Ölschinken und Popstarposter
Von Beginn der Zivilisation an haben sich Menschen mit Bildern umgeben, zuerst mit Höhlenbildern, später mit gerahmten Gemälden, noch später mit Fotografien. Bilder an den Wänden drücken die Sehnsucht aus, Erlebtes festzuhalten. Sie können aber auch etwas über die Veränderung der eigenen Person aussagen.
Werner Rück: "Jeder sagt, ein Bild brauchste auch. Eins. Ist wie bei dem einen Buch, ich hab ja schon eins (lacht), so ist das auch mit Bildern, ein Bild braucht man in der Wohnung, das ist doch üblich, das man sich was hin hängt."
Jutta: "Für mich ist oft ein Bild wie eine Abrundung, oder noch mal einem Raum eine Richtung zu geben, ja, so was."
Johannes Arndt: "Es muss nicht unbedingt was hingehängt sein, es kann auch schön angemalt sein. Ich will halt nicht, dass es so trostlos ist. Ich will halt schon Leben einhauchen ins Zimmer, mich auch wohlfühlen. Das ist das wichtigste."
Monika Läuferts: "Ich habe ein ganz enges Verhältnis zu meinen Bildern und zu den Geschichten, die dahinter stehen, und das möchte ich auf jeden Fall auch da haben, wo ich lebe und das ist ein Teil von mir und das ist mir ganz wichtig."
Reinhold Baumstark: "Seitdem es Menschen gibt, hat man sich mit Bildern umgeben und Bilder an die Wand gebracht. Wenn Sie so wollen, sind die Höhlenzeichnungen der erste Versuch, Bilder festzuhalten, Bilder auch immer wieder zu betrachten, Bilder in das Leben der Menschen hineinzunehmen und auch immer wieder zu sagen: Ohne Bilder kann ich nicht leben."
Professor Reinhold Baumstark ist als Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen Herr über mehr als 30.000 Bilder. In den drei Münchner Pinakotheken geben sie Zeugnis einer acht Jahrhunderte alten Bildgeschichte - vom Mittelalter bis in unsere Tage.
Bilder haben Macht. Sie können den Betrachter erschrecken oder ehrfürchtig erstarren lassen. Über ihre Wirkung wird debattiert und gestritten im endlosen Diskurs der Kunst. Davon unberührt hingen Portraits, Landschaften oder Farb-Form-Spiele seit jeher an Wänden: in Gotteshäusern, Fürstenpalästen - und in privaten Wohnstuben.
Reinhold Baumstark: "Es ist ein Hunger, den wir Menschen haben nach dem Bild. Wir haben einen Hunger, mit den Augen zu schauen: Mit den Augen das Geliebte oder auch das Gefürchtete zu sehen."
Eine Frühlingslandschaft. Links im Bild schlängelt sich ein Bach durch die Wiese, das Ufer, wie es die Natur geformt hat, unbegradet. Bäume lassen ihre Zweige ins Wasser hängen. Rechts eine freie Fläche. Bauern tragen das Heu zusammen. In weiter Ferne scheint die Spitze eines Kirchturms.
Steffen Vollmer: "So hat es ungefähr geklungen damals auch, wo die Bilder hingen und der Herr saß im Schaukelstuhl und hat seinen Tee getrunken."
Steffen Vollmer ist Kunsthistoriker. Er arbeitet in einer Gebrauchtwarenhalle in Stuttgart. Zu ihm kommen Bilder aus Nachlässen und Wohnungsauflösungen: Von riesigen, quadratischen Gemälden, über runde und ovale bis hin zu winzigen Malereien in Buchgröße, mit allen denkbaren Motiven, vom Heiligenbild bis hin zum Schlachtschiff auf stiller See. Sie geben Zeugnis einer anderen Zeit und Wohnzimmerkultur:
Steffen Vollmer: "Was wir gerade vor uns sehen, ist die klassische Landschaftsmalerei, Anfang des 20. Jahrhunderts, einfach 'ne schöne Erinnerung an eine spezielle Landschaft, die sich jemand ausgesucht hat, als Erinnerung. In dem Bild sieht man ganz klar noch den späten Einfluss des deutschen Impressionismus, gerade so Liebermann, seine Einflüsse noch, natürlich hier in einer bisschen minderen Qualität. Dafür ist es aber auch nicht ganz so teuer, wie die Bilder, die im Museum hängen und jeder kann sich so ne kleine Impression, so einen kleinen Blick auf die Vergangenheit auch leisten."
Anfang des 20. Jahrhunderts sind die Bilder im privaten Wohnraum längst zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Jahrhunderte lang war es Privileg von weltlichen und klerikalen Herrschern, die Wände von Schlössern und Kirchen mit kostbaren Gemälden zu gestalten. Zu Beginn der Neuzeit aber haben die Bilder eine wichtige Veränderung erfahren.
Professor Hans Belting, Kunstwissenschaftler und Medientheoretiker, arbeitet in der Karlsruher Hochschule für Gestaltung in einem hohen Zimmer mit kahlen Wänden. Seit Jahrzehnten beschäftigt er sich mit der Geschichte des Bildes.
Hans Belting: "Bilder, die man an die Wand hängen kann, sind zunächst mal bewegliche Bilder, transportable Bilder. Das war einmal in der europäischen Geschichte das Neue, dass man es nicht mit Wandmalerei zu tun hat, mit ortsfesten Bildern, sondern mit Privatbildern, die man an seine Wand hängen konnte."
