Ohne tödliches Ende

Um wieder in den Besitz seiner Kunst zu gelangen, ermordet der geniale wie besessene Goldschmied Cardillac die Käufer der Schmuckstücke. Im Libretto nach E.T.A. Hoffmanns Novelle "Das Fräulein von Scuderie" wird der Mörder, der am Ende seine Verbrechen triumphierend zugibt, erschlagen. Die Wiener Inszenierung erhebt ihn zum Denkmal seiner selbst in Gold.
Der innere Kampf Cardillacs mit seiner Besessenheit wird nach außen verlagert. Der Biedermann steht seinem zweiten mörderischen Ich gegenüber, das ihn mit einem blitzenden Messer auffordert, auch den nächsten Käufer umzubringen. Doch dieses Attentat scheitert und bringt eine überraschende Wendung. Das Opfer beschuldigt den Goldhändler, so dass Cardillac noch einmal davonkommen könnte. Aber seine Eitelkeit treibt ihn zwanghaft zur öffentlichen Selbstbezichtigung, die nicht mit Bestrafung, sondern in Verklärung des Künstlers in Denkmalform endet.

In Wien entschied man sich für die schroffe 1926er Version der Hindemith-Oper. Trotz des romantischen Stoffes ist dieser Musik-Krimi mit seinen scharfen holzschnittartigen Linien und der Wucht der einzelnen Bilder ein Dokument des antiromantischen Musiktheaters der 1920er Jahre. Wie Hindemith es wollte, schuf Ferdinand Lion ein Libretto, das auf psychologische Feinheiten verzichtet. Die Vertonung weicht allem aus, was nach musikalischer Illustration der Handlung aussehen könnte. In geschlossenen Nummern mit dichtem polyphonem Gewebe in freitonaler Sprache wird die Idee der alten Oper beschworen. Die Chöre haben stilisiert oratorischen Charakter. Die Schlussszene gipfelt in einer Passacaglia mit 22 Variationen.



Wiener Staatsoper
Aufzeichnung vom 23.10.10

Paul Hindemith
"Cardillac"
Oper in drei Akten nach der Novelle
"Das Fräulein von Scuderi" von E.T.A Hoffmann
Libretto: Ferdinand Lion
(Erste Version)

Cardillac – Juha Uusitalo, Bariton
Cardillacs Tochter – Juliane Banse, Sopran
Der Offizier – Herbert Lippert, Tenor
Der Goldhändler – Tomasz Konieczny, Bass
Der Kavalier – Matthias Klink, Tenor
Die Dame – Ildiko Raimondi, Sopran
Führer der Prévôté – Alexandru Moisiuc, Bass
Chor und Orchester der Wiener Staatsoper
Leitung: Franz Welser-Möst

ca. 21:35 Uhr Nachrichten