"Ohne Mann hatte es gar keinen Sinn"

23.11.2010
Der zweite Roman der 1973 geborenen Autorin ist ein radikaler Abgesang auf geläufige Vorstellungen von Liebe, Ehe, Mutterschaft, Familie. Die Heldin erlebt Enttäuschung auf Enttäuschung, so sehr sie ihre Ansprüche auch herunterschraubt.
An unglücklichen Frauengestalten ist die europäische Literatur besonders des 19. Jahrhunderts reich. Die vielleicht bekannteste Leidende heißt Madame Bovary. Die Apothekersgattin wählt den Freitod, nachdem ihr romantischer Lebenstraum an der Trivialität und Borniertheit der Umwelt, am Opportunismus und Materialismus ihres Ehemanns und der Liebhaber zuschanden kam. Léda Forgó, 1973 geboren, schickt in ihrem zweiten Roman "Vom Ausbleiben der Schönheit" eine ferne Nachfahrin von Madame Bovary in die brandenburgische Provinz. Dort bleibt viel mehr aus als nur die Schönheit.

In Berlin hatte es für Lában Lenke, Lále genannt, vielversprechend begonnen: Sie war dem Filmregisseur Pável begegnet, der wie Lále aus Ungarn stammt. Doch der Geliebte ist verheiratet, hat Kinder und überredet die bald schwangere Lále zur Abtreibung, bevor er sich vorsichtig zurückzieht. Lále findet über eine Partnerschaftsagentur Ersatz und zeugt mit dem nur halbwegs zufriedenstellenden Pit ein Kind. Dann überzeugt sie den unselbstständigen Ehemann, seine Anstellung zu kündigen und eine eigene Firma zu gründen.

Die Karriereträume werden von der Realität ebenso kleingerieben wie der Traum vom eigenen Haus: Erschwinglich ist es nur in der Provinz, in Cottbus, in unmittelbarer Nähe von Pits Eltern und Verwandten. Diese biederen Kleinbürger versuchen, die Fremde zu isolieren und ihr das Kind zu nehmen. Am Ende flieht Lále nach Berlin. Sie verliert Kind, Mann und den Halt im Leben.

"Vom Ausbleiben der Schönheit" ist ein radikaler Abgesang auf geläufige Vorstellungen vom sinnerfüllten Leben wie Liebe, Ehe, Mutterschaft, Familie. Lále erlebt Enttäuschung auf Enttäuschung, so sehr sie ihre Ansprüche auch herunterschraubt. Schuld am fortgesetzten Bankrott der Lebensentwürfe sind die Männer. Die richtigen, die geliebten, fehlen stets wie Pável: Láles Vater war wie der Großvater früh gestorben. Was Lále bleibt, ist immer nur Ersatz. Denn: "Ohne Mann hatte es gar keinen Sinn, dass Frauen Frauen waren."

Léda Forgó schildert den schalen Ersatzcharakter von Láles Welt mit herbem parodistischen Charme. Ein illusionsloser Blick fällt stets auf Hässliches, das nur wegen des innigen Wunsches nach Glück ertragen wird: Pit "spitzte den Mund über der heißen Tasse, (so) dass er Lále an einen Schließmuskel erinnerte."

Der dreiteilige Roman erzählt in mal mündlicher, mal schön expressiver Drastik und Kürze vom Scheitern aller Träume. So unnachsichtig wie sensibel schildert der mittlere, etwas zu lang geratene Teil die familiären Abhängigkeitsverhältnisse in der Provinz. Warum Lále so lange in ihnen aushält, zeigt sich erst, als sie zu gelähmt ist, um Kontakt zu der ersten ihr sympathischen Frau in Cottbus aufzunehmen. Bei einem zufälligen Wiedersehen fallen beide dann übereinander her.

Dass Marlis kurz nach dieser Liebesszene an Krebs stirbt, ist so dick aufgetragen wie manch andere Schicksalhaftigkeit in diesem Roman - etwa dass Láles verstorbener Vater auch noch Jude ist. Aber es zeigt nachdrücklich, dass Léda Forgó keinen zielgruppengerechten Roman über paarungs- und hauskaufwillige Großstädter schreiben wollte, sondern einen, der die Größe und Gewalt von Träumen beschwört. Das ist ihr über weite Strecken beeindruckend gelungen.

Besprochen von Jörg Plath

Léda Forgó: Vom Ausbleiben der Schönheit. Roman
Rowohlt Berlin, Berlin 2010
253 Seiten, 19,95 Euro