Ohne Papiere, aber nicht ohne Rechte

Jürgen Stahl im Gespräch mit Frank Meyer · 01.04.2009
In Deutschland lebt etwa eine Million Menschen ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung, ohne Papiere, in vielen Situationen: Menschen ohne Rechte. Viele dieser "Illegalen" arbeiten, und das oft unter besonders harten Bedingungen. Die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di will diesen Menschen helfen - deshalb gibt es inzwischen zwei Ver.di-Beratungsstellen für Arbeitnehmer ohne Papiere.
Frank Meyer: Seit 2008 gibt es in Hamburg eine Beratungsstelle der Gewerkschaft ver.di für Menschen wie Sweta, einer illegalen Arbeiterin in Deutschland, und im März hat die Dienstleistungsgewerkschaft nun auch in Berlin eine solche Beratungsstelle eröffnet. Und darüber wollen wir reden mit Jürgen Stahl. Er ist Gewerkschaftssekretär im Landesbezirk ver.di Berlin-Brandenburg. Jürgen Stahl, noch vor wenigen Jahren gab es bei der IG Bau sogenannte Schwarzarbeiter-Telefone, wo man Schwarzarbeiter, also auch Illegale, melden konnte. Sie gehen jetzt den ganz anderen Weg und unterstützen als Gewerkschaft illegale Arbeitnehmer. Warum tun Sie das?

Jürgen Stahl: Ja, wir unterscheiden zwischen Schwarzarbeiterin und Schwarzarbeiterin im Unterschied, dass ich einerseits Leute habe, die tatsächlich vorsätzlich ihre Sozialabgaben oder Lohnsteuer nicht zahlen wollen, sicherlich auch das eine oder andere Mal auch dort vom Arbeitgeber gepresst werden. Andersrum die, die wir jetzt auch vertreten, sind Arbeitnehmerinnen, die gar keine Chance haben, die Sozialabgaben und Lohnsteuer zu bezahlen, weil sie letztendlich keine Aufenthaltsgenehmigung und keine weiteren sonstigen Papiere haben.

Meyer: Die Probleme, von denen wir gerade gehört haben im Fall von Sweta, dass da Löhne nicht gezahlt werden, dass die Löhne sowieso viel zu niedrig sind, dass auch Gewalt gegen solche illegalen Arbeitnehmer angewendet wird, sind das nun die Probleme, mit denen Sie in der Beratungsstelle am häufigsten zu tun bekommen?

Stahl: Das sind einige Probleme. Natürlich gehört dann auch Urlaub zu, da gehört auch die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu. Denn auch die Arbeitnehmerinnen haben ja die Rechte wie der "normale", in Anführungsstrichen, deutsche Arbeitnehmer. Die Problematik ist tatsächlich so wie dargestellt in dem Trailer, dass es schwer ist, das durchzusetzen, weil sie damit rechnen müssen, tatsächlich abgeschoben zu werden.

Meyer: In welchen Bereichen arbeiten die meisten illegalen Arbeitnehmer, jetzt wo Sie hinschauen, Berlin und Brandenburg?

Stahl: Also wir haben überwiegend zurzeit Kolleginnen, die im haushaltsnahen Bereich arbeiten, das heißt Hauswirtschaft, Kinderpflege, Kinderbetreuung.

Meyer: Das heißt, es sind Privatleute, die da als Arbeitgeber so schofelig auftreten?

Stahl: Genau, das sind überwiegend Privatleute, ja.

Meyer: Und was können Sie nun konkret tun für diese Illegalen mit Ihrem Beratungsangebot?

Stahl: Ja, erst mal die Kolleginnen überhaupt über ihre Rechte informieren. Das ist schon mal eine der wichtigsten Geschichten, die wir damit erreichen wollen. Man muss sich vorstellen, dass auch deutsche Arbeitnehmerinnen nicht unbedingt über ihre Rechte informiert sind, aber natürlich diese aus anderen Ländern noch weniger. Das Zweite ist, dass wenn sie zu uns kommen, wir uns mit ihren Problemen beschäftigen und natürlich auch nachforschen, haben sie Zeugen für die Arbeit, weil sie ja keinen Arbeitsvertrag haben? Haben sie vielleicht Fotos von der Einrichtung oder von der Wohnung, sodass man dem Arbeitgeber tatsächlich auch beweisen kann, das ist die Kollegin, die dort gearbeitet hat? Hat sie vielleicht persönliche Aufzeichnungen gemacht über ihre Arbeitszeiten? Und gerade in den haushaltsnahen Bereichen ist es so, dass da acht Stunden nicht das Normale ist, sondern dass sie tatsächlich bedeutend länger dort arbeiten.

