Ohne Bart und Kaftan

Von Heinz-Peter Katlewski · 05.11.2010
Neun Jahre lang hat Boris Ronis studiert, um Rabbiner zu werden, Praktika gemacht, Russisch gepaukt. Jetzt will der 35-Jährige frischen Wind in die nichtorthodoxen Synagogen Berlins bringen.
"Ein Rabbiner ohne Bart, ohne Hut und der nicht schwarz gekleidet ist, war für mich auch kein Rabbiner. Wenn du heute mich anguckst würdest du niemals sagen, ich sehe aus wie der typische Rabbiner. Aber das war auch der Punkt, wo ich mich selber informieren musste und mit mir selber kämpfen musste zu sagen, was für ein Rabbiner werde ich eigentlich, in welche Richtung gehe ich eigentlich? Wie will ich mich später darstellen?"

Boris Ronis ist soweit. Sein Studienweg, der der liberalen Rabbiner, bestand aus einem theologisch und religionswissenschaftlich ausgerichteten Universitätsstudium und parallel dazu der rabbinisch-praktischen Ausbildung am Rabbinerseminar der Universität Potsdam, dem Abraham-Geiger-Kolleg. Ihm wurde deshalb nicht nur der Magistergrad verliehen, sondern er empfing auch die Smicha, die Ordination zum Rabbiner.

In einer feierlichen Zeremonie hat ihm Rabbiner Walter Jacob, der 80-jährige Präsident des Kollegs, die Hände auf die Schultern gelegt und die beiden hebräischen Worte gesprochen, mit denen traditionell die Rabbiner-würde übertragen wird: Jore, Jore, Jadin, Jadin – Darf er entscheiden? Er darf entscheiden! Darf er richten? Er darf richten! Große Worte. Rabbiner Ronis ist sich der Herausforderung bewusst.

"Ich habe einen Teilabschnitt meines Weges zurückgelegt und ihn abgeschlossen. Aber der Weg geht weiter. Dass man jetzt die Uni abgeschlossen ist, ist das eine, dass man jetzt zum Rabbiner ordiniert wird, ist das andere. Aber dass man jetzt auch mit dem, was man hat, weiterarbeiten muss, sich weiterentwickeln muss auf dem Weg eines Rabbiners, das ist unumgänglich."

Er war Mitte Zwanzig, als er den Entschluss fasste, seinen krisensicheren Job im Öffentlichen Dienst ruhen zu lassen und das Abenteuer einzugehen, von vorne anzufangen und ein langwieriges Studium zu absolvieren.

"Die regulären Fächer, das waren Jüdische Studien, Religionswissenschaft, Russistik und Rabbinische Studien."

Neun Jahre wurden es. Dazu gehörten unter anderem auch ein Studienjahr in Israel, Gemeindepraktika in Köln, Göttingen, Mönchengladbach und Berlin, und das alles während des Studiums an Universität und Rabbinerseminar. Das Nebenfach der Russistik, also der Russischen Sprache und Literatur, an der Universität stellt eine Verbindung her zwischen seinem eigenen Lebensweg und denen, für die er künftig als Rabbiner amtieren wird.

Boris Ronis kam zwar bereits als Kind nach Deutschland und hat den weitaus größten Teil seines Lebens in Berlin verbracht. Dennoch: Ihm ist Vieles von dem vertraut, was die Mitglieder jüdischer Gemeinden in ihrem Alltag beschäftigt.

"Ich bin aufgewachsen in Deutschland, aber ich komme aus Russland. Ich komme aus einer Region, aus der der größte Teil der Juden in Deutschland auch kommen. Ich verstehe also sehr gut, wie die Leute sich fühlen, ich weiß ganz genau, wie schwierig es ist, etwas Neues hier aufzubauen, ich spreche die Sprache, ich kann Russisch, ich kann begreifen, welche Bedürfnisse sie haben.

Andererseits weiß ich ganz genau, was hier in Deutschland gefördert wird und gefordert wird. Ich weiß, wie die deutsche Kultur funktioniert. Ich bin auch mit der Problematik aufgewachsen, mit anderen Migranten aufzuwachsen, türkischstämmige Menschen zum Beispiel."

Boris Ronis ist mit Leib und Seele Berliner. Hier will er bleiben. Und deshalb macht er jetzt, nach Studium und Ordination, was für Rabbiner in früheren Jahrhunderten normal war: Er wird nach den Jahren des Lernens sein Geld bei seinem alten Arbeitgeber verdienen.

Seinen neuen Beruf, den des Rabbiners, wird er vorerst als eine Berufung für das Wochenende wahrnehmen und in den nichtorthodoxen Synagogen Berlins amtieren: in der Rykestraße, am Fraenkelufer und in der Pestalozzistraße. Vielleicht kommt auch noch etwas Jugendarbeit hinzu. Was ihm aber besonders wichtig ist, ist, das allzu vertraute und stereotype Bild des Rabbiners abzubauen.

"Das, was ich darstellen möchte, ist auch die Klischees in den Köpfen der Leute abzubauen, dass ein Rabbiner am besten mit einem langen weißen Bart rumläuft in einem schwarzen Kaftan. Das ist nicht mehr der Rabbiner, der heute gefragt ist, das ist auch nicht der Rabbiner, der heute auf die Bedürfnisse der Menschen eingehen kann, aber es oft der Rabbiner, der verlangt wird."