Österreichs Wirtschaftsminister Mitterlehner betont atomfreie Energiepolitik

Reinhold Mitterlehner im Gespräch mit Hanns Ostermann · 27.08.2010
Heute präsentieren Experten ein Gutachten über die Auswirkungen von AKW-Laufzeitverlängerungen. Nachbar Österreich hat schon ein kernenergiefreies Konzept. Es setze vor allem auf Energieeffizienz, sagt Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner.
Hanns Ostermann: Heute ist es soweit, die Bundesregierung bekommt von Experten das Gutachten über mögliche Auswirkungen von möglichen Laufzeitverlängerungen der Atomkraftwerke überreicht. Bisher wollte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel dazu nicht äußern:

"Jahreszahlen kann ich und werde ich nicht nennen, bevor wir nicht überhaupt erst einmal diese Energieszenarien auch gesehen haben."

Ostermann: Auf einer sogenannten Energiereise will sich die Kanzlerin noch einmal über die verschiedenen Energieformen informieren. Das AKW Lingen stand dabei ebenso auf dem Programm wie heute die europaweit größte Baustelle eines Wasserkraftwerkes in Rheinfelden.

Schließlich soll im Herbst das künftige Energiekonzept Deutschlands vorgestellt werden – bis dahin tobt aber noch mit Sicherheit der Streit. Andere Länder sind da schon weiter, Österreich zum Beispiel. Wie dort die Energieversorgung der Zukunft aussieht, darüber habe ich mit Reinhold Mitterlehner gesprochen, er ist Minister für Wirtschaft, Familie und Jugend. Meine erste Frage an ihn: Auf einen einfachen Nenner gebracht, wie sieht die Energieversorgung Ihres Landes aus?

Reinhold Mitterlehner: Ja, wir versuchen bei den Energieträgern anzusetzen und versuchen Energiepolitik mit Klimapolitik zu verbinden und nehmen uns da als Zielvorgabe die Umsetzung der 20-20-20-Ziele der EU vor. Das heißt im Klartext, wir setzen beim Verbrauch an, und der Verbrauch des Jahres 2020 soll nicht mehr sein als der Jahresverbrauch im Jahr 2005.

Das heißt bei uns ganz konkret: In der Strategie setzen wir darauf, dass wir 20 Prozent mehr Effizienz erreichen, dass wir die erneuerbare Energie von rund 25 Prozentpunkten im Jahr 2005 auf 34 Prozentpunkte bis 2020 ausbauen. Und damit hoffen wir, dass wir 20 Prozent weniger CO2 haben werden.

Ostermann: Sie setzen also auf die Haltung des Verbrauchers?

Mitterlehner: Wir setzen auf die Effizienz beim Verbraucher und beim Verbraucher auch zwei Aspekte: Der eine Aspekt, der uns viel Verbrauch kostet, ist bis jetzt der gesamte Mobilitätsbereich, also Autoverkehr und alles, was dranhängt. Und der zweite Verbrauchsbereich, wo wir einsparen und effizienter sein wollen, ist der gesamte Gebäudebereich. Dort haben wir eben vor, thermische Sanierung oder Ähnliches umsetzen und damit insgesamt rund 20 Prozent einzusparen gemessen am Jahr 2005.

Ostermann: Wie kontrovers und verbittert wurde bei Ihnen gerungen? Schalteten starke Lobbygruppen auch ganzseitige Anzeigen wie bei uns?

Mitterlehner: Bei uns war das durchaus eine konträre Diskussion, die wir allerdings so bewegt haben, dass wir eine Art Promotorenkonzept umgesetzt haben. Promotorenkonzept heißt, wir haben die Machtpromotoren, also die Politiker, eingebunden, das war der Umweltminister und der Energieminister in Form meiner Person. Zum Zweiten haben wir versucht, alle Stakeholder in allen Bereichen, ob das jetzt Interessenvertretungen waren, Erzeuger waren, in Arbeitsgruppen einzubinden, und haben das auch dann mit einem professionellen Team moderieren lassen und in einem einjährigen Prozess unter Einbindung aller Betroffenen dann einigermaßen erfolgreich abgeschlossen. Das hat auch zu Auseinandersetzungen, muss ich schon sagen, geführt, aber im Endeffekt war das ein konstruktiver Schlusspunkt.

Ostermann: Herr Mitterlehner, Österreich unterscheidet sich ja in einem entscheidenden Punkt von Deutschland: Sie haben keine Atomkraftwerke. Woran liegt das?

Mitterlehner: Das liegt an einer relativ lang zurückliegenden Geschichte, als der damalige Bundeskanzler Kreisky ein Atomkraftwerk bauen wollte. Da hat es dann eine Volksabstimmung darüber gegeben, die ist negativ ausgegangen, und das ist der Grund, dass wir verfassungsmäßig festgelegt eine Atomsperre, was Kraftwerke anbelangt, beschlossen haben. Deswegen haben wir diesen Bereich nicht. Was uns aber hilft, ist im Bereich Wasserkraft eine besonders spezifische Situation durch die Gebirgssituation. Da haben wir einen relativ sehr hohen Anteil an Wasserkraft.

Ostermann: Nun wird bei uns heftig darüber gestritten, ob die Atomkraftwerke verlängert werden. Welches Signal für Europa wäre das, wenn die Laufzeiten deutscher Atomkraftwerke sehr lange verlängert würden?

Mitterlehner: Ich möchte das jetzt europaweit nicht kommentieren, und zwar deswegen, weil im Endeffekt eine Einmischung jetzt oder eine Bewertung der deutschen Politik nicht meine Angelegenheit ist.

Aber was natürlich das Grundproblem auch sein wird, jetzt für Deutschland und für Europa generell, ist die Frage: Wenn hier in einem bestimmten Zeitraum Atomenergie nicht mehr zur Verfügung stünde, dann wird die Frage sein, wie ist die Lücke mit möglichen Alternativen, insbesondere erneuerbaren Quellen zu schließen und vor allem, zu welchem Preis ist diese Lücke zu schließen?

Und da wird dann auch noch eine Frage auftauchen, ob diese eventuell erneuerbare Energie auch so abrufbar ist, wie sie eben von der Leistung her erforderlich ist. Und die Diskussion – soweit ich das mitverfolge – ist ja auch in Deutschland durchaus vorhanden.

Ostermann: Die ist nicht nur vorhanden, die ist in vollem Gange. Ihr Nachbar Tschechien setzt auf Atomkraft, wie können Sie dagegenhalten, an der unmittelbaren Grenze?

Mitterlehner: Ja, wir haben rund um Österreich Atomkraftwerke und können nicht dagegenhalten, weil das in den jeweiligen Autonomiebereich eines Staates fällt. Was wir aber versuchen, ist ja, in jeweiligen Abkommen und Vereinbarungen mit den Staaten entsprechende Informationen über Störungen und auch Sicherheitsmaßnahmen zu erhalten, um hier also auch die Interessen unserer Bürger entsprechend einzubinden.

Und das ist im Wesentlichen auch gelungen. Wir sehen halt tendenziell eine Entwicklung in Gesamteuropa, die eben nicht so ist wie in Österreich. Also es wäre vermessen zu sagen, dass wir nicht bemerkt haben, dass ein Teil der europäischen Länder auf Kernkraft setzt. Aber bei uns wird sich diesbezüglich keine Änderung ergeben.

Ostermann: Der österreichische Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner. Herr Mitterlehner, danke Ihnen für das Gespräch!

Mitterlehner: Gerne!