Ohne Numerus clausus geht es nicht
Um die Studienqualität aufrecht erhalten zu können, werden große Universitäten auch künftig Zugangsbeschränkungen erlassen müssen, sagt Jan-Hendrik Olbertz, Präsident der Humboldt-Uni Berlin. Als Alternative zu den überlaufenen Hochschulen empfiehlt er Abiturienten ohne ausreichenden NC einen Ausbildungsberuf.
Jörg Degenhardt: Das Abitur allein reicht nicht, es muss schon ein gutes sein, und dann kann es klappen mit dem Wunschstudienplatz. Nach Recherchen der "Süddeutschen Zeitung" sind zwei Drittel der Bachelorstudiengänge an den großen Unis in diesem Herbst zulassungsbeschränkt. Besonders groß ist der Andrang in Nordrhein-Westfalen. In Köln, in Duisburg, Essen oder Bochum gibt es für 84 bis 100 Prozent der Fächer Zugangshürden, einen Numerus clausus. Und auch BWL und Germanistik etwa kriegt man nicht mehr so einfach. Wie ist die Situation an der Humboldt-Universität in Berlin, eine der erwähnten großen Universitäten neben Hamburg oder München. Wie geht man dort mit dem Ansturm von Abiturienten um? Jan-Hendrik Olbertz ist am Telefon, der Präsident der Humboldt-Universität. Guten Morgen, Herr Olbertz!
Jan-Hendrik Olbertz: Guten Morgen, ich grüße Sie!
Degenhardt: Welche Zulassungsbeschränkungen gibt es denn bei Ihnen?
Olbertz: Also ich kann Ihnen die im Detail jetzt nicht erläutern, wir haben aber auch eine erhebliche Zahl von Studienzugangsbeschränkungen. In der Mehrzahl der Fächer selbstverständlich, das läuft bei uns auch auf zwei Drittel hinaus, und in Fächern wie Psychologie beispielsweise oder im Master BWL, in der Rechtswissenschaft, in der Grundschulpädagogik, in den Sozialwissenschaften. Anders können wir den Studentenansturm gar nicht mehr bewältigen. Und das bedeutet, dass man dann natürlich Zugangskriterien braucht, und die sind durchaus hart, was die Abiturvorleistung betrifft.
Degenhardt: Was ist, wenn ich Pharmazie oder Medizin studieren will? Gibt es da unverändert die zentrale Vergabestelle?
Olbertz: Bei der Medizin macht unsere medizinische Fakultät in Berlin das alleine, das ist ja die Gemeinschaftsfakultät von Freier Universität und Humboldt-Universität, aber das ist natürlich ein Numerus-Clausus-Studiengang, und der wird nach wie vor über ein zentrales Zugangssystem, über die Stiftung Studienzulassung geregelt.
Degenhardt: Sollte das nicht mal online passieren?
Olbertz: Na, das wird schon – die Bewerbung und das Bewerbungsgeschehen ist schon online, aber die Studienplatzvergabe, das heißt also die deutschlandweite Abwägung der Abiturleistungen, der Berechnung der Zugangszahlen, der Studienorte, der Wartezeiten und so weiter, das geschieht durch einen zentralen Service.
Degenhardt: Gibt es denn noch andere Möglichkeiten, den Ansturm zu lenken und jedem Studenten sein Wunschstudium zu ermöglichen, als diese Zugangshürden aufzubauen?
Olbertz: Na ja, es ist am Ende eine Kapazitätsfrage. Wir haben nur eine beschränkte Zahl von Studienplätzen in den einzelnen Fächern zur Verfügung, und wir müssen auch ein bisschen darauf bestehen, dass wir diese Grenzen nicht überschreiten, weil wir dann den Qualitätsanspruch natürlich nicht mehr einlösen können. Also wenn Sie mit 300 Studierenden in einem Seminar sitzen, können Sie einfach nicht mehr ordentlich wissenschaftlich arbeiten. Und insofern müssen wir an den Kapazitätsgrenzen entlang immatrikulieren.
