"Ohne Kino wäre ich nicht gerne auf der Welt"

Von Michael Meyer · 22.10.2012
In den USA hat er es schon einmal auf die "Time"-Top 100-Liste der einflussreichsten Menschen der Welt geschafft. Hierzulande ist der Filmemacher Werner Herzog vor allem durch seine Arbeiten mit Klaus Kinski ein Begriff. Auf einer neuen Website kann man sich nun durch Standfotos klicken, die während seiner Dreharbeiten entstanden.
"Okay, es tut sich was, ich bedanke mich bei der Kinemathek." (Lachen)

Ganz unspektakulär wurde heute morgen die Website mit 600 Fotos freigeschaltet. Ein Klick auf die "Enter" – Taste – und schon war das Archiv zugänglich. Insgesamt 16.000 Motive sind digitalisiert worden. Zu sehen sind nun vor allem Motive von Dreharbeiten zu 42 Herzog-Filmen: Der Regisseur im Gespräch mit Schauspielern, mit Kameraleuten, mal schwarz-weiss, das meiste in Farbe – und, natürlich, Herzog zusammen mit Kinski.

Ein Bild bei den Dreharbeiten zu "Cobra Verde" zeigt die beiden in überraschend gelöster Stimmung, beide freudestrahlend, sich umarmend. Ein anderes Mal bedroht Kinski Herzog mit einer Machete am Hals – die blanke Aggression. Ein berühmtes Bild. Das dürfe man aber nicht so ernst nehmen , sagt Herzog rückblickend:

"Immer wenn ein Fotograf da war, hat er sich produziert und hat sich ins Bild gebracht, als wäre er der große Meister von allem. Das hat er nur gemacht, weil der Fotograf gerade da war. Und das war nur fürs Foto gedacht gewesen, aber heute sieht es so aus als hätte er da so eine Machetenattacke gegen meinen Hals angeritten. Sie sehen auch, ich nehme das nicht so ernst, die Leute lachen auch im Hintergrund, aber es ist ein schönes Foto und es hat irgendwie was Ikonisches an sich. Das hat als Foto eine ganz eigene Kraft, und deswegen finde ich das auch sehr schön, dass das mit hier drin ist."

Ein anderes Foto, ebenfalls von den Dreharbeiten zu "Cobra Verde", zeigt Herzog, wie er einem Statisten vorspielt, wie er sich bewegen soll in einer Szene, in der er ausgepeitscht wird und in der Probe gekrümmt die Schultern nach hinten wirft. Die Silhouette dieser Szene ist Herzogs Markenzeichen geworden und prangt nun klein auf allen Fotos in der Ecke und auf dem Briefpapier.

Die Intensität und die Schönheit der Fotos liegen wohl auch darin begründet, dass Herzog den Set-Fotografen immer breitest-möglichen Raum und viel Zeit gegeben hat – im Unterschied zu anderen Regisseuren war Herzog das durchaus wichtig. Auf die Idee, seine Filme auch auf Fotos gut zu dokumentieren, kam Herzog, als er sah, dass von manchen Spielfilmen aus der Weimarer Zeit heute nur noch wenig erhalten ist:

"Und von diesen Filmen gibt’s keine Kopie und kein Negativ mehr, und was übrig ist, sind ein paar Fotos, ein paar Schwarz-Weiß-Fotos, und wir kennen den Inhalt des Films und eine kurze Beschreibung und das ist alles , was übrig geblieben ist. Und ich dachte mir: Möglicherweise, weil Film ja sehr vergänglich ist, Fotos sind weniger vergänglich, bleibt von all dem, was ich gemacht habe, nur eine Hand voll Fotos übrig."

In dem virtuellen Archiv, das nun im Internet zu besichtigen ist, sieht man neben der Gegenüberstellung von Filmstills und den Dreharbeiten, auch manch private Motive: Etwa Herzog im intimen Gespräch mit der großen alten Dame der deutschen Filmkritik, Lotte Eisner. Eisner, mit rötlich gefärbten Haaren, mit Hut und eiskalt-blauem Kostüm, war in den sechziger und siebziger Jahren für Herzog und andere deutsche Autorenfilmer so etwas wie eine Mentorin, die die Bedeutung des neuen deutschen Films frühzeitig erkannte:

"Es war nie so klar ausgesprochen, aber es war immer klar, wenn Lotte uns für den neuen deutschen Film erklärt, und Filmkultur als legitim bezeichnet hat, da hat man aufgewacht in der Welt. Und insofern war sie besonders wichtig für mich. Und Sie wissen ja vielleicht, dass ich zu Fuß von München nach Paris gegangen bin, als sie sterben wollte, aber das wollte ich nicht zulassen, und als ich in Paris ankam, wusste ich, sie würde aus dem Krankenhaus heraus sein, wenn ich zu Fuß käme, und das war sie dann auch – sie starb dann auch erst acht oder neun Jahre später."

Herzog war stets ein Schwimmer gegen den Strom – in den nach 68er-Zeiten wurde er sogar autoritär-reaktionärer Züge bezichtigt – ein Film wie "Aguirre-Der Zorn Gottes" entsprach wohl kaum in seiner Thematik dem studentischen Weltbild von damals: Kinski als martialischer Eroberer und mit ihm der manisch-exzessive Herzog – für damalige Verhältnisse war das sicher ein "Culture Clash".

Und dennoch ist es schade, dass die Dokumentarfilme nicht so sehr bekannt sind: Bislang ist beispielsweise die vierteilige Dokumentation "Death Row" über Todeskandidaten in amerikanischen Gefängnissen, ihre Angehörigen und ihre Familien, bei uns noch nicht zu sehen gewesen. Mit der Filmreihe und dem Symposium am kommenden Wochenende will die Stiftung Deutsche Kinemathek den verloren gegangenen Sohn Werner Herzog wieder zurück nach Deutschland holen, mehr Aufmerksamkeit erzeugen, sagt Projektleiter Werner Sudendorf:

"Wir wünschten uns, und Werner Herzog glaube ich auch und viele andere, dass seine Filme vielleicht auch mal im deutschen Fernsehen gezeigt werden, auch seine neueren deutschen Filme, es ist ja fast gar nichts gelaufen. Wenn Sie sich die letzten 20 Jahre von Werner Herzog ansehen wollen, dann können Sie nur DVDs bestellen, also im Grunde ist so etwas, das wir diesen Regisseur wieder zurückholen zu uns, es ist im Grunde eine Emigration gewesen in den letzten 20 Jahren und hier öffnet sich ein Bereich, wo wir die Chance geben, ihn näher kennenzulernen."

Am Schluss sagte Herzog dann noch, dass er sich eigentlich nicht als deutscher Regisseur sehe, sondern als bayerischer. Und dass er nicht gerne zurückschaue, sondern immer nach vorne arbeite – insofern sei ihm das Weggeben seines Archivs leichtgefallen. Seine Liebe zum Kino – die sei aber noch immer so groß wie zu Kindertagen:

"Ohne Kino wären wir eigentlich gar nicht mit irgendeinem Bildgedächtnis ausgestattet, wie das jetzt in den letzten hundert Jahren sich bei uns entwickelt hat. Das ist eine außerordentliche Errungenschaft und ohne Kino würde ich eigentlich nicht gerne auf der Welt sein."


Das virtuelle Archiv des Regisseurs Werner Herzog: Die Fotos befinden sich im Besitz der Stiftung Deutsche Kinemathek im Film – und Fernsehmuseum in Berlin