Oettinger will nicht tanzen

Von Ralf Heineken |
Der Termin für den Presseball Baden-Württemberg stand seit Monaten fest: der 9. November. Doch dann regte sich Widerstand. Ausgerechnet am Jahrestag der Reichspogromnacht sollte gefeiert werden. Ministerpräsident Günther Oettinger drohte mit Boykott. Nun wird nicht getanzt, sondern ernsthaft debattiert.
Monatelang hat sich niemand etwas bei der Terminierung des Landespresseballs auf den 9. November gedacht. Weder in der Politik noch in den Medien. Erst als ein pensionierter Pfarrer sich beim Ministerpräsidenten schriftlich beschwerte, weil der den Eröffnungswalzer tanzen wollte, rückte das Datum und rückte das Problem in den Focus. Tanzen am Jahrestag der Reichspogromnacht, und dazu noch mit dem Regierungschef als Schirmherr – geht das? Ministerpräsident Günther Oettinger entschied sich für Nein:

„Nach meiner Einschätzung hätte der Veranstalter an diesem Tag mit einem unveränderten Landespresseball Irritationen ausgelöst.“

Oettinger drohte mit dem medienwirksamen Boykott des Landespresseballs und zwang so die Veranstalter, Verleger, Journalisten und Journalistenverband zum Umdenken. Aus dem Landespresseball wurde ein Galaabend ohne Tanz, ein Ort für ernste Gespräche und Begegnungen, wie Oettinger hofft. Thema vom Tisch, Streit vor allem mit den jüdischen Institutionen in Deutschland vermieden? Weit gefehlt. Kaum war die Entscheidung da, äußerte sich der Generalsekretär des Zentralrats der Juden, Stephan Kramer mit deutlicher Kritik auch an Oettinger:

„Wenn man sich vergegenwärtigt, dass der 9. November als Gedenktag quasi der Beginn der systematischen Ausrottung des deutschen und europäischen Judentums gewesen ist, dann verbietet sich es schon von ganz alleine an einem solchen Abend eine solche Großveranstaltung durchzuführen. Eine Niederlegung der Schirmherrschaft wäre der richtige Weg gewesen, ich hätte mir eigentlich gewünscht, dass er sagt, ‚Nein‘, da kann ich nicht mitmachen, das ist meine Entscheidung, nach meinem Gefühl, nach meinem Anstandsgefühl geht das einfach nicht.“

Die Umwidmung des Tanzvergnügens in einen Galaabend nannte Kramer verlogen, eine zynische Mogelpackung. Speziell von Günther Oettinger sei er enttäuscht. Und damit spielte der Generalsekretär des Zentralrats auf dessen missglückte Rede zur Beerdigung des Marinerichters im Dritten Reich, Hans Filbinger, an, den er einen Gegner der Diktatur genannt hatte. Das hätte Oettinger vor sieben Monaten fast das Amt gekostet. Seither steht der Ministerpräsident Baden-Württembergs unter besonderer Beobachtung.

In diesem Fall aber steht er besser da als nach der Filbinger-Rede: denn nach allem, was man weiß, hat er den Galaabend ohne Tanz als Ausweg mit der Vorsitzenden des Zentralrats der Juden Charlotte Knobloch abgesprochen. Die harsche Kritik des Generalsekretärs Stephan Kramer lief deshalb mehr oder weniger ins Leere. Auch weil weder die christlichen Kirchen den Galaabend als ungehörig bezeichnen noch Oettingers Opposition im Landtag, SPD und Grüne. Der grüne Fraktionschef und Mitglied im Zentralkomitee der Deutschen Katholiken Winfried Kretschmann:

„Ich halte diese Diskussion für gänzlich unproduktiv. Immer nur so was zu skandalisieren, was wirklich kein Skandal ist, wem soll das helfen? Das hat nur schlechte Nebeneffekte. Wenn die jüdischen Gemeinden der Ansicht sind, dass wir diesen Tag anders begehen sollen, ist das völlig in Ordnung, dann kann man das für die Zukunft anders regeln.“

Für dieses Mal ist es zu spät: Es bleiben ein Ball ohne Tanz, allenthalben unzufriedene Gesichter und wieder einmal die deutsche Frage, wie den Opfern des Dritten Reichs angemessen gedacht werden muss.