Meyer: Wie weit reicht diese Hilfe, reicht die im Konfliktfall bis zu einem Gang vor ein deutsches Arbeitsgericht?

Stahl: Vom Grundsatz ja. Wir versuchen natürlich erst mal, unter der Schwelle des Arbeitsgerichtes dort Stellung zu beziehen und die Forderung, die wir geltend machen, bei dem Arbeitgeber, ihn entsprechend darüber zu informieren und ihn aufzufordern, die entsprechenden Löhne oder Urlaubstage oder wie auch immer was gefordert wird, tatsächlich sicherzustellen, dass die Kollegin das erhält.

Ich gehe mal aus, aus der Arbeit, die ich mit Beschäftigten aus ganz normalen Firmen habe, verfolgen wir diesen Prozess genauso. Und wir haben da eigentlich ziemlich große Erfolge, dass ich aus meinem Arbeitsbereich sagen kann, 90 bis 95 Prozent sind die Arbeitgeber dann bereit, wenn es berechtigt ist, tatsächlich auch zu zahlen. In diesem Bereich denke ich sogar, dass der Druck noch höher ist, weil ja man sagen muss, dass ja nicht nur der, in Anführungsstrichen, oder die "Schwarzarbeiterin" dort ist, sondern der Arbeitgeber ja eben die sogenannten Illegalen beschäftigt und dadurch der Druck auf ihm natürlich auch lastet.

Meyer: Das heißt praktisch so, der Arbeitgeber bekommt einen Brief von Ihnen, von der Gewerkschaft ver.di, merkt dann auch, da steht eine große, bekannte Organisation dahinter und mir jetzt gegenüber, und dann gibt der Arbeitgeber in der Regel klein bei?

Stahl: So stellen wir uns das vor, und so wird es auch sein.

Meyer: Deutschlandradio Kultur, Jürgen Stahl von der ver.di-Gewerkschaft Berlin-Brandenburg ist bei uns im Studio. Er ist bei der ver.di-Beratungsstelle für undokumentiertes Arbeiten, so heißt es dort. Wir sprechen über dieses illegale Arbeiten in Deutschland. Aber ich würde gerne noch mal auf das Arbeitsgericht zurückkommen. Würde denn theoretisch ein deutsches Arbeitsgericht auch einen illegalen Arbeiter vertreten gegen einen deutschen Arbeitgeber?

Stahl: Vom Grundsatz natürlich. Sie haben, wie gesagt, die gleichen Ansprüche. Die Problematik besteht aber tatsächlich, dass es öffentlich wird und dass dann die Kollegin oder der Kollege damit rechnen muss, dass er tatsächlich abgeschoben wird. Wir haben ein Beispiel in Hamburg gehabt - das ist im Übrigen auch in meinem Dokumentarfilm verfilmt worden im letzten Jahr -, da hat eine Arbeitnehmerin ihre Rechte eingeklagt mit Hilfe von ver.di. Allerdings ist es nicht bis zum Ende des Arbeitsgerichtsprozesses gekommen, weil man sich dann geeinigt hat. Trotzdem ist die Kollegin mit diesem Vergleich abgeschoben worden.

Meyer: Das ist ja immer die drohende Gefahr. Wie ist das auch für Ihre Arbeit mit den Meldepflichten? Sind Sie eigentlich theoretisch verpflichtet, illegale Arbeitnehmer zu melden den deutschen Behörden?

Stahl: Wir schützen die Beschäftigten und werden sie natürlich nicht melden.

Meyer: Und was tun Sie, um die illegal Beschäftigten zu erreichen? Die werden ja sicherlich keine Gewerkschaftszeitung abonniert haben. Wie machen Sie die überhaupt aufmerksam auf diese neue Beratungsstelle, die es jetzt im Fall von Berlin seit einem Monat gibt?

Stahl: Dieser Arbeitskreis "undokumentierte Arbeit" hat sich gebildet aus vielen Organisationen, die sich mit unterschiedlichen Aufgaben aus diesem Bereich beschäftigen. Da ist zum Beispiel die größte Organisation, die bei uns vertreten ist, die Gruppe "Respekt", die insbesondere Frauen aus Südamerika vertritt, dann gibt es (???), und es gibt viele andere Bereiche, die auch bei uns vertreten sind. Und wir versuchen natürlich mit unserer Öffentlichkeitsarbeit, so wie heute hier, aber natürlich auch durch Broschüren, die dort ausliegen, die Kolleginnen und Kollegen darauf aufmerksam zu machen, dass sie da eine Möglichkeit haben, zu uns zu kommen und natürlich auch bei uns Mitglied zu werden. Und dann erhalten sie auch ihre Mitgliedszeitung, die sie denn sich gegebenenfalls bei mir abholen.
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