Ohne Rücksicht auf Mensch und Natur

Von Julio Segador |
El Cerrejon ist das größte Übertage-Steinkohleabbaugebiet der Welt und der bedeutendste Wirtschaftsfaktor in Nordosten Kolumbiens. Doch die gigantische Mine schlägt tiefe Wunden in die karibische Landschaft. Ganze Dörfer müssen weichen, die Anwohner leisten Widerstand.
Eine nette Begrüßung in der größten Steinkohlemine Lateinamerikas. Das Firmen-Video präsentiert den kolumbianischen Steinkohlegiganten El Cerrejón in schönsten Farben. Die Hintergrund-Musik erinnert an die US-amerikanische Serie Dallas.

Die Besucher werden gebeten, die Sicherheitshinweise penibel zu beachten. Der Helm auf dem Kopf ist Pflicht, ebenso die Schutzbrille vor den Augen. Und vor allem: Kein Schritt in El Cerrejón, ohne dass ein Mitarbeiter des Unternehmens mit dabei ist. Adriana heißt unsere Begleiterin.

Adriana arbeitet seit zwei Jahren für "El Cerrejón". Das Unternehmen betreibt im Nord-Osten Kolumbiens, auf der Karibik-Halbinsel Guajira die gleichnamige größte Übertage-Steinkohlemine der Welt. Die junge PR-Mitarbeiterin informiert über ihr Unternehmen, rühmt die hohen Umweltstandards in El Cerrejón.

"Cerrejón ist die einzige Mine in Kolumbien, die auch einen eigenen Hafen hat. Mit Blick auf die aktuelle Debatte in Europa, wo nachgefragt wird, wie die Lieferwege der Kohle aussehen, und wo verlangt wird, dass ökologisch verantwortlich gehandelt wird, können wir garantieren, dass dies auch umgesetzt wird. Vor allem eben in unserem Hafen, wo hohe Umweltstandards gelten. Immer wenn von Puerto Bolívar die Rede ist, stammt die Kohle aus El Cerrejón und nicht aus einem anderen Gebiet."

Der Wagen fährt auf einer Schotterpiste im Gelände der Mine. Erst am Tag davor hatte es kräftig geregnet. Nun ist es wieder brütend heiß, die Piste trocken.
Nach einem Hügel ändert sich die Landschaft. Das wenige Grün der Bäume und Sträucher schwindet, nur noch eine große braune Fläche ist zu sehen.

Vor uns liegt Pit Patilla, eine der vielen Steinkohlegruben in El Cerrejón. Eine gigantische Mondlandschaft, in der – aus der Ferne gesehen - scheinbar winzige LKW und Bagger arbeiten. Die Grube ist an den Rändern gestuft. Man kann schwarze Stränge in dem grau-beigen Untergrund ausmachen, die Steinkohleflöze. Jimmy Aramendi ist Superintendente, also Grubenleiter von Pit Patilla. Er ist mächtig stolz auf sein riesiges, kilometerlanges Loch.

"Diese Grube ist ungefähr neun Kilometer lang, wir haben sie von Norden nach Süden ausgebaut. Wir fördern hier seit 27 Jahren die Kohle. Und dort hinten sieht man eine Zone, die wir wieder aufgefüllt haben. Das Gestein, also den Abraum, den wir an einem Ende der Grube gewinnen, nutzen wir, um am anderen Ende das Loch wieder zuzuschütten. Wir haben allein in dieser Minengrube in Cerrejón mehr als 2000 Hektar aufgefüllt."

Albania, ein kleines Dorf am Rand von "El Cerrejón". Die Menschen sind wütend. Sie haben Barrikaden aufgebaut, schwerer, schwarzer Rauch steigt auf von brennenden Autoreifen. Beißender Geruch hängt in der Luft.

Das kolumbianische Militär ist aufgezogen. Schwerbewaffnete Soldaten und Polizisten haben das Gelände eingekesselt. Darin befinden sich um die einhundert Menschen, die sauer sind auf El Cerrejón.

"Hier gibt es Menschen, die wegen der Kohle krank werden und sterben. Der Staub setzt den Kindern und Erwachsenen zu."

