Offener Brief an "Tagesspiegel"

Antirassismus ist keine Gefühligkeit

06:30 Minuten
Eine Schwarze Frau steht auf einer Bühne und singt. Vor ihr ist ein Mikrofon, das sie mit der rechten Hand greift.
"Mehr Empathie und intellektuelle Neugier" fordert die Sängerin Achan Malonda, die den offenen Brief an den "Tagesspiegel" mitgeschrieben hat. © Picture Alliance / dpa / Photopress Mueller / Ralf Mueller
Achan Malonda im Gespräch mit Massimo Maio · 27.01.2021
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Eine Autorin des "Tagesspiegel" wirft Schwarzen Menschen vor, aus ihrem Kampf gegen Rassismus ein Geschäftsmodell zu machen. Seitdem geht es im Netz hin und her. Die Initiative "Black Womxn Matter" sieht in der Debatte einen Bildungsbedarf.
Ein Artikel in der Berliner Zeitung "Tagesspiegel" sorgt für Diskussion. In dem Beitrag "Wenn Weiß-Sein zum Makel gemacht wird" wirft die Autorin Fatina Keilani Schwarzen Menschen und People of Color vor, aus dem "Anprangern ihrer Benachteiligung" ein "Tagesgeschäft" gemacht zu haben.

Ein Mangel an Verantwortungsbewusstsein

Darauf folgte Kritik, auf die hin Keilani einen zweiten Artikel mit der Überschrift "Was ich erlebte, als ich über Antirassismus schrieb" verfasste. Darin wirft die Autorin einer "meinungsstarken Gruppe" auf Twitter vor, die Pressefreiheit zu gefährden.
Nun haben 70 Schwarze Frauen und nicht-binäre Menschen der Initiative Black Womxn Matter einen offenen Brief an den "Tagesspiegel" verfasst, in dem sie der Chefredaktion entgegenhalten, dass es "auf redaktioneller Kontrollebene im Meinungsressort offenbar an Qualifikation fehlt, rassistische Argumente sauber zu identifizieren, und es an Verantwortungsbewusstsein mangelt, wie sehr solche Artikel rassistische Strukturen belegen. Hier zeigt sich ein Bildungsbedarf."
Eine Verfasserin des Briefs ist die Sängerin und Moderatorin Achan Malonda. Sie sieht in den Artikeln eine "unterkomplexe Sicht und mangelndes Wissen". Inhaltlich seien die Artikel "eine inkohärente Aneinanderreihung von Ressentiments", wenn zuerst davon die Rede sei, dass aus Antirassismus ein Geschäftsmodell gemacht werde, um daraus im zweiten Schritt eine Bedrohung für die Pressefreiheit abzuleiten, unterstreicht die Künstlerin. Für sie steht fest: Solche Beiträge sind "gefährlich, weil offenbart wird, dass man gar nicht weiß, worüber man redet, aber man hat trotzdem eine Meinung".

Fehlende Anerkennung für antirassistische Theorie

Journalisten sollten sich über Kontext, Konnotation und Sprache bewusst sein, so die Sängerin. Gleichzeitig gehe sie nicht davon aus, dass Keilani ihre Artikel geschrieben habe, "um von ganz weit rechts Applaus zu bekommen", so Malonda. "Aber genau das ist passiert, weil ihr Text total vage formuliert ist. Gleichzeitig hat er auf unterschiedliche Art und Weise Menschen, die von struktureller Diskriminierung betroffen sind, verletzt und befremdet."
Malonda schlägt daher vor: "mehr Diversität in den Redaktionen, Schulungen, Antirassismus-Workshops, sich selbst weiterbilden – ganz, ganz wichtig -, aber auch mehr Empathie und intellektuelle Neugier wären sehr gut". Außerdem merkt sie an, dass das Hauptproblem in Deutschland darin liege, dass "antirassistischer Theorie mit einer Art Gefühligkeit begegnet wird". Doch eigentlich gehe es um Strukturen, in denen jeder – bewusst oder unbewusst – Teil ist. Hinzu komme, dass "Antirassismus auch wissenschaftlich und Theoriearbeit ist". Doch werde dies nicht anerkannt, es gebe dafür kein Bewusstsein, unterstreicht Malonda.
(rzr)
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