganz viel Vermittlung mit ihnen macht, was ja früher auch nicht passiert ist. Dann ist es aus der individuellen Perspektive von Ihnen, von mir und vielen anderen, die sich natürlich in der ersten Minute um neue Arbeit bemühen werden, doch besser, dass man weiß, wenn man älter ist, dass man notfalls, falls all diese Bemühungen nichts bringen, etwas länger gesichert ist. Das ist die Perspektive der Menschen, die wir uns hier zu eigen machen.