Offshore-Windparks

Wetten auf steigende Strompreise

Die Installationshubinsel "Thor" steht am 21.05.2014 bei Montagearbeiten an der Konverterplattform "Meerwind Süd/Ost" im Offshore Windpark von WindMW in der Nordsee rund 16 Seemeilen vor Helgoland, Schleswig-Holstein.
Die Installationshubinsel "Thor" steht bei Montagearbeiten im Offshore Windpark von WindMW in der Nordsee rund 16 Seemeilen vor Helgoland. © picture-alliance / dpa / Christian Charisius
Seit Lizenzen für Offshore-Windparks per Ausschreibung vergeben werden, sind diese offenbar viel günstiger geworden. Der Energie-Experte Patrick Graichen begrüßt den Wettbewerb. Gleichzeitig warnt er: "Das war jetzt noch kein Bauentscheid."
Seit Anfang des Jahres gelten bei der Lizenzvergabe für Offshore-Windparks geänderte Kriterien: Jetzt erhält derjenige Anbieter den Zuschlag, der mit den wenigsten staatlichen Fördergeldern auskommen will. Und auf einmal scheint die teure Offshore-Windenergie gar nicht mehr so teuer zu sein, wie sich Anfang April bei der Vergabe von vier Windparks in der Nordsee zeigte.
"Das Höchstgebot in der Auktion, das zum Zuge kam, war sechs Cent die Kilowattstunde", so Patrick Graichen, Direktor des Think Tanks "Agora Energiewende", am Dienstag im Deutschlandfunk Kultur. "Wenn Wettbewerb herrscht und wenn klar ist, man muss die Kosten senken, sonst ist man nicht mehr dabei, dann ist auch bei Wind-Offshore vieles möglich."

Wetten auf einen höheren Börsenstrompreis

Wie realistisch diese Kalkulationen sind, ist dem Energieexperten zufolge allerdings noch offen. "Da waren jetzt auch Wetten auf die Zukunft dabei in zweierlei Hinsicht", sagte er. Zum einen beinhalteten die Baukonzepte deutlich größere Windräder, als sie derzeit überhaupt existierten: "Die gehen dann davon aus, dass Siemens in den nächsten drei, vier Jahren das schon hinkriegen wird, zehn bis zwölf Megawatt-Windmühlen zu bauen."
Außerdem hätten die Bieter auf einen steigenden Strompreis gewettet. "Diejenigen, die gesagt haben: wir brauchen nur den Netzanschluss, wir brauchen keine zusätzliche Unterstützung, die setzen darauf, dass der Börsenstrompreis bis zum Jahr 2025 sich deutlich erhöht, weil bei den aktuellen Börsenstrompreisen würde das keiner finanzieren können."

Im Zweifelsfall die Vertragsstrafe zahlen

Insofern müsse man die neue Entwicklung zunächst nüchtern betrachten, mahnte Graichen:
"Den Baubeschluss werden die erst im Jahr 2021 fällen, und wenn sie dann nicht bauen, dann müssen sie eine Pönale zahlen, die jetzt in diesem Fall 145 Millionen Euro sein wird. Das ist dann sehr schmerzhaft, aber das machen die im Zweifel eher, als eine Milliardeninvestition in den Sand zu setzen." (uko)

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Es gibt eine ganze Reihe von Gründen, heute Morgen mal wieder über Windkraft, insbesondere über Offshore-Windparks zu reden. Da ist zum einen die Eröffnung eines der größten Offshore-Windparks Europas vor der niederländischen Nordseeküste heute, da ist der Beginn des Branchentreffens Windforce 2017 in Bremerhaven, ebenfalls heute, und da ist noch eine ganz erstaunliche Tatsache, die im Zusammenhang mit beidem steht: Die Tatsache nämlich, dass Offshore-Windparks plötzlich billiger geworden zu sein scheinen, seit die Bundesregierung die Lizenzvergabe für solche Windparks verändert hat.
Es ist nämlich seit ungefähr einem Jahr so, dass das Unternehmen eine solche Lizenz bekommt, das ankündigt, mit den wenigsten Subventionen, mit der wenigsten staatlichen Förderung auszukommen. Und seit das so ist, ist die teure Offshore-Windkraft plötzlich so billig, dass bald zum ersten Mal sogar Offshore-Windparks völlig ohne öffentliche Gelder entstehen sollen.
Wie das eigentlich plötzlich sein kann, und was man daraus schließen muss für die Zukunft der erneuerbaren Energien, das wollen wir jetzt mit Patrick Graichen besprechen. Er ist Direktor des Thinktanks Agora Energiewende. Herr Graichen, schönen guten Morgen!
Patrick Graichen: Guten Morgen!