Wir versuchen die natürlich auszuweiten, indem wir durch alle möglichen Zusatzmittel, die wir darstellen, durch Vereinbarungen mit den jeweiligen Landesregierungen, das machen wir hier in Berlin natürlich mit der Senatsverwaltung auch, zusätzliche Aufwuchsmittel zu bekommen, um diesen Studentenansturm zu bewältigen. Das machen wir schon. Die Zahl der Studienplätze steigt ja gleichzeitig auch enorm. Aber die Schere geht im Moment noch immer weiter auf, und wenn die KMK-Prognosen zutreffen, dass wir in den nächsten Jahren also im Grunde genommen immer mit 500.000 neuen Studierenden rechnen müssen, dann kann man sich schnell auszählen, dass wir da an Kapazitätsgrenzen kommen, die die jungen Leute dann verkraften müssen.
Degenhardt: Sie sprechen, Entschuldigung, immer von Kapazitätsgrenzen. Um es deutlich zu sagen: Es geht letztendlich ums Geld, richtig?
Olbertz: Ja natürlich geht es ums Geld …
Degenhardt: Aber da sind ja im Hochschulpakt Summen festgelegt. 26.000 Euro, das scheint offensichtlich zu wenig zu sein.
Olbertz: Das ist ganz entschieden zu wenig. Auch die Zahl der Studienanfängerplätze. Man ist offensichtlich vorsichtig, weil man nicht genau weiß, wie sich die demografisches Situation wirklich an den Hochschulen niederschlagen wird. Wenn ich an Prognosen denke von vor fünf Jahren und erst recht von vor zehn Jahren, dann hätten wir längst in einem Tal sein müssen.
Das hat sich offensichtlich alles nicht bewahrheitet. Die Studienquote ist wesentlich gestiegen, liegt ja deutlich über 40 Prozent inzwischen, also auch der jungen Leute, die mit Hochschulzugangsberechtigung kommen, die also das Abitur erworben haben. Dann haben wir die Aussetzung der Wehrpflicht, wir haben Doppel-Abitura in einigen Ländern, meines Wissens zuletzt in Nordrhein-Westfalen, also einem sehr bevölkerungsstarken Land, so dass also diese ganzen Prognosen von der Kultusministerkonferenz inzwischen auch korrigiert worden sind.
Degenhardt: Früher haben wir mal, das ist noch gar nicht so lange her, einen Bildungsnotstand beklagt. Jetzt haben wir gewissermaßen das Gegenteil erreicht?
Olbertz: Man kann das polemisch so ausdrücken, aber dieses Gegenteil ist seinerseits auch wieder ein Notstand, weil letzten Endes die Hochschulen zu klein sind von ihrer Kapazität her, oder wir mal ganz grundsätzlich darüber nachdenken müssten, welche Perspektiven haben junge Leute eigentlich jenseits eines Universitäts- oder Hochschulstudiums? Denn auf der anderen Seite klagen und barmen die Handwerkskammern beispielsweise über fehlenden Nachwuchs, so dass also Berufsperspektiven in unserer Gesellschaft auch mal sehr gründlich diskutiert werden müssen, ob unbedingt überall nur ein Hochschulstudium eine Perspektive eröffnet. Das ist ja überhaupt gar nicht der Fall. Denken Sie an die Handwerksberufe, an die kaufmännischen Berufe. Überall wird händeringend nach qualifizierten und engagierten jungen Leuten gesucht. Und diese Ströme auch mal kritisch zu diskutieren, glaube ich, haben wir in Deutschland insgesamt nötig.
Degenhardt: Man könnte natürlich auch den jungen Leuten, die kein Einser-Abitur haben und trotzdem studieren wollen, raten, in die Universitäten in der Provinz zu gehen, zumal in den neuen Bundesländern?
Olbertz: Ja, das kann man ihnen wirklich raten, und wir haben ja im Moment auch eine ziemlich heterogene Entwicklung. Wir haben einen Run auf die großen Universitäten in den Metropolen, in Berlin, in München, in Köln. Wir haben in der Tat auch Sorgen in der Provinz, wie Sie das ausdrücken, also in den kleinen, aber oft sehr leistungsstarken, traditionsreichen und attraktiven Universitäten gerade in den neuen Ländern. Denken wir an Jena, an Halle, an Leipzig, an Magdeburg oder im Fachhochschulsektor an Merseburg, an Stendal oder an Greifswald und viele andere Standorte.
Greifswald ist allerdings eine Universität natürlich, aber die Studentenströme lenken sich natürlich sehr stark in die attraktiven Metropolen. Und in Berlin wird das, glaube ich, völlig unabhängig von demografischen Prognosen, weil ich ja jetzt aus Berlin heraus rede, wird es immer eine Riesennachfrage sein und wir werden die über viele, viele Jahre nicht Eins zu Eins befriedigen können.