"Wir kämpfen um dieses Land. Es gehört nicht El Cerrejón. Es gehört der Gemeinde. Sie haben schon dort alles besetzt und jetzt wollen sie auch diesen Flecken Erde."

"Wir hier leiden am meisten unter den Folgen des Kohleabbaus weil wir direkt an der Mine leben. Der Staub, das verschmutzte Grundwasser, die Vibrationen. Alle Häuser haben mittlerweile Risse. Der Boden bewegt sich. Wir hier tragen die Folgen. Viele Kinder haben Allergien durch den vielen Staub und die immense Umweltverschmutzung."

Ein schwer gepanzerter Wasserwerfer fährt vor. Die Menschen protestieren weiter, scheinen unbeeindruckt von der massiven Militärgewalt. Gruppen von Bürgern und Polizisten verhandeln miteinander, auch Mitarbeiter von El Cerrejón sind mit dabei. Nach offensichtlicher Rücksprache mit einem Manager des Steinkohlegiganten erläutert der Polizeichef von Albania, Arquimedes Soleno, seine Sicht der Dinge.

"Das ganze Gelände, um das gestritten wird, gehört El Cerrejón. Die Leute sind nicht richtig informiert. Cerrejón hart das Land gekauft, wie andere Grundstücke auch. Das ist die Sachlage."

Immer wieder schließt sich der Polizeichef der Kleinstadt mit den Mitarbeitern des Steinkohlegiganten zusammen, berät, wie er vorgehen soll. Es ist offensichtlich, wer hier das Sagen hat. Für die Leute, die um ihre Hütten kämpfen, wird es brenzlig.
Dora Lucy Arias hat sich unter die Menschen gemischt. Die Rechtsanwältin aus Bogotá vertritt seit Jahren Mandanten, die auf ihre Rechte pochen und sich gegen El Cerrejón wehren. Sie ist zufällig in dem Dorf, weil sie eigentlich eine Interessengemeinschaft beraten wollte. Nun muss sie mit ansehen, mit welcher Brutalität und Gewalt die Staatsmacht gegen die Bürger vorgeht.
Das Militär entscheidet sich gegen Verhandlungen, setzt den Wasserwerfer ein. Nach einigen Minuten ist alles vorbei. Keine Hütte steht mehr. Anwältin Dora Lucy Arias ist schockiert.

"Sie haben die Hütten der Menschen zerstört. Kinder, Frauen, alte Leute, alle sind betroffen."

Die brutale Aktion in Albania ist keine Ausnahme. Immer wieder kommt es zu solchen Auseinandersetzungen. Der Steinkohle-Tagebau in El Cerrejón umfasst schon jetzt die gigantische Fläche von 69.000 Hektar Land. Doch das Unternehmen ist gefräßig, will immer mehr Land, in dem die wertvolle Steinkohle gefördert werden kann. Das Problem: Auf dem Gebiet standen und stehen Dörfer. Und es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder die Leute gehen freiwillig oder sie werden dazu gezwungen. Vor zehn Jahren - im Dorf Tabaco - weigerten sich viele Einwohner gegen ihre Umsiedelung. Bulldozer kamen, machten alles platt, Militär, Polizei und bewaffnete Firmensheriffs vertrieben die Leute, es gab zwei Tote. Anwältin Dora Lucy Arias kann nicht glauben, dass El Cerrejón aus den Fehlern dieser Jahre nichts gelernt hat.

"Zehn Jahre nach Tabaco geht es nicht nur so weiter. El Cerrejón verschleiert auch noch alles und gibt vor, verantwortlich zu handeln. Es gibt kaum Möglichkeiten der Welt zu sagen, dass Cerrejón so weiter macht wie früher."