Neben seinem religiösen oder repräsentativen Nutzen bekommt das Gemälde eine Bedeutung für das private Leben: Das Porträt der Eltern schmückt den Salon, die Braut schickt dem verliebten Bräutigam ein kleines Gemälde von sich. Das Andachtsbild kann von der Wand und mit auf Reisen genommen werden.
Das Bild findet ein neues Publikum: Die Bürger. Denn mit dem Erblühen der Städte erstarkt auch das Bürgertum, gewinnt wirtschaftlichen Einfluss und strebt nach gesellschaftlicher Bedeutung. Dazu gehört, den Lebensformen der führenden Schicht nachzueifern. Reinhold Baumstark kommt als Leiter der Alten Pinakothek in München täglich an Bildern vorbei, die Zeugnis geben von bürgerlichen Wohnräumen der liberalen Niederlande:
"Wir wissen aus dem Holland des 17. Jahrhunderts, dass ganz einfache Bauern, Handwerker auch Bilder hatten. Die hatten keine Meisterwerke, die hatten oft nur, wie wir es in Interieurs sehen, manchmal auch nur eine Zeichnung an die Wand mit einem Nagel befestigt oder auch kleinere Bilder, die für wenig Geld auf den Markt geworfen waren. Aber sich mit Bildern zu umgeben, das hat alle Bürger umgetrieben. Alle wollten Bilder haben. Je nach Geldbeutel konnte man natürlich Kostbares und weniger Kostbares erwerben."
"Pablo Picasso. Junge mit Pfeife. Verkauft für 104 Millionen Dollar.
Gustav Klimt. "Goldene Adele". Verkauft für 135 Millionen Dollar.
Jackson Pollock. No. 5. Verkauft für 140 Millionen Dollar."
Heute explodieren die Preise auf dem Kunstmarkt, erreichen Rekordhöhen. Doch bereits vor 500 Jahren war ein Tizian nur demjenigen vorbehalten, der über das entsprechende Kleingeld verfügte.
Im 15. Jahrhundert beginnt in Europa die Entstehung der großen Kunstsammlungen. Galerien blühen auf. Bilder werden jetzt auch begehrt, weil ein ganz bestimmter Künstler sie gemalt hat. Die ästhetische Darstellung wird zum Selbstzweck und das Bild an der Wand zum gefragten Wertgegenstand, sogar zum Statussymbol.
Ein dunkler, leerer Raum. Eine nackte Frau streckt sich auf einer blau-samtigen Liege aus. Das Laken und die weichen Kissen sind zerknittert. Ihr Kopf ruht entspannt auf ihren nach oben ausgestreckten Armen, dichte braune Locken fallen auf ihre Brüste. Sie blickt den Betrachter direkt an, die Augen weit geöffnet, erwartungsvoll.
Francisco de Goya, Die nackte Maya. Um 1800. Museo del Prado, Madrid.
Auch die einfachen Bürger sehnen sich nach einer Maya in ihren intimsten Räumen. Sie beauftragen Künstler, eine Kopie des Bildes zu malen. Die Reproduktion wird zu einem wichtigen Geschäftszweig.
Im Stuttgarter Trödelladen zeigt Steffen Vollmer auf ein großformatiges Ölgemälde. Format, Motiv und Farbgebung: Kein Zweifel, die Ähnlichkeit ist unverkennbar. Hier hängt die fast perfekte Maya für kaum mehr als 150 Euro.
Steffen Vollmer: "Das ist natürlich etwas mehr für das Herrenzimmer, was man nicht jedem Besuch zeigen sollte, aber auch in der Tradition steht, das man sich etwas für sich kauft und dann auch in dem Zimmer aufhängt, wo nicht jeder Zugang hat. Und ganz früher hat man es ja auch gemacht, zu Zeiten von Goya gab es diese Privatkabinetts, wo man dann einen Vorhang davor getan hat."
"In diesem Hause richtete sich der Vater ein eigenes Zimmer zum Bilderzimmer ein; denn in der Stadt mussten die Bilder wegen Mangels an Raum in verschiedenen Zimmern zerstreut sein. Die Wände dieses neuen Bilderzimmers wurden mit dunkelrotbraunen Tapeten überzogen, von denen sich die Goldrahmen sehr schön abhoben. Der Fußboden war mit einem mattfarbigen Teppiche belegt, damit er die Farben der Bilder nicht beirre. Der Vater hatte sich eine Staffelei aus braunem Holze machen lassen, und diese stand in dem Zimmer, damit man bald das eine, bald das andere Bild darauf stellen und es genau in dem rechten Lichte betrachten konnte."
Adalbert Stifter, Nachsommer, 1857.
"Das, was man Zuhause hängen hatte, das ist überhaupt erst eine Angelegenheit des bürgerlichen Zeitalters ... "
Kunstwissenschaftler Hans Belting über das Eindringen der Kunst in die Privaträume des 19. Jahrhunderts:
"... Dass das sozusagen absinkt zu diesem rührenden idyllischen häuslichen Niveau, das ist erst möglich, seit die großen Adelssammlungen vorbei sind. Das ist auch gewissermaßen erst im Museumszeitalter möglich. Im Museum sieht man die großen Meisterwerke und zuhause hängt man eine Reproduktion auf, das ist ganz einfach."