"Wir haben selbst auch Bauklötze gestaunt"

Kassel: Das klingt so ein bisschen wie ein Wunder. Wenn ich mich richtig erinnere, war die Offshore-Windenergie vor wenigen Jahren noch ziemlich teuer, und jetzt ist sie plötzlich total billig geworden?
Graichen: Ja, in der Tat. Wir haben selbst auch Bauklötze gestaunt. Wir haben ja zu denjenigen gehört, die auch noch vor vier Jahren gesagt haben, lasst uns mal lieber langsamer machen bei Wind offshore, damit uns das alles nicht zu teuer wird. Und jetzt stellen wir fest, wenn Wettbewerb herrscht und wenn klar ist, man muss die Kosten senken, sonst ist man nicht mehr dabei, dann ist auch bei Wind offshore vieles möglich.
Kassel: Dann kann man daraus umgekehrt vielleicht auch schließen, die waren früher gar nicht so teuer, wie die Energieversorger behauptet haben. Was auch bedeuten würde, die Stromverbraucher haben eigentlich viel zu viel bezahlt?
Graichen: Das ist natürlich immer, wenn man eine neue Technologie einführt, schwer vorherzusehen, wie schnell die Kosten sinken können. Ich weiß nicht, ob wir vielleicht auch schon drei oder vier Jahre früher niedrigere Kosten hätten zahlen müssen. Auf jeden Fall ist es so, dass die jetzt – ich meine, das Höchstgebot in der Auktion, das zum Zuge kam, war sechs Cent die Kilowattstunde. Ich weiß noch, dass die allermeisten in ihren Rechenmodellen mit mindestens dem Doppelten gerechnet haben.

Noch gibt es die größeren Windräder gar nicht

Kassel: Aber damit haben Sie schon ein wichtiges Stichwort, finde ich, genannt, Herr Graichen: Rechenmodelle. Das heißt, das sind ja alles auch so ein bisschen Wetten auf die Zukunft, und das sind auch so nicht immer sichere Vorhersagen, was künftige Preisentwicklungen angeht, oder?
Graichen: Ja, das stimmt. Diese Zuschläge, die die Wind-offshore-Parks bekommen haben, setzen auf einen Start des Windparks im Jahr 2025 mit Baubeginn im Jahr 2021. Das heißt, da waren jetzt auch Wetten auf die Zukunft dabei, in zweierlei Hinsicht. Das eine ist die technologische Entwicklung bis zum Jahr 2025. Da sind im Kern in den Baukonzepten deutlich größere Windräder vorgesehen, als wir sie bisher überhaupt haben. Die gehen dann davon aus, dass Siemens das in den nächsten drei, vier Jahren schon hinkriegen wird, Zwölf-Megawatt-Windmühlen zu bauen.
Und das Zweite ist natürlich: Diejenigen, die gesagt haben, wir brauchen nur den Netzanschluss, wir brauchen keine zusätzliche Unterstützung, die setzen darauf, dass der Börsenstrompreis bis zum Jahr 2025 sich deutlich erhöht, weil bei den aktuellen Strompreisen würde das keiner finanzieren können.