Die Steinkohle, die in der Region Guajira im Nordosten Kolumbiens gefördert wird, ist ein Milliardengeschäft. 32 Millionen Tonnen des schwarzen Gesteins werden pro Jahr abgebaut. Der größte Teil der Steinkohle geht nach Europa, vor allem nach Deutschland. Fachleute vermuten, dass unter der kolumbianischen Erde mehr als zwei Milliarden Tonnen Steinkohle liegen. In guter Qualität, oberflächennah, was die Kosten reduziert. Ein Kapital, auf das das Unternehmen nicht verzichten möchte. Auch deshalb kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen mit den Gemeinden, die auf dem gepachteten Territorium liegen. Aktuell sind es fünf kleine Dörfer, die umgesiedelt werden sollen.

Joe Arregoces stammt aus Roche, aus einem dieser kleinen Dörfer, die El Cerrejón seit mehr als zehn Jahren umsiedeln möchte. Einige der Einwohner haben das finanzielle Angebot des Minenunternehmens angenommen, sind bereits umgezogen. Andere – so wie Joe Arregoces - nicht. Der 34-Jährige steht an einer Nationalstraße, bis zur nächsten Stadt sind es mehrere Kilometer. Hier im nordkolumbianischen Niemandsland wird gerade das neue Roche aufgebaut. Von El Cerrejón. Joe Arregoces blickt auf die halbfertige Siedlung. Leben möchte er hier nicht, sagt er.

"Man empfindet eine ungeheure Leere, wenn man gezwungen wird, sein Dorf zu verlassen. Dort, wo man auf die Welt kam, wo man heranwuchs, das ganze Leben verbracht hat. Vielleicht kann einiges von dem wiedererlangt werden, aber das meiste geht sicher verloren, weil es unmittelbar mit dem traditionellen Umfeld von Roche zusammenhängt."

Joe Arregoces ist einer der wenigen Einwohner von Roche, der auf die Schule ging, gebildet ist. Er vertritt das Dorf – zumindest jene Hälfte, die noch nicht umgesiedelt ist - in den Verhandlungen mit El Cerrejón. Was er berichtet, wirft kein gutes Licht auf den Steinkohlegiganten.

"Das waren in der Vergangenheit ziemlich armselige Verhandlungen. Wie wenn am Markt um Vieh oder Schweine geschachert wird. Da wurde nicht ernsthaft verhandelt. Einige aus Roche kannten sich nicht besonders aus, manche waren Analphabeten, und diese Situation nutzte das Unternehmen brutal aus. Cerrejón hat sich die Grundstücke einfach einverleibt."

Besuch in "Nuevo Roche", jenem Dorf, in dem Joe Arregoces nicht leben möchte und das von den Cerrejón-Managern als ein Musterbeispiel für nachhaltige Entwicklung in der Bergbauregion hingestellt wird. Mitarbeiter des Kohlegiganten kontrollieren den Eingang zur Muster-Siedlung. Nur mit Genehmigung geht es hinein nach Nuevo Roche.

Einheitshäuser sind hufeisenförmig um einen Dorfplatz platziert. Eine völlig überdimensionierte Kirche ist zu sehen, ebenso ein kleines Gemeindezentrum mit einer Schule und einer Sozialstation. Nur wenige Menschen lassen sich blicken. Das Dorf wirkt verlassen.

"El Fogón de Yenis" – Der Kessel von Yenis - steht außen an einem Haus, aus dem Küchengeräusche zu hören sind. Yenis und ihre Tochter Carelli haben in Nuevo Roche einen kleinen Imbiss eröffnet. Ältere Frauen rühren in großen Töpfen. Es dampft heftig und es riecht nach Huhn und Fett. Carelli ist froh über den Umzug ins neue Dorf, sagt sie.

Carelli blickt immer wieder zur Tür, ob nicht jemand von El Cerrejón auftaucht.

Sie helfen einem schon fast zu viel, meint Carelli dann unvermittelt. Und sie versprechen das Blaue vom Himmel herunter, fügt sie noch an.

"Wir werden ihnen helfen, dass die Kinder in die Schule kommen, wurde mir immer wieder gesagt. Aber bisher hat sich hier nichts getan. Wir warten immer noch darauf. Wie sollen die Kinder da einen Schulabschluss machen?"