Degenhardt: Um das noch mal klar zu sagen, das mit den Provinzen war meinerseits überhaupt nicht böse gemeint, mehr als Standortbeschreibung …
Olbertz: Nein, nein, gar nicht, der Begriff Provinz ist historisch eigentlich auch gar nicht belastet, das haben wir erst viel später gemacht, dass wir darüber ein bisschen geschmunzelt haben.
Degenhardt: Jan-Hendrik Olbertz war das, der Präsident der Humboldt-Universität, über die große Schar der Studienanfänger und die Notwendigkeit von Zulassungshürden. Vielen Dank für das Gespräch!
Olbertz: Ja, ich danke Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Jan-Hendrik Olbertz: Guten Morgen, ich grüße Sie!
Degenhardt: Welche Zulassungsbeschränkungen gibt es denn bei Ihnen?
Olbertz: Also ich kann Ihnen die im Detail jetzt nicht erläutern, wir haben aber auch eine erhebliche Zahl von Studienzugangsbeschränkungen. In der Mehrzahl der Fächer selbstverständlich, das läuft bei uns auch auf zwei Drittel hinaus, und in Fächern wie Psychologie beispielsweise oder im Master BWL, in der Rechtswissenschaft, in der Grundschulpädagogik, in den Sozialwissenschaften. Anders können wir den Studentenansturm gar nicht mehr bewältigen. Und das bedeutet, dass man dann natürlich Zugangskriterien braucht, und die sind durchaus hart, was die Abiturvorleistung betrifft.
Degenhardt: Was ist, wenn ich Pharmazie oder Medizin studieren will? Gibt es da unverändert die zentrale Vergabestelle?
Olbertz: Bei der Medizin macht unsere medizinische Fakultät in Berlin das alleine, das ist ja die Gemeinschaftsfakultät von Freier Universität und Humboldt-Universität, aber das ist natürlich ein Numerus-Clausus-Studiengang, und der wird nach wie vor über ein zentrales Zugangssystem, über die Stiftung Studienzulassung geregelt.
Degenhardt: Sollte das nicht mal online passieren?
Olbertz: Na, das wird schon – die Bewerbung und das Bewerbungsgeschehen ist schon online, aber die Studienplatzvergabe, das heißt also die deutschlandweite Abwägung der Abiturleistungen, der Berechnung der Zugangszahlen, der Studienorte, der Wartezeiten und so weiter, das geschieht durch einen zentralen Service.
Degenhardt: Gibt es denn noch andere Möglichkeiten, den Ansturm zu lenken und jedem Studenten sein Wunschstudium zu ermöglichen, als diese Zugangshürden aufzubauen?
Olbertz: Na ja, es ist am Ende eine Kapazitätsfrage. Wir haben nur eine beschränkte Zahl von Studienplätzen in den einzelnen Fächern zur Verfügung, und wir müssen auch ein bisschen darauf bestehen, dass wir diese Grenzen nicht überschreiten, weil wir dann den Qualitätsanspruch natürlich nicht mehr einlösen können. Also wenn Sie mit 300 Studierenden in einem Seminar sitzen, können Sie einfach nicht mehr ordentlich wissenschaftlich arbeiten. Und insofern müssen wir an den Kapazitätsgrenzen entlang immatrikulieren.
Wir versuchen die natürlich auszuweiten, indem wir durch alle möglichen Zusatzmittel, die wir darstellen, durch Vereinbarungen mit den jeweiligen Landesregierungen, das machen wir hier in Berlin natürlich mit der Senatsverwaltung auch, zusätzliche Aufwuchsmittel zu bekommen, um diesen Studentenansturm zu bewältigen. Das machen wir schon. Die Zahl der Studienplätze steigt ja gleichzeitig auch enorm. Aber die Schere geht im Moment noch immer weiter auf, und wenn die KMK-Prognosen zutreffen, dass wir in den nächsten Jahren also im Grunde genommen immer mit 500.000 neuen Studierenden rechnen müssen, dann kann man sich schnell auszählen, dass wir da an Kapazitätsgrenzen kommen, die die jungen Leute dann verkraften müssen.
Degenhardt: Sie sprechen, Entschuldigung, immer von Kapazitätsgrenzen. Um es deutlich zu sagen: Es geht letztendlich ums Geld, richtig?
