Ohne Geld mit einer Utopie
Raphael Fellmer ist besorgt. Der 29-jährige Berliner will die Ungerechtigkeiten in der Welt anklagen, den westlichen Lebensstil und die Überflussgesellschaft. Aus Protest ist er in den Geld-Streik getreten.
„Meine Berufung ist es, glaube ich, so wie jede Berufung des Menschen, zu helfen, Gutes zu tun, zu strahlen und der Menschheit zu helfen, dahin zu kommen, wo wir eigentlich alle stehen wollen. Und das ist in einer Welt, wo es niemanden mehr gibt, der leidet. Und wo wir im Einklang mit der Natur zusammen in einem Mit- und Füreinander leben.“
Raphael Fellmer sitzt barfuß und im Schneidersitz auf dem Boden seines Wohnzimmers. Mit den intensiven hellgrünen Augen, dem kahlgeschorenen Kopf und offenen Gesicht wirkt er sehr mit sich im Einklang. Kein Wunder, denn er lebt ohne den Stress, dem Geld hinterher rennen zu müssen. Er arbeitet nicht, und wenn, dann im Austausch gegen Unterkunft, Verpflegung oder eine Mitfahrgelegenheit in die Stadt. Geld lenkt uns von unserer Berufung ab und vergiftet die menschlichen Beziehungen, meint er.
„Weil wir uns ja alles kaufen können, sei es Liebe in Anführungsstrichen, sei es ein Klempner, sei es ein Maler, sei es jemand, der dich massiert, egal was, du kannst alles mit Geld bezahlen. Aber da entsteht oft gar kein menschliches Verhältnis.“
Immer weniger fühlen sich die Menschen miteinander und der Welt verbunden, sagt der 29-jährige Berliner. Mitgefühl? Fehlanzeige. Nur so kann es dazu kommen, dass Menschen andere Menschen ausbeuten, an der Erde Raubbau treiben und Tiere massenhaft züchten und schlachten, um sie zu essen. Unmoralische, barbarische Dinge, alles für Geld:
„Wir leben in Europa ja in einer perversen Überflussgesellschaft. Wir haben 50 Prozent der Lebensmittel pro Jahr, die wir wegschmeißen, dann haben wir sehr viel leerstehende Wohnungen, ganze Häuser, Büroräume, wir haben in Deutschland über 43 Millionen Autos, sprich, auch da sind Ressourcen da. Wir leben in einer Gesellschaft, wo wir von allem mehr haben, als wir brauchen, darauf wollen wir das Scheinwerferlicht drücken, dass es so nicht weitergeht.“
Raphael Fellmer ernährt sich vegan und von dem, was andere wegschmeißen. Früher hat er nachts illegal die Container der Bio-Supermärkte durchforstet, jetzt bekommt er die aussortierten Lebensmittel ganz offiziell. Dafür berät er die Läden in Sachen Nachhaltigkeit. Zu Vorträgen und Freunden fährt er mit dem Rad, ab und zu trampt er. Er braucht kein Konto, und im Martin Niemöller Haus, einem Friedenszentrum im feinen Berliner Stadtteil Dahlem, wohnt er fast umsonst.
„Das hier ist der Garten, wo wir uns beteiligen. Ich mäh den Rasen, wir gießen, das kann ich auch gleich ‚mal machen, haben Kartoffeln angepflanzt und spielen mit Amaranth.“
Wir, das sind neben Fellmer selbst seine spanische Freundin Nieves und die gemeinsame Tochter Alma. Bei ihr macht der Berliner eine Ausnahme vom Geld-Streik. Das einjährige Mädchen bekommt Kindergeld, die Familie ist krankenversichert. Schon als Kind störte ihn Ungerechtigkeit, wollte er die Welt verbessern, erinnert sich Raphael Fellmer, der im Berliner Westen aufgewachsen ist. Befeuert wurde dieser Wunsch durch 13 Jahre Waldorfschule. Seine Eltern ließen ihm genügend Freiheit. Der Vater ist Architekt, die Mutter Kunsttherapeutin, seine beiden Brüder arbeiten als Schauspieler. Doch der Weg zu seinem Ziel änderte sich: Erst wollte Fellmer Millionär werden, um die hungernden Menschen mit Geld zu unterstützen, dann Entwicklungshelfer, dann Politiker.