"Ein führender Online-Händler für Kunstdrucke und Poster hat 500.000 Motive im Programm. Die meist verkauften Künstler:
Platz1: Vincent van Gogh - Blühender Mandelbaum - 21,50 Euro
Platz 2: Salvador Dali - Die Elefanten - 8,50 Euro
Platz 3: Pablo Picasso - Der Hund - 22,90 Euro"
Auch der technische Fortschritt sorgt für die Verbreitung der Bilder: Zeitgleich mit den Papiermühlen entwickelt sich seit dem 15. Jahrhundert die Kupferstichtechnik. Künstler entdeckten die Radierung für sich als Kunstform und auch, um billige Drucke ihrer Werke herzustellen - nebenbei eine gute Werbung für die Werkstatt. Und über die Drucke finden viele Meisterwerke den Weg an die Wände einfacher Stuben.
Die so genannte Chromolithographie, eine Technik, mit der Farbkopien gemacht werden können, erlebt ihre höchste technische Blüte um 1900. Farbige Kunstdrucke werden für das bürgerliche Wohnzimmer massenhaft produziert. Heute ermöglicht der Farblaserdrucker, dass sich jeder sein Lieblingsbild an die Wand hängen kann.
Jesus im wallenden Gewand sitzt in einer weiten Landschaft. Auf den Knien hält er ein Lamm, das ihn mit großen vertrauensseligen Augen anschaut. Eine Schafherde umringt ihn. Über den Bergen im Hintergrund geht die Sonne unter. Rosa leuchtet der Abendhimmel.
Steffen Vollmer: "Hier sind wir jetzt im Bereich der klassischen Schlafzimmerdekoration, mit den so genannten Schutzbildern, die alle in einem ziemlich breiten, bronzierten Rahmen, unter Glas dann, direkt über dem Ehebett hingen die, die natürlich Glück bringen sollten, Schutz bringen sollten, Sind auch sehr schöne Chromolithos gewesen, kann man sehr gut verstehen, wieso das damals gekauft worden ist."
Diese Schutzbilder begegnen Kunsthistoriker Steffen Vollmer häufig. Gerade bei älteren Menschen sind Heiligendarstellungen ein fester Bestandteil ihrer Umgebung. Heute werden sie auch gerne wieder von jüngeren Leuten gekauft - als Gag, weil sie so schön kitschig sind und stark mit der modern und puristisch gestalteten eigenen Wohnung kontrastieren.
"Der Alte trat in ein mäßig großes Zimmer. Hier war es heimlich und still; die eine Wand war fast mit Repositorien und Bücherschränken bedeckt; an der anderen hingen Bilder von Menschen und Gegenden. Er setzte sich in den Lehnstuhl und schien mit gefalteten Händen von seinem Spaziergange auszuruhen. - Wie er so saß, wurde es allmählich dunkler; endlich fiel ein Mondstrahl durch die Fensterscheiben auf die Gemälde an der Wand, und wie der helle Streif langsam weiter rückte, folgten die Augen des Mannes unwillkürlich. Nun trat er über ein kleines Bild in schlichtem, schwarzen Rahmen. 'Elisabeth!', sagte der Alte leise; und wie er das Wort gesprochen, war die Zeit verwandelt - er war in seiner Jugend."
Theodor Storm, Immensee, 1849.
Reinhold Baumstark: "Weil das Betrachten, das Schauen dem Menschen so in die Seele gebrannt ist, gibt es eben auch Bilder. Weil man mit den Bildern festhalten will, was sonst vielleicht flüchtig ist, was im Innern sich verbirgt."
Klaus Villa: "Da gibt es Bilder, das sind Radierungen hier, die sind von einem sehr guten Radierer aus dem Untersteierischen, das ist heute Slowenien, der war mit meinen Eltern befreundet, da gab es schöne Stiche, schöne Radierungen von Pettau, heute Ptuj. Sie sind alle aus der Herkunftsgegend meines Vaters. Da oben die Drau, ein schönes Aquarell vom Luigi Kasimir und die Weinberge in Slowenien und da wieder unten ein Stadtmilieu, ein Dorfmilieu aus Slowenien."
Klaus Villa, fester Händedruck, wache Augen, graues Haar, sitzt auf einer weißen Couch. Sonnenlicht fällt auf die hohe verputzte Wand. Neben großflächiger abstrakter Kunst hängen hier Erinnerungen an eine Zeit vor mehr als 60 Jahren, von einem Herkunftsland, das doch nie Heimat war.
Klaus Villa: "Das sind Bilder aus der Geburtsstadt meines Vaters, wo seine Familie herkam, und die mussten im 2. Weltkrieg vor den Partisanen flüchten und haben alles verloren und die Bilder sind das einzige, was da noch geblieben ist. Das sind Erinnerungen eigentlich mehr an meine Kindheit, weil mit diesen Bildern bin ich aufgewachsen."
Die Bilder wurden in Eile von der Wand genommen und über die Alpen gebracht. Erst kamen sie an die holländische Grenze, dann nach Berlin. Seit 27 Jahren hängen sie in Leonberg.
Klaus Villa: "Die Dinge will ich auch nicht missen. Die will ich an ihrem Platz haben. Da hat man sich so dran gewöhnt und freut sich daran."
Ein Bild ist ein Stück Erinnerung: an eine Heimat, die verloren ging, an Menschen, die man liebt. Und schließlich auch an Erlebnisse - zu einem Erlebnis kann auch die bloße Begegnung mit einem Bild werden.