Olbertz: Ja natürlich geht es ums Geld …
Degenhardt: Aber da sind ja im Hochschulpakt Summen festgelegt. 26.000 Euro, das scheint offensichtlich zu wenig zu sein.
Olbertz: Das ist ganz entschieden zu wenig. Auch die Zahl der Studienanfängerplätze. Man ist offensichtlich vorsichtig, weil man nicht genau weiß, wie sich die demografisches Situation wirklich an den Hochschulen niederschlagen wird. Wenn ich an Prognosen denke von vor fünf Jahren und erst recht von vor zehn Jahren, dann hätten wir längst in einem Tal sein müssen.
Das hat sich offensichtlich alles nicht bewahrheitet. Die Studienquote ist wesentlich gestiegen, liegt ja deutlich über 40 Prozent inzwischen, also auch der jungen Leute, die mit Hochschulzugangsberechtigung kommen, die also das Abitur erworben haben. Dann haben wir die Aussetzung der Wehrpflicht, wir haben Doppel-Abitura in einigen Ländern, meines Wissens zuletzt in Nordrhein-Westfalen, also einem sehr bevölkerungsstarken Land, so dass also diese ganzen Prognosen von der Kultusministerkonferenz inzwischen auch korrigiert worden sind.
Degenhardt: Früher haben wir mal, das ist noch gar nicht so lange her, einen Bildungsnotstand beklagt. Jetzt haben wir gewissermaßen das Gegenteil erreicht?
Olbertz: Man kann das polemisch so ausdrücken, aber dieses Gegenteil ist seinerseits auch wieder ein Notstand, weil letzten Endes die Hochschulen zu klein sind von ihrer Kapazität her, oder wir mal ganz grundsätzlich darüber nachdenken müssten, welche Perspektiven haben junge Leute eigentlich jenseits eines Universitäts- oder Hochschulstudiums? Denn auf der anderen Seite klagen und barmen die Handwerkskammern beispielsweise über fehlenden Nachwuchs, so dass also Berufsperspektiven in unserer Gesellschaft auch mal sehr gründlich diskutiert werden müssen, ob unbedingt überall nur ein Hochschulstudium eine Perspektive eröffnet. Das ist ja überhaupt gar nicht der Fall. Denken Sie an die Handwerksberufe, an die kaufmännischen Berufe. Überall wird händeringend nach qualifizierten und engagierten jungen Leuten gesucht. Und diese Ströme auch mal kritisch zu diskutieren, glaube ich, haben wir in Deutschland insgesamt nötig.
Degenhardt: Man könnte natürlich auch den jungen Leuten, die kein Einser-Abitur haben und trotzdem studieren wollen, raten, in die Universitäten in der Provinz zu gehen, zumal in den neuen Bundesländern?
Olbertz: Ja, das kann man ihnen wirklich raten, und wir haben ja im Moment auch eine ziemlich heterogene Entwicklung. Wir haben einen Run auf die großen Universitäten in den Metropolen, in Berlin, in München, in Köln. Wir haben in der Tat auch Sorgen in der Provinz, wie Sie das ausdrücken, also in den kleinen, aber oft sehr leistungsstarken, traditionsreichen und attraktiven Universitäten gerade in den neuen Ländern. Denken wir an Jena, an Halle, an Leipzig, an Magdeburg oder im Fachhochschulsektor an Merseburg, an Stendal oder an Greifswald und viele andere Standorte.
Greifswald ist allerdings eine Universität natürlich, aber die Studentenströme lenken sich natürlich sehr stark in die attraktiven Metropolen. Und in Berlin wird das, glaube ich, völlig unabhängig von demografischen Prognosen, weil ich ja jetzt aus Berlin heraus rede, wird es immer eine Riesennachfrage sein und wir werden die über viele, viele Jahre nicht Eins zu Eins befriedigen können.
Degenhardt: Um das noch mal klar zu sagen, das mit den Provinzen war meinerseits überhaupt nicht böse gemeint, mehr als Standortbeschreibung …
Olbertz: Nein, nein, gar nicht, der Begriff Provinz ist historisch eigentlich auch gar nicht belastet, das haben wir erst viel später gemacht, dass wir darüber ein bisschen geschmunzelt haben.
Degenhardt: Jan-Hendrik Olbertz war das, der Präsident der Humboldt-Universität, über die große Schar der Studienanfänger und die Notwendigkeit von Zulassungshürden. Vielen Dank für das Gespräch!
Olbertz: Ja, ich danke Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.