„Und dann habe ich irgendwann festgestellt, dass ich mich nur ändern muss. Weil ich mit dem ganzen Leid und der Situation der anderen Mitmenschen zusammenhänge. Und anstatt mit dem Finger auf andere zu zeigen oder zu meinen, man muss irgendetwas erreichen, um etwas zu verändern, habe ich begonnen, dann den Geldstreik zu leben.“
„Edelschmarotzer“ – so ist Raphael Fellmer schon beschimpft worden. Ihn ärgert das nicht. Nur weil er nicht für Lohn arbeitet, bringt er sich ja trotzdem in die Gesellschaft ein, sagt er. Als Inspiration für ein anderes Leben. Auch das verdient seiner Meinung nach Anerkennung.
„Die meisten Menschen glauben, dass das ‚ne Utopie ist, die wir vielleicht irgendwann erreichen werden. Eine Welt ohne Geld, ‚ne Welt ohne Gesetze, ‚ne Welt ohne Krieg, ‚ne Welt ohne Polizisten, ohne Waffen, ohne Leid auf irgendeiner Ebene. Aber ich denke, dass das auch durch einen Mangel von Liebe und Vertrauen zustande kommt, dieses negative Denken oder das lächerlich machen, weil man selbst nicht den Glauben hat.“
Auch wenn er gern predigt – Raphael Fellmer sieht sich selbst nicht als Guru einer neuen Bewegung. Führer haben ausgedient, meint der schlanke Mann mit dem blonden Kinnbart. Dass sein Geld-Streik nur funktioniert, weil er den Konsum anderer ausnutzt, das ist ihm klar. Deshalb planen er und seine Freundin schon den nächsten Schritt: Ein autarkes Leben in einer Kommune mit Freunden und Familien in Italien.
„Unser eigenes Essen anbauen, eigene Energie produzieren, in einer Gemeinschaft leben, wo sich jeder mit seinen Talenten und Gaben einbringt, wo man sich gegenseitig hilft, aber auch nicht als geschlossene Community. So wie eine große Schule des Lebens eigentlich.“
Links auf dradio.de:
- Gegen den Wachstumswahn – Nachhaltigkeitsforscher über den notwendigen gesellschaftlichen Wandel
- Was verbindet, „das macht eben auch Lust“ – Solidarität ist ein arg strapazierter Begriff, aber die Philosophen assoziieren ihn mit Gestaltung und Genuss
Raphael Fellmer sitzt barfuß und im Schneidersitz auf dem Boden seines Wohnzimmers. Mit den intensiven hellgrünen Augen, dem kahlgeschorenen Kopf und offenen Gesicht wirkt er sehr mit sich im Einklang. Kein Wunder, denn er lebt ohne den Stress, dem Geld hinterher rennen zu müssen. Er arbeitet nicht, und wenn, dann im Austausch gegen Unterkunft, Verpflegung oder eine Mitfahrgelegenheit in die Stadt. Geld lenkt uns von unserer Berufung ab und vergiftet die menschlichen Beziehungen, meint er.
„Weil wir uns ja alles kaufen können, sei es Liebe in Anführungsstrichen, sei es ein Klempner, sei es ein Maler, sei es jemand, der dich massiert, egal was, du kannst alles mit Geld bezahlen. Aber da entsteht oft gar kein menschliches Verhältnis.“
Immer weniger fühlen sich die Menschen miteinander und der Welt verbunden, sagt der 29-jährige Berliner. Mitgefühl? Fehlanzeige. Nur so kann es dazu kommen, dass Menschen andere Menschen ausbeuten, an der Erde Raubbau treiben und Tiere massenhaft züchten und schlachten, um sie zu essen. Unmoralische, barbarische Dinge, alles für Geld:
„Wir leben in Europa ja in einer perversen Überflussgesellschaft. Wir haben 50 Prozent der Lebensmittel pro Jahr, die wir wegschmeißen, dann haben wir sehr viel leerstehende Wohnungen, ganze Häuser, Büroräume, wir haben in Deutschland über 43 Millionen Autos, sprich, auch da sind Ressourcen da. Wir leben in einer Gesellschaft, wo wir von allem mehr haben, als wir brauchen, darauf wollen wir das Scheinwerferlicht drücken, dass es so nicht weitergeht.“
Raphael Fellmer ernährt sich vegan und von dem, was andere wegschmeißen. Früher hat er nachts illegal die Container der Bio-Supermärkte durchforstet, jetzt bekommt er die aussortierten Lebensmittel ganz offiziell. Dafür berät er die Läden in Sachen Nachhaltigkeit. Zu Vorträgen und Freunden fährt er mit dem Rad, ab und zu trampt er. Er braucht kein Konto, und im Martin Niemöller Haus, einem Friedenszentrum im feinen Berliner Stadtteil Dahlem, wohnt er fast umsonst.