Monika Läuferts: "Yves Klein hat ein Blau erfunden, was sich, wenn es in großem Maßstab an der Wand ist, fast wie dreidimensional bewegt. Es ist die Art, wie er es aufträgt auf die Leinwand und auch die Struktur des Blaus. Man hat das Gefühl, man steht vor dem Bild und es zieht einen in das Bild hinein. Es bewegt sich und hat einen unheimlich anziehende Kraft auf den Betrachter und das war so ein Erlebnis für mich, wo ich gedacht habe, wenn ein Künstler so etwas schafft, dann muss er einfach ein Genie sein."
Um dieses Erlebnis zu bewahren, hat sich Monika Läuferts das Blau vor zehn Jahren in Köln als Kunstdruck für zuhause gekauft. Die Wirkung des Originals erreicht die Kopie zwar nicht. Doch für Monika Läuferts hat sie eine ganz eigene Bedeutung erhalten:
"Also der Druck hat das nicht bewirkt, dass ich das Gefühl hatte, es zieht mich rein in das Bild. Aber das Interessante war doch, dass das so ein wunderbares Blau ist, es wirkt nicht kalt, es wirkt nicht abstoßend, eigentlich im Grunde eine Farbe, die eine beruhigende Wirkung auf mich hat."
Im vergangenen Jahrhundert wurde die Einmaligkeit eines Kunstwerks zu einem großen Thema des Kunstdiskurses. Über seine technische Reproduzierbarkeit wurde viel diskutiert. Ein Druck raube dem Kunstwerk seine Einmaligkeit, seine "Aura", wie der Philosoph und Theoretiker Walter Benjamin die Ausstrahlung eines Originals bezeichnete.
Von dieser "Aura" berichten auch heute noch viele Menschen bei der Begegnung mit einem echten Gemälde. Und deshalb hängen sie - wenn möglich - das Original an ihre Wand.
Eine cremeweiße Leinwand. Fast leer. In der linken Hälfte nur ein schmaler, zarter Streifen. Drei Farben: hellblau, blassrot und gelb. Er zieht sich von oben nach unten und unterteilt das Bild eins zu zwei.
Antonio Calderara, Spazio Luce. 1960/61.
Rupert Walser: "Da ist es als erstes ganz wichtig, dass man vor einem Calderara steht und einem nicht einfach nur die Luft wegbleibt, weil da nichts drauf ist, sondern dass sofort auch unerfahrene Betrachter, die sonst vor einem monochromen Bild stehen und sagen, was soll denn der Schmarrn, dass auch die ganz gefangen genommen werden von einem Zauber, der von dem Bild ausstrahlt und diese Problematik aus der Welt ist, dass da nichts drauf ist, weil es einfach hinreißend ist."
Rupert Walser, ein schmaler, ruhiger Mann, ist seit 30 Jahren Galerist und Kunstvermittler in München und hat sich auf monochrome, einfarbige Bilder spezialisiert. Er spricht von ihnen wie von Freunden.
"Ich glaube, dass das was ähnliches ist wie ein anderer Mensch, wie auch das Meer, eine Landschaft, Dinge, die man als relativ selbstverständlich erachtet und dann vielleicht in Glücksfällen beobachtet, dass etwas mit einem passiert. Und das eben kann mit einem Kunstwerk, das morgens, mittags und abends an der Wand hängt, das man im Vorbeigehen sieht oder wenn man länger sitzt beim Abendessen drauf guckt, kann das passieren. Und man merkt, dass mit einem selbst dabei etwas stattfindet."
Der Sonnenuntergang in der Bretagne.
Die Tochter am ersten Schultag.
Der selbst aus dem Wasser gefischte Riesen-Wels.
Fotos bewahren Ereignisse, Atmosphären und unvergessliche Momente. Mitte des 19. Jahrhunderts sind Fotografien noch kostbare Einzelstücke. Dann stellt George Eastman 1888 die Rollfilmkamera Kodak Nr. 1 vor. Mit ihr beginnt der Siegeszug der Fotografie - im privaten Bereich und in der Kunst.
Der Maler hat Konkurrenz bekommen. Jeder kann Künstler der eigenen Wände werden. Oder in Fotografien anderer das Besondere für sich entdecken.
Ein strahlend blauer Himmel über einer Straße mit einer Reihe fast identischer Holzhäuser. Eine amerikanische Vorstadt-Idylle, gestochen scharf im Abendrot. An den Fassaden lehnen zwei Straßenkreuzer, die Vorderreifen auf dem gemähten Rasen, die Hinterreifen an der Hauswand. Als hätte jemand sie wie zwei Spielzeugautos dort angelehnt. Ein Strommast ragt über die Straße.
Robert Polidori, 2005
Tilo Petersdorf: "Das Interessante an dem Bild finde ich, dass es auf der einen Seite gespenstisch skurril ausschaut, die Szenerie, weil überall Zeug rum liegt. Es liegen Mülltonnen rum, die Autos, die da gar nicht hingehören. Es ist absurd, wie die da stehen. Aber insgesamt die Szenerie, das ist ein Abenddämmerungslicht, das wirkt ziemlich harmonisch und freundlich. Auch der Himmel schaut so harmlos aus. Wenn man dann doch weiß, was hinter der ganzen Sache dahintersteckt, dann sind eigentlich zwei grundsätzlich entgegen gesetzte Stimmungen in einem vereint."