Lizenzvergabe ist noch kein Bauentscheid

Kassel: Was würde denn eigentlich passieren, wenn das alles nicht so kommt, also wenn dann plötzlich diese Offshore-Windenergie auch für die Energieunternehmen viel teurer wäre, als sie sich jetzt ausrechnen. Fällt das dann doch wieder auf die Steuerzahler zurück, oder hat dann zum Beispiel ENBW, das ist einer von denen, die es ohne Fördergelder machen will, ein großes Problem?
Graichen: Man muss schon nüchtern hingucken und sagen, das war jetzt noch kein Bauentscheid. Den Baubeschluss werden sie erst im Jahr 2021 fällen. Und wenn sie dann nicht bauen, dann müssen sie eine Pönale zahlen, die jetzt in diesem Fall 145 Millionen Euro sein wird.
Das ist dann sehr schmerzhaft, aber das machen die im Zweifel eher, als eine Milliardeninvestition in den Sand zu setzen. Insofern ist das jetzt schon auch noch etwas, wo wir die nächsten drei, vier Jahre darauf setzen müssen, dass die Versprechungen, die da gemacht wurden, auch tatsächlich gehalten werden.
Kassel: Aber wenn wir mal positiv denken und davon ausgehen, es kommt so, wie es denn kommen könnte, warum dann nicht vielleicht sogar noch mehr auf Offshore-Windenergie setzen? Sie hat ja nun zwei klare Vorteile mindestens. Der Wind wehr regelmäßiger und stärker vor der Küste als auf dem Festland, und man hat keine Anwohner, die sich darüber beschweren, dass sie diese Dinger nicht vor der Haustür haben wollen. Also warum nicht in Zukunft vielleicht noch mehr als bisher wirklich auf Offshore setzen?
Graichen: Ja, ich glaube, dass das in der Tat jetzt ansteht. Wir werden ohnehin die Erneuerbaren-Ziele für das Jahr 2030 erhöhen müssen, weil wir ansonsten unsere Klimaschutzziele überhaupt nicht erreichen können. Und wenn wir jetzt darüber reden, dass man das Erneuerbaren-Ziel für 2030 anhebt, dann gehört da sicherlich dazu, dass wir das Wind-Offshore-Ziel von 15 Gigawatt in die Richtung von 20 Gigawatt anheben.

Keine Beeinträchtigung der Schweinswale

Kassel: Auf der anderen Seite, wenn Sie es nicht tun, tue ich es jetzt, gibt es natürlich schon Dinge zu bedenken, also nicht nur diese wirtschaftlichen Risiken, die wir schon besprochen haben. Es gibt natürlich auch Probleme mit dem Umweltschutz bei diesen Parks, den Offshore-Parks, und andererseits gibt es das schlichte Problem, der Strom wird ja nicht im Wesentlichen da oben, wo der Wind so weht, benötigt. Das sind doch zwei Dinge, die noch immer nicht richtig gelöst sind, oder?
Graichen: Beim Umweltschutz gab es Fortschritte. Da gab es ja auch umfangreiche Forschung, dass man die Windparks bauen kann, ohne dass die Schweinswale dadurch beeinträchtigt werden. Ich glaube, das ist nicht der Kernpunkt. Aber wo Sie natürlich vollkommen Recht haben, ist, ohne Stromleitung von Nord nach Süd machen Windparks offshore überhaupt keinen Sinn. Das heißt, bis zum Jahr 2025 müssen dann auch die Stromautobahnen, die jetzt geplant werden, auch tatsächlich gebaut werden.
Kassel: Aber das scheint mir doch schwierig. Ich habe fast den Eindruck, das ist einer der Teile der Energiewende, bei dem die Bundesregierung fast schon aufgegeben hat, denn die Anwohnerproteste, auch die Proteste einzelner Bundesländer wie Bayern scheinen doch unüberwindbar zu sein.

Verbesserungen bei der Trassenplanung

Graichen: Ich würde mal sagen, die Bundesregierung ist am Anfang da sehr naiv rangegangen, hat geglaubt, wenn wir da jetzt – 2013 war das ja –, den Beschluss fällen, dass man jetzt Stromautobahnen braucht, dann werden auch Stromautobahnen gebaut, und hat übersehen, dass das im Grunde eines der größten Infrastrukturprojekte der Nachkriegszeit ist und dass man das nicht mit einer halbstündigen Diskussion im Deutschen Bundestag mal eben über die Bühne kriegt. Die anschließenden drei bis vier Jahre öffentliche Debatte quer durch die Republik haben wir meines Erachtens auch gebraucht.
Jetzt liegen die Pläne aus, die Bürger können jetzt Einwendungen angeben und sagen, die Trasse sollte eher anderswo verlaufen, wir haben hier bessere Kenntnisse als ihr, liebe Netzbetreiber. Und mein Eindruck ist: Aufgescheucht durch diese Debatte, hören die jetzt viel besser hin. Und ich bin davon überzeugt, dass wir dann tatsächlich auch zu einer guten Planung kommen werden. Ein Großteil wird ja wahrscheinlich auch als Erdkabel verlegt werden, sodass wir insgesamt, glaube ich dann doch, zu Stromautobahnen kommen werden. Aber es dauert alles länger als ursprünglich gedacht.
Kassel: Patrick Graichen, der Direktor des Thinktanks Agora Energiewende, über diese Stromautobahn, vor allen Dingen aber über eine erstaunliche Preisentwicklung bei der Offshore-Windenergie. Herr Graichen, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch und wünsche noch einen schönen Dienstag!
Graichen: Ebenso! Schönen Tag!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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