Özdemir nennt Plakate zum Fanatismus "unprofessionell und nicht durchdacht"

Cem Özdemir teilt die Kritik der Islamverbände an der Plakat-Kampagne des Innenministeriums gegen religiösen Fanatismus. Er verstehe die Reaktion auf den "Quatsch" aus dem Hause Friedrich, sagte der Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen.
Ute Welty: Eigentlich ist es eine gute Idee: Mit einer Plakataktion will Innenminister Hans-Peter Friedrich von der CSU auf eine mögliche Radikalisierung von Muslimen aufmerksam machen. Diese Aktion kommt aber bei vier muslimischen Verbänden so wenig an, dass sie die Zusammenarbeit mit dem Ministerium auf Eis gelegt haben. Für dieses Thema und für das Interview mit Deutschlandradio Kultur hat sich Grünen-Chef Cem Özdemir Zeit genommen – trotz des Stresses rund um die Spitzenkandidatensuche in der eigenen Partei –, und so habe ich ihn gefragt, ob er den Schritt der Vereine richtig findet und ob diese Reaktion tatsächlich alternativlos war.

Cem Özdemir: Ich verstehe die Reaktion der Vereine. Grundsätzlich, glaube ich, ist das Anliegen ja nicht illegitim, dass man sagt, man muss sich kümmern um Jugendliche, die abdriften, die in die Hände von Radikalen geraten, die vielleicht in pakistanische Ausbildungslager gehen und dann möglicherweise Terroristen werden. Das ist ein ernsthaftes Problem, da muss man sich kümmern. Aber man muss es so machen, dass man es mit den Betroffenen macht, denn eine solche Plakataktion richtet sich ja nicht an Sie und an mich oder die Mehrzahl Ihrer Hörer, sondern die richtet sich an Leute, die eben Kinder haben, die gefährdet sind. Und deshalb muss man eine solche Aktion machen, die das Ziel nicht verfehlt. Also lange Rede, kurzer Sinn: Anliegen berechtigt – Umsetzung schlecht, unprofessionell, nicht durchdacht, wie manches andere auch leider aus dem Bundesinnenministerium.

Welty: Angesichts der radikalen Tendenzen bei Muslimen zeigt sich auch der Zentralrat der Muslime besonders besorgt – jetzt zieht sich ausgerechnet der Zentralrat zurück. Warum versucht man nicht, Einfluss auszuüben?

Özdemir: Lassen Sie es mich so sagen: Ich glaube, das wäre alles unter einem Bundesinnenminister Schäuble nicht passiert. Ich nenne jetzt bewusst keinen grünen Innenminister oder keinen roten Innenminister, sondern einen, der schon mal unter Schwarz-Gelb Innenminister war oder unter Führung der Schwarzen Innenminister war, nämlich Innenminister Schäuble. Der hat damals die Islamkonferenz einberufen, hat muslimische Organisationen ins Bundesinnenministerium eingeladen, hat einen Diskussionsprozess mit ihnen gestartet, und man merkte ihm an: Dem geht es um was, der guckt nicht in erster Linie danach, ob die BILD-Zeitungs-Schlagzeile stimmt, sondern er guckt danach, was gut ist für unser Land. Und das haben auch wir aus der Opposition heraus anerkannt und begrüßt, und was Vergleichbares wünschte man sich auch von seinen Nachfolgern, auch vom jetzigen Nachfolger, von dem er manchmal das Gefühl hat, er macht den Job halt, weil er ihn machen musste, aber nicht unbedingt mit Herzblut.

Und das merkt man halt bei solchen Aktionen – er verteidigt sie auch so ein bisschen mit angezogener Handbremse, weil er wahrscheinlich selber weiß, dass seine Beamten da Quatsch abgeliefert haben. Aber das ist dem Thema nicht gerecht, weil es geht doch nicht mehr um die Frage, ob wir zusammenleben, sondern es geht doch nur noch um die Frage, wie wir zusammenleben in Deutschland und darüber hinaus mit Menschen unterschiedlicher Religionen, Menschen ohne Religion – und da müssen die Spielregeln natürlich stimmen. Man muss sich an die Verfassung halten, man muss akzeptieren, dass Mann und Frau gleichberechtigt sind, dass Gewalt inakzeptabel ist, und die Muslime sind dabei unsere Partner, nicht unsere Gegner.

Welty: Neben den Vereinen, die massiv Kritik äußern, begrüßt die alevitische Gemeinde in Deutschland die Plakataktion. Macht Sie das nicht nachdenklich?

Özdemir: Ja, gut, das darf sie natürlich gerne machen, aber das ist ungefähr so, wie wenn jemand – stellen Sie sich mal vor, Sie machen jetzt eine Veranstaltung mit der katholischen Kirche, und die apostolische Gemeinde begrüßt dann vielleicht irgendwas, was die katholische Gemeinde schlecht findet. Das hat wenig …

Welty: Das wäre für mich ein Grund, besonders stark hinzuhören.

Özdemir: Aber es hat wenig Bindewirkung für die katholische Kirche. Und hier geht es ja drum, dass man die Muslime erreichen möchte und nicht diejenigen, die sowieso auf der anderen Seite stehen, also insofern …

Welty: … die aber sehr zersplittert sind, auch in ihrer Repräsentanz.