Tilo Petersdorf, Fitnesstrainer aus München, hat das Foto in einem Magazin gefunden. Es illustrierte einen Artikel über den Hurrikan Katrina und gefiel ihm so sehr, dass er seine Wand damit schmücken wollte. Er ließ die Magazinseiten professionell vergrößern und sie auf eine Kunststoffplatte aufziehen. In seinem Zimmer hängen mehrere solcher Fotos, von denen eine widersprüchliche Stimmung ausgeht. Ein Bild fängt die Situation während der Explosion einer Autobombe ein.
Tilo Petersdorf: "Ich frag mich manchmal selber, weil mich Leute auch fragen, wenn die die Bilder sehen, was ich mir dabei denke, weil doch so eine Autobombe, die hoch geht, im Zimmer zu haben, da könnte man schon denken, der Typ spinnt ein bisschen. Ich kann es wirklich schwer sagen. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich jetzt völlig durchgeknallt bin. Ich denke einfach, das ist ein besonderes Bild. Ich hab ein Faible für Besonderes. Für Skurriles, Abartiges, nicht so Alltägliches."
"Der wahre Sinn der Kunst liegt nicht darin, schöne Objekte zu schaffen. Es ist vielmehr eine Methode, um zu verstehen. Ein Weg, die Welt zu durchdringen und den eigenen Platz zu finden."
Paul Auster, Mond über Manhattan
Bilder, die uns ansprechen, können uns überall begegnen. Im Museum, in Büchern oder beim Durchblättern einer Zeitschrift. Das Gefühl für sie ist meistens ganz unmittelbar da.
In den 50er Jahren entdecken Teenager durch das Jugendmagazin Bravo die magische Anziehung von Bildern ihrer Stars. Seitdem dekorieren Starposter bis heute Jugendzimmerwände: Von Brigitte Bardot in der ersten Ausgabe 1959 bis hin zu Rihanna und Monrose 2008. Für ihre Besitzer geht oft eine enorme Symbolkraft von ihnen aus. Popstars neben Pferdebildern oder Sportidolen - die Zimmerwände von Teenagern sind zugepflastert mit Postern. Sei es aus verliebter Schwärmerei oder aus Ausdruck eines Lebensgefühls - oder einer Überzeugung.
Johannes Arndt: "Das ist mein Zimmer. Das Zimmer ist ein Teil von mir, und wer ein Problem mit meinem Zimmer hat, hat mehr oder weniger ein Problem mit mir. Meine Mutter hat das neulich gemeint, das Zimmer ist ein Spiegel der Seele, und so ist es ja anscheinend auch, ich fühle schon, wenn einer sagt, ist total scheiße dein Zimmer, würde es mich schon persönlich angreifen…"
Ein Zimmer unterm Dach. Schrägen auf beiden Seiten, in der Mitte, an der höchsten Stelle ein Kleiderschrank, rechts davon unterm Fenster das Bett, links das Sofa. Dort sitzt Johannes Arndt, 19, Zimmermannslehrling. Er hat hier sein Reich.
Verkehrsschilder schmücken die Wände, ein Snowboard, und das Poster einer Punkband. Ein anderes Poster erinnert an den Widerstand gegen den G8 Gipfel. Und über dem Bett schmeißt ein Punk einen Stein auf Polizisten, die sich hinter ihren Schutzschildern verbarrikadieren.
Johannes Arndt: "Das drückt für mich aus, dass man auch alleine Widerstand leisten soll, weil der Typ ist auch alleine. Und dass man auch alleine was bewirken kann. Das ist vielleicht komisch, aber das seh ich so. Der Typ ist alleine und die Herren von der Polizei tun sich total schützen. Das sieht aus, als hätten die vor dem einen Typen Angst, und das drückt für mich aus, dass ich auch alleine als Einzelner was bewegen kann, wenn ich es denn nur will."
Portraits, Landschaftsbilder, Farb-Form-Kompositionen - seit Jahrtausenden gestalten Menschen ihre Wände mit Bildern. Die Auswahl an Motiven, Künstlern, Techniken ist heute unerschöpflich. Auch der Ölschinken findet wieder den Weg an die Zimmerwände:
Steffen Vollmer: "Es gibt immer mehr jüngere Leute, die jetzt wieder sich Ölgemälde hinhängen. Es ist immer so, dass eine bestimmte Zeit vergehen muss, bis wieder was modern ist. Man ertappt sich oft, dass man Sachen toll findet, die die Eltern überhaupt nicht mehr sehen können, weil sie es in der Jugend ertragen mussten. Das ist immer so eine Grenze von 25/30 Jahren. Und das ist ja auch ganz toll, wenn man eine moderne Wohnung hat und dann da so ein Kitschbild drin hat, das sieht ganz toll aus, das schindet Eindruck (lacht)."
Jeder kann wählen, was ihm gefällt. Private Fotos oder Kunstdrucke von Dürer bis Rothko, vielleicht sogar ein echter Jackson Pollock: Bilder gehören zum Alltag. Manchmal bleiben sie unscheinbar an der Wand, werden selten bewusst wahrgenommen. Dennoch sind sie immer ein Spiegel des ästhetischen Empfindens, des Erlebten oder des Ersehnten.
Rupert Walser: "Dieses Zurückgeworfen werden auf sich selbst ist, glaube ich, überhaupt eine ganz wichtige Angelegenheit bei der Kunst. So ist ein tolles Erlebnis für mich, wenn ich wieder ein Bild anschaue, sei es am nächsten Morgen oder im nächsten Monat mal wieder auspacke und wieder hänge, sehe ich Dinge, die ich glaube, nie vorher gesehen zu haben, obwohl es das gleiche Bild ist! Dann kann man davon aussehen, todsicher hat sich nicht das Bild geändert. Offenbar habe ich mich verändert. Ich sehe anders. Ich bin anders geworden. Das ist hoch interessant."