Neben den Problemen bei der Umsiedelung der Menschen sind es vor allem die gesundheitlichen und ökologischen Folgen des Steinkohle-Bergbaus die immer wieder kritisiert werden. Wie sehr Cerrejón der Natur zusetzt, ist nicht nur innerhalb der Mine zu sehen, sondern auch außerhalb des riesigen Areals. In Riohacha, einer Stadt an der Karibikküste Kolumbiens, mündet der Fluss Ranchería ins Meer. Von Karibikidylle ist hier nur wenig zu verspüren. Im Fluss bewegt sich langsam eine braune, schmutzige Brühe Richtung Küste. Baden sollte man hier besser nicht. Der Fluss hat zuvor auf mehr als 20 Kilometer Länge das Steinkohlegebiet durchquert. Nun will El Cerrejón den Fluss versetzen, um noch besser an noch mehr Kohle zu kommen, die darunter liegt. Doch Cerrejón dürfte kaum Schwierigkeiten haben, den Eingriff genehmigt zu bekommen. Das Bergbauunternehmen bestreitet mit seinen Steuern und Lizenzgebühren etwa die Hälfte der Einnahmen der Region Guajira. Cerrejón ist das Gesetz, meint Orlando Cuello, der ebenfalls bei der Gewerkschaft Sintracarbón aktiv ist. Und er stellt eine rhetorische Frage.

"Wer erlaubt in diesem Land ein so ehrgeiziges Projekt, das auch die Natur so stark schädigt? Welche Behörden tun dies? Ist es der Umweltminister oder die Umwelt-Regulierungsbehörde? Cerrejón wird es schon sehr einfach gemacht, solche Genehmigungen zu bekommen. Das hier ist ein kapitalistisches Land. Und die Behörden arbeiten mit diesem Kapital und für Cerrejón ist es eben dann sehr leicht."

Gewerkschafter wie Orlando Cuello leben gefährlich in einem Land wie Kolumbien. Immer wieder kommt es zu Übergriffen, erst kürzlich wurden mehrere Gewerkschaftsmitglieder in Nordkolumbien ermordet. Kritik an dem Bergbau-Unternehmen sollte man sich gut überlegen, sagt Orlando Cuello, der seit mehr als 20 Jahren für Cerrejón arbeitet, nun aber als Vorstand bei Sintracarbón viele kritische Positionen einnimmt. Bei dem Treffen in einem Lokal in Riohacha sieht sich Orlando Cuello immer wieder besorgt um, beobachtet die anderen Gäste und hat sein Auto im Blick. Seit Wochen wird er bedroht, fürchtet, dass man ihm eine Bombe unter den Wagen legt. Gewerkschafter, die wie Orlando Cuello die Arbeitsbedingungen und Menschenrechtsverletzungen bei Unternehmen wie El Cerrejón anprangern, sind in Kolumbien nicht gut angesehen. Eine Woche vor dem Interview wurde bei ihm sogar eingebrochen, berichtet er:

"Um zwei Uhr morgens kamen mehrere Vermummte in mein Haus, ich selbst war nicht da. Aber sie bedrohten meine Frau und meine Töchter. Sie schlugen sie und fragten, wo ich sei. Die Botschaft war klar: Sie sind hinter mir her."

El Cerrejón ist die Lokomotive im Nordosten Kolumbiens. Das Unternehmen boomt, die Steinkohle ist ein immens wichtiger Wirtschaftsfaktor. Doch der Preis ist hoch. Menschen, die ihre Heimat verlassen müssen, eine Landschaft, die zerstört wird, Arbeitskräfte, die ausgebeutet werden. Orlando Cuello von der Gewerkschaft Sintracarbón will weiterkämpfen. Ihm ist dieser Preis zu hoch.

"Wir können nicht verhindern, dass es in diesem Land Bergbau gibt. Wir brauchen ja auch die ausländischen Investitionen. Und das schafft ja auch Arbeit. Was wir aber wollen ist: Wenn die Unternehmen kommen und unsere Rohstoffe fördern, dann soll dies in verantwortlicher Weise geschehen. Mit sozialer Gerechtigkeit. Das ist auch unser Aufruf an die internationalen Bergbauunternehmen, die ins Land kommen. Machen sie hier ihre Arbeit, aber mit Verantwortung."