Oktoberfest

Tanz auf dem Vulkan

08:17 Minuten
Die ersten Wiesnbesucher rennen nach dem Einlass zu den Festzelten. Im Vordergrund ist eine lachende, junge Frau im Dirndl zu sehen, rechts neben ihr ein junger Mann in Lederhose und Weste über weißem Hemd. Auch die Menschen im Hintergrund strahlen voller Vorfreude auf den Wiesnbesuch. Links im Bild richtet ein junger Mann in Lederhose und schwarzem Hoodie ein Handy auf sich.
Frühe Besucher des Oktoberfests rennen nach dem Einlass zu den Festzelten. Dort wird das Bedürfnis nach Gemeinsamkeit gestillt, sagt der Psychologe Dieter Frey. © picture alliance / dpa / Sven Hoppe
Dieter Frey im Gespräch mit Ute Welty · 17.09.2022
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Nach zwei Jahren Corona-Pause steigt in diesem Jahr wieder das Oktoberfest in München: Der Psychologe Dieter Frey, selbst Professor in der Stadt, will nicht hingehen, denn die Menschen in den Bierzelten verdrängten die Risiken.
Das weltbekannt „O’zapft ist“ ist zurück – nach zwei Jahren, in denen das das größte Volksfest der Welt pandemiebedingt pausieren musste, und bei weiterhin vorhandener Inzidenz.
Dieter Frey, Professor für Psycholologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in der Stadt forscht unter anderem zu Verdrängung und sieht auch beim Oktoberfest auf vielen Ebenen Verdrängungsmechanism wirken. Er kann die Menschen, die feiern wollen, und die Politiker, die das erlauben, aber verstehen.

Risikobereitschaft für das Wiesn-Vergnügen

„Ich sage immer: Menschen sind keine rationalen Wesen, sondern rationalisierende Wesen. Man versucht, es zu rechtfertigen und zu verdrängen“, sagt Frey.
Auch wenn bekannt ist, dass nach jedem Volksfest die Corona-Infektionen steigen, gehen die Besucher hin: Viele Menschen würden zur Theresienwiese gehen und denken, das Problem sei gelöst und nähmen zum Teil auch das Risiko einer Ansteckung in Kauf.  
Das Fest gehöre nun mal zu den ganz wichtigen Sitten und Bräuchen. „Es ist ja fast wie eine Hochzeit oder ein Kindergeburtstag, wo man immer schon hingegangen ist, weil man sieht, das verbindet uns, da ist Spaß", sagt Frey. "Da kann man singen, tanzen! Und nachdem man das jetzt mehrere Jahre nicht ausleben konnte, denken natürlich viele: Jetzt nehmt uns bitte das nicht auch noch weg.“
Dann blende der Mensch viele negative Konsequenzen aus und sagt, ein gewisses Risiko müsse man eben eingehen. „So schlimm wird es nicht sein. Und ich versuche mich ja trotzdem zu schützen.“ Aber es ist wirklich fast so ein Tanz auf dem Vulkan, erklärt der Wissenschaftler. "Ich glaube, dadurch, dass die schlimmste Zeit anscheinend vorbei ist, schleicht sich so eine gewisse Sorglosigkeit ein.“

Ablenkung auf der Theresienwiese

Der Reiz liege in dem Gefühl von Gemeinschaft und dass man sich von den Sorgen des Alltags ablenken und seine Freunde treffen könne. „Und insofern ist es für viele schon ein besonderes Erlebnis, das man nicht jeden Tag hat im oft tristen Alltag. Und ich hätte selber auch Riesenprobleme, den Menschen dieses Jahr wegzunehmen.“
Er selber werde in diesem Jahr wahrscheinlich nicht zum Fest hingehen – „weil ich denke, es ist streng genommen unvernünftig.“ Vom Kopf her geht es eigentlich nicht, sagt er: „Man verlangt in den Fernzügen und in den U-Bahnen Nasen- und Mundbedeckung, und hier wird nichts geschützt.“ Andererseits kann er sich in die anderen Menschen hineindenken: „Mein Herz lässt zu, dass es viele Menschen brauchen und dass sie das genießen.“
(mfu)
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