Jutta: "Für mich ist oft ein Bild wie eine Abrundung, oder noch mal einem Raum eine Richtung zu geben, ja, so was."
Johannes Arndt: "Es muss nicht unbedingt was hingehängt sein, es kann auch schön angemalt sein. Ich will halt nicht, dass es so trostlos ist. Ich will halt schon Leben einhauchen ins Zimmer, mich auch wohlfühlen. Das ist das wichtigste."
Monika Läuferts: "Ich habe ein ganz enges Verhältnis zu meinen Bildern und zu den Geschichten, die dahinter stehen, und das möchte ich auf jeden Fall auch da haben, wo ich lebe und das ist ein Teil von mir und das ist mir ganz wichtig."
Reinhold Baumstark: "Seitdem es Menschen gibt, hat man sich mit Bildern umgeben und Bilder an die Wand gebracht. Wenn Sie so wollen, sind die Höhlenzeichnungen der erste Versuch, Bilder festzuhalten, Bilder auch immer wieder zu betrachten, Bilder in das Leben der Menschen hineinzunehmen und auch immer wieder zu sagen: Ohne Bilder kann ich nicht leben."
Professor Reinhold Baumstark ist als Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen Herr über mehr als 30.000 Bilder. In den drei Münchner Pinakotheken geben sie Zeugnis einer acht Jahrhunderte alten Bildgeschichte - vom Mittelalter bis in unsere Tage.
Bilder haben Macht. Sie können den Betrachter erschrecken oder ehrfürchtig erstarren lassen. Über ihre Wirkung wird debattiert und gestritten im endlosen Diskurs der Kunst. Davon unberührt hingen Portraits, Landschaften oder Farb-Form-Spiele seit jeher an Wänden: in Gotteshäusern, Fürstenpalästen - und in privaten Wohnstuben.
Reinhold Baumstark: "Es ist ein Hunger, den wir Menschen haben nach dem Bild. Wir haben einen Hunger, mit den Augen zu schauen: Mit den Augen das Geliebte oder auch das Gefürchtete zu sehen."
Eine Frühlingslandschaft. Links im Bild schlängelt sich ein Bach durch die Wiese, das Ufer, wie es die Natur geformt hat, unbegradet. Bäume lassen ihre Zweige ins Wasser hängen. Rechts eine freie Fläche. Bauern tragen das Heu zusammen. In weiter Ferne scheint die Spitze eines Kirchturms.
Steffen Vollmer: "So hat es ungefähr geklungen damals auch, wo die Bilder hingen und der Herr saß im Schaukelstuhl und hat seinen Tee getrunken."
Steffen Vollmer ist Kunsthistoriker. Er arbeitet in einer Gebrauchtwarenhalle in Stuttgart. Zu ihm kommen Bilder aus Nachlässen und Wohnungsauflösungen: Von riesigen, quadratischen Gemälden, über runde und ovale bis hin zu winzigen Malereien in Buchgröße, mit allen denkbaren Motiven, vom Heiligenbild bis hin zum Schlachtschiff auf stiller See. Sie geben Zeugnis einer anderen Zeit und Wohnzimmerkultur:
Steffen Vollmer: "Was wir gerade vor uns sehen, ist die klassische Landschaftsmalerei, Anfang des 20. Jahrhunderts, einfach 'ne schöne Erinnerung an eine spezielle Landschaft, die sich jemand ausgesucht hat, als Erinnerung. In dem Bild sieht man ganz klar noch den späten Einfluss des deutschen Impressionismus, gerade so Liebermann, seine Einflüsse noch, natürlich hier in einer bisschen minderen Qualität. Dafür ist es aber auch nicht ganz so teuer, wie die Bilder, die im Museum hängen und jeder kann sich so ne kleine Impression, so einen kleinen Blick auf die Vergangenheit auch leisten."
Anfang des 20. Jahrhunderts sind die Bilder im privaten Wohnraum längst zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Jahrhunderte lang war es Privileg von weltlichen und klerikalen Herrschern, die Wände von Schlössern und Kirchen mit kostbaren Gemälden zu gestalten. Zu Beginn der Neuzeit aber haben die Bilder eine wichtige Veränderung erfahren.
Professor Hans Belting, Kunstwissenschaftler und Medientheoretiker, arbeitet in der Karlsruher Hochschule für Gestaltung in einem hohen Zimmer mit kahlen Wänden. Seit Jahrzehnten beschäftigt er sich mit der Geschichte des Bildes.
Hans Belting: "Bilder, die man an die Wand hängen kann, sind zunächst mal bewegliche Bilder, transportable Bilder. Das war einmal in der europäischen Geschichte das Neue, dass man es nicht mit Wandmalerei zu tun hat, mit ortsfesten Bildern, sondern mit Privatbildern, die man an seine Wand hängen konnte."
Neben seinem religiösen oder repräsentativen Nutzen bekommt das Gemälde eine Bedeutung für das private Leben: Das Porträt der Eltern schmückt den Salon, die Braut schickt dem verliebten Bräutigam ein kleines Gemälde von sich. Das Andachtsbild kann von der Wand und mit auf Reisen genommen werden.