Özdemir: Ja, aber das gilt doch, bitte schön, auch, wenn Sie an die Zahlen denken bei der katholischen und evangelischen Kirche, der Kirchenaustritte. Reden wir deshalb nicht mehr mit den Kirchen, sind die deshalb nicht mehr unsere Partner für Staatsverträge? Also die Logik, die erschließt sich mir nicht. Es gibt immer welche, die – übrigens völlig zu Recht – sich nicht vertreten fühlen, damit nichts zu tun haben wollen. Ich bin ja auch in keinem Dachverband irgendwie organisiert religiöser Art, aber trotzdem muss ich akzeptieren, dass es andere Menschen gibt wie ich, die religiös sind und die sich vielleicht im religiösen Dachverband vertreten fühlen. Und wenn ich wissen will, wie ich sie erreichen kann, dann macht es Sinn, dass ich mich unterhalte. Das ist nun mal in der Politik so: Da setzt man sich zusammen und unterhält sich.

Welty: Die Plakataktion bewirbt die "Beratungsstelle Radikalisierung" in Nürnberg, die Anfang des Jahres eingerichtet und bislang kaum nachgefragt wurde. Von 20 Telefonanrufen wurde berichtet. Wäre also die Aktion nicht ohnehin im Sande verlaufen?

Özdemir: Davon kann man ausgehen, dass das jetzt nicht gerade besonders von Erfolg getragen wurde. Das ist so ein bisschen ähnlich wie die ganzen Aussteiger-Programme beim Verfassungsschutz, was Rechtsradikale angeht. Da merkt man auch, dass der Staat ein bisschen überfordert ist, was die Kompetenz angeht – vielleicht sind Beamte beim Verfassungsschutz, Beamte im Innenministerium nicht die richtigen Leute, die die nötigen Kenntnisse haben, was sozialpädagogische Fähigkeiten angeht, was aber auch einfach die Sachkenntnis angeht, um mit solchen schwierigen Themen umzugehen.

Noch mal, die Notwendigkeit stelle ich nicht infrage, die Umsetzung – da merkt man einfach, da geht es mehr um den Effekt und weniger um die eigentliche Wirkung, um das eigentliche Anliegen. Und da kann ich nur sagen als jemand, der sich dem Fundamentalismus entgegenstellt, der in die Moscheen rein geht, der mit Vereinen diskutiert und redet: Man muss es sich doch nicht so schwer machen und so kompliziert machen, einfach mit den Verbänden reden und sich von denen erklären lassen, was wirklich helfen würde, würde schon mal was bringen.

Welty: Wie kommt man den jetzt aus dieser verfahrenen Lage wieder heraus? Innenminister Friedrich macht ja nicht den Eindruck von einem, der sich gerne zwingen lässt.

Özdemir: Na ja gut, jetzt haben wir natürlich wieder die klassische Situation: Die Presse kritisiert das, die Verbände sind ausgestiegen, und der Innenminister kann natürlich und darf gar nicht zugeben, glaubt er zumindest, dass er da einen Bock abgeschossen hat, und dass er einen Fehler gemacht hat. Und jetzt muss er die Vorne-Verteidigung wählen und glaubt, das verteidigen zu müssen mit Steuergeldern, was in der Sache nichts mehr bringen wird. Sehr bedauerlich alles, das hätte man geschickter machen können, indem man sich einfach im Vorfeld mal unterhalten hätte.

Ich finde, ein Innenminister ist gut beraten, dass er die Leute, die er erreichen möchte, dass er mit denen und nicht über sie diskutiert. Und zumindest für künftige Aktionen hoffe ich, dass man daraus gelernt hat. Ich würde mir wünschen, dass wir einen Innenminister haben, der auch mit dem nötigen Engagement bei der Sache ist, wenn es um die Integration der Muslime in Deutschland geht, wenn es aber natürlich auch drum geht, dass man ganz schreckliche Dinge, nämlich Terrorismus und Islamismus bekämpft. Und um das klar zu sagen, man wird den Islamismus nur bekämpfen können mit den in Deutschland lebenden Muslimen, denn sie selber sind ja Opfer des Islamismus. Ihre Kinder versucht man ihnen wegzunehmen und mit dem Gift des Fundamentalismus zu verseuchen – also braucht man die Eltern, wir brauchen die Vereine, wir brauchen die Verbände, wir brauchen die Moschee-Gemeinden, wir brauchen die Imame. Nicht indem wir sie stigmatisieren, sondern indem wir mit ihnen reden.

Welty: Wie sähe eine Plakataktion aus, die dem allem gerecht werden würde?

Özdemir: Also erst mal fände ich ein Plakat vielleicht mal ganz angebracht, um mal klarzumachen, worum es eigentlich gerade geht, wo drauf steht: Vermisst wird ein Innenminister mit dem nötigen Fingerspitzengefühl. Wenn wir den hätten, hätten wir schon mal die halbe Miete.

Welty: Der Vorsitzende der Grünen im Interview der Ortszeit Cem Özdemir. Danke dafür, und über Ihre Partei reden wir dann wieder das nächste Mal!

Özdemir: Gerne, tschüss!

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Cem Özdemir, Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen
Cem Özdemir© Deutschlandradio - Bettina Fürst-Fastré
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