„Das hier ist der Garten, wo wir uns beteiligen. Ich mäh den Rasen, wir gießen, das kann ich auch gleich ‚mal machen, haben Kartoffeln angepflanzt und spielen mit Amaranth.“
Wir, das sind neben Fellmer selbst seine spanische Freundin Nieves und die gemeinsame Tochter Alma. Bei ihr macht der Berliner eine Ausnahme vom Geld-Streik. Das einjährige Mädchen bekommt Kindergeld, die Familie ist krankenversichert. Schon als Kind störte ihn Ungerechtigkeit, wollte er die Welt verbessern, erinnert sich Raphael Fellmer, der im Berliner Westen aufgewachsen ist. Befeuert wurde dieser Wunsch durch 13 Jahre Waldorfschule. Seine Eltern ließen ihm genügend Freiheit. Der Vater ist Architekt, die Mutter Kunsttherapeutin, seine beiden Brüder arbeiten als Schauspieler. Doch der Weg zu seinem Ziel änderte sich: Erst wollte Fellmer Millionär werden, um die hungernden Menschen mit Geld zu unterstützen, dann Entwicklungshelfer, dann Politiker.
„Und dann habe ich irgendwann festgestellt, dass ich mich nur ändern muss. Weil ich mit dem ganzen Leid und der Situation der anderen Mitmenschen zusammenhänge. Und anstatt mit dem Finger auf andere zu zeigen oder zu meinen, man muss irgendetwas erreichen, um etwas zu verändern, habe ich begonnen, dann den Geldstreik zu leben.“
„Edelschmarotzer“ – so ist Raphael Fellmer schon beschimpft worden. Ihn ärgert das nicht. Nur weil er nicht für Lohn arbeitet, bringt er sich ja trotzdem in die Gesellschaft ein, sagt er. Als Inspiration für ein anderes Leben. Auch das verdient seiner Meinung nach Anerkennung.
„Die meisten Menschen glauben, dass das ‚ne Utopie ist, die wir vielleicht irgendwann erreichen werden. Eine Welt ohne Geld, ‚ne Welt ohne Gesetze, ‚ne Welt ohne Krieg, ‚ne Welt ohne Polizisten, ohne Waffen, ohne Leid auf irgendeiner Ebene. Aber ich denke, dass das auch durch einen Mangel von Liebe und Vertrauen zustande kommt, dieses negative Denken oder das lächerlich machen, weil man selbst nicht den Glauben hat.“
Auch wenn er gern predigt – Raphael Fellmer sieht sich selbst nicht als Guru einer neuen Bewegung. Führer haben ausgedient, meint der schlanke Mann mit dem blonden Kinnbart. Dass sein Geld-Streik nur funktioniert, weil er den Konsum anderer ausnutzt, das ist ihm klar. Deshalb planen er und seine Freundin schon den nächsten Schritt: Ein autarkes Leben in einer Kommune mit Freunden und Familien in Italien.
„Unser eigenes Essen anbauen, eigene Energie produzieren, in einer Gemeinschaft leben, wo sich jeder mit seinen Talenten und Gaben einbringt, wo man sich gegenseitig hilft, aber auch nicht als geschlossene Community. So wie eine große Schule des Lebens eigentlich.“
Links auf dradio.de:
- Gegen den Wachstumswahn – Nachhaltigkeitsforscher über den notwendigen gesellschaftlichen Wandel
- Was verbindet, „das macht eben auch Lust“ – Solidarität ist ein arg strapazierter Begriff, aber die Philosophen assoziieren ihn mit Gestaltung und Genuss