Das Bild findet ein neues Publikum: Die Bürger. Denn mit dem Erblühen der Städte erstarkt auch das Bürgertum, gewinnt wirtschaftlichen Einfluss und strebt nach gesellschaftlicher Bedeutung. Dazu gehört, den Lebensformen der führenden Schicht nachzueifern. Reinhold Baumstark kommt als Leiter der Alten Pinakothek in München täglich an Bildern vorbei, die Zeugnis geben von bürgerlichen Wohnräumen der liberalen Niederlande:
"Wir wissen aus dem Holland des 17. Jahrhunderts, dass ganz einfache Bauern, Handwerker auch Bilder hatten. Die hatten keine Meisterwerke, die hatten oft nur, wie wir es in Interieurs sehen, manchmal auch nur eine Zeichnung an die Wand mit einem Nagel befestigt oder auch kleinere Bilder, die für wenig Geld auf den Markt geworfen waren. Aber sich mit Bildern zu umgeben, das hat alle Bürger umgetrieben. Alle wollten Bilder haben. Je nach Geldbeutel konnte man natürlich Kostbares und weniger Kostbares erwerben."
"Pablo Picasso. Junge mit Pfeife. Verkauft für 104 Millionen Dollar.
Gustav Klimt. "Goldene Adele". Verkauft für 135 Millionen Dollar.
Jackson Pollock. No. 5. Verkauft für 140 Millionen Dollar."
Heute explodieren die Preise auf dem Kunstmarkt, erreichen Rekordhöhen. Doch bereits vor 500 Jahren war ein Tizian nur demjenigen vorbehalten, der über das entsprechende Kleingeld verfügte.
Im 15. Jahrhundert beginnt in Europa die Entstehung der großen Kunstsammlungen. Galerien blühen auf. Bilder werden jetzt auch begehrt, weil ein ganz bestimmter Künstler sie gemalt hat. Die ästhetische Darstellung wird zum Selbstzweck und das Bild an der Wand zum gefragten Wertgegenstand, sogar zum Statussymbol.
Ein dunkler, leerer Raum. Eine nackte Frau streckt sich auf einer blau-samtigen Liege aus. Das Laken und die weichen Kissen sind zerknittert. Ihr Kopf ruht entspannt auf ihren nach oben ausgestreckten Armen, dichte braune Locken fallen auf ihre Brüste. Sie blickt den Betrachter direkt an, die Augen weit geöffnet, erwartungsvoll.
Francisco de Goya, Die nackte Maya. Um 1800. Museo del Prado, Madrid.
Auch die einfachen Bürger sehnen sich nach einer Maya in ihren intimsten Räumen. Sie beauftragen Künstler, eine Kopie des Bildes zu malen. Die Reproduktion wird zu einem wichtigen Geschäftszweig.
Im Stuttgarter Trödelladen zeigt Steffen Vollmer auf ein großformatiges Ölgemälde. Format, Motiv und Farbgebung: Kein Zweifel, die Ähnlichkeit ist unverkennbar. Hier hängt die fast perfekte Maya für kaum mehr als 150 Euro.
Steffen Vollmer: "Das ist natürlich etwas mehr für das Herrenzimmer, was man nicht jedem Besuch zeigen sollte, aber auch in der Tradition steht, das man sich etwas für sich kauft und dann auch in dem Zimmer aufhängt, wo nicht jeder Zugang hat. Und ganz früher hat man es ja auch gemacht, zu Zeiten von Goya gab es diese Privatkabinetts, wo man dann einen Vorhang davor getan hat."
"In diesem Hause richtete sich der Vater ein eigenes Zimmer zum Bilderzimmer ein; denn in der Stadt mussten die Bilder wegen Mangels an Raum in verschiedenen Zimmern zerstreut sein. Die Wände dieses neuen Bilderzimmers wurden mit dunkelrotbraunen Tapeten überzogen, von denen sich die Goldrahmen sehr schön abhoben. Der Fußboden war mit einem mattfarbigen Teppiche belegt, damit er die Farben der Bilder nicht beirre. Der Vater hatte sich eine Staffelei aus braunem Holze machen lassen, und diese stand in dem Zimmer, damit man bald das eine, bald das andere Bild darauf stellen und es genau in dem rechten Lichte betrachten konnte."
Adalbert Stifter, Nachsommer, 1857.
"Das, was man Zuhause hängen hatte, das ist überhaupt erst eine Angelegenheit des bürgerlichen Zeitalters ... "
Kunstwissenschaftler Hans Belting über das Eindringen der Kunst in die Privaträume des 19. Jahrhunderts:
"... Dass das sozusagen absinkt zu diesem rührenden idyllischen häuslichen Niveau, das ist erst möglich, seit die großen Adelssammlungen vorbei sind. Das ist auch gewissermaßen erst im Museumszeitalter möglich. Im Museum sieht man die großen Meisterwerke und zuhause hängt man eine Reproduktion auf, das ist ganz einfach."
"Ein führender Online-Händler für Kunstdrucke und Poster hat 500.000 Motive im Programm. Die meist verkauften Künstler:
Platz1: Vincent van Gogh - Blühender Mandelbaum - 21,50 Euro
Platz 2: Salvador Dali - Die Elefanten - 8,50 Euro
Platz 3: Pablo Picasso - Der Hund - 22,90 Euro"
Auch der technische Fortschritt sorgt für die Verbreitung der Bilder: Zeitgleich mit den Papiermühlen entwickelt sich seit dem 15. Jahrhundert die Kupferstichtechnik. Künstler entdeckten die Radierung für sich als Kunstform und auch, um billige Drucke ihrer Werke herzustellen - nebenbei eine gute Werbung für die Werkstatt. Und über die Drucke finden viele Meisterwerke den Weg an die Wände einfacher Stuben.
Die so genannte Chromolithographie, eine Technik, mit der Farbkopien gemacht werden können, erlebt ihre höchste technische Blüte um 1900. Farbige Kunstdrucke werden für das bürgerliche Wohnzimmer massenhaft produziert. Heute ermöglicht der Farblaserdrucker, dass sich jeder sein Lieblingsbild an die Wand hängen kann.
Jesus im wallenden Gewand sitzt in einer weiten Landschaft. Auf den Knien hält er ein Lamm, das ihn mit großen vertrauensseligen Augen anschaut. Eine Schafherde umringt ihn. Über den Bergen im Hintergrund geht die Sonne unter. Rosa leuchtet der Abendhimmel.
Steffen Vollmer: "Hier sind wir jetzt im Bereich der klassischen Schlafzimmerdekoration, mit den so genannten Schutzbildern, die alle in einem ziemlich breiten, bronzierten Rahmen, unter Glas dann, direkt über dem Ehebett hingen die, die natürlich Glück bringen sollten, Schutz bringen sollten, Sind auch sehr schöne Chromolithos gewesen, kann man sehr gut verstehen, wieso das damals gekauft worden ist."
Diese Schutzbilder begegnen Kunsthistoriker Steffen Vollmer häufig. Gerade bei älteren Menschen sind Heiligendarstellungen ein fester Bestandteil ihrer Umgebung. Heute werden sie auch gerne wieder von jüngeren Leuten gekauft - als Gag, weil sie so schön kitschig sind und stark mit der modern und puristisch gestalteten eigenen Wohnung kontrastieren.
"Der Alte trat in ein mäßig großes Zimmer. Hier war es heimlich und still; die eine Wand war fast mit Repositorien und Bücherschränken bedeckt; an der anderen hingen Bilder von Menschen und Gegenden. Er setzte sich in den Lehnstuhl und schien mit gefalteten Händen von seinem Spaziergange auszuruhen. - Wie er so saß, wurde es allmählich dunkler; endlich fiel ein Mondstrahl durch die Fensterscheiben auf die Gemälde an der Wand, und wie der helle Streif langsam weiter rückte, folgten die Augen des Mannes unwillkürlich. Nun trat er über ein kleines Bild in schlichtem, schwarzen Rahmen. 'Elisabeth!', sagte der Alte leise; und wie er das Wort gesprochen, war die Zeit verwandelt - er war in seiner Jugend."
Theodor Storm, Immensee, 1849.
Reinhold Baumstark: "Weil das Betrachten, das Schauen dem Menschen so in die Seele gebrannt ist, gibt es eben auch Bilder. Weil man mit den Bildern festhalten will, was sonst vielleicht flüchtig ist, was im Innern sich verbirgt."
Klaus Villa: "Da gibt es Bilder, das sind Radierungen hier, die sind von einem sehr guten Radierer aus dem Untersteierischen, das ist heute Slowenien, der war mit meinen Eltern befreundet, da gab es schöne Stiche, schöne Radierungen von Pettau, heute Ptuj. Sie sind alle aus der Herkunftsgegend meines Vaters. Da oben die Drau, ein schönes Aquarell vom Luigi Kasimir und die Weinberge in Slowenien und da wieder unten ein Stadtmilieu, ein Dorfmilieu aus Slowenien."
Klaus Villa, fester Händedruck, wache Augen, graues Haar, sitzt auf einer weißen Couch. Sonnenlicht fällt auf die hohe verputzte Wand. Neben großflächiger abstrakter Kunst hängen hier Erinnerungen an eine Zeit vor mehr als 60 Jahren, von einem Herkunftsland, das doch nie Heimat war.
Klaus Villa: "Das sind Bilder aus der Geburtsstadt meines Vaters, wo seine Familie herkam, und die mussten im 2. Weltkrieg vor den Partisanen flüchten und haben alles verloren und die Bilder sind das einzige, was da noch geblieben ist. Das sind Erinnerungen eigentlich mehr an meine Kindheit, weil mit diesen Bildern bin ich aufgewachsen."
Die Bilder wurden in Eile von der Wand genommen und über die Alpen gebracht. Erst kamen sie an die holländische Grenze, dann nach Berlin. Seit 27 Jahren hängen sie in Leonberg.
Klaus Villa: "Die Dinge will ich auch nicht missen. Die will ich an ihrem Platz haben. Da hat man sich so dran gewöhnt und freut sich daran."
Ein Bild ist ein Stück Erinnerung: an eine Heimat, die verloren ging, an Menschen, die man liebt. Und schließlich auch an Erlebnisse - zu einem Erlebnis kann auch die bloße Begegnung mit einem Bild werden.
Monika Läuferts: "Yves Klein hat ein Blau erfunden, was sich, wenn es in großem Maßstab an der Wand ist, fast wie dreidimensional bewegt. Es ist die Art, wie er es aufträgt auf die Leinwand und auch die Struktur des Blaus. Man hat das Gefühl, man steht vor dem Bild und es zieht einen in das Bild hinein. Es bewegt sich und hat einen unheimlich anziehende Kraft auf den Betrachter und das war so ein Erlebnis für mich, wo ich gedacht habe, wenn ein Künstler so etwas schafft, dann muss er einfach ein Genie sein."
Um dieses Erlebnis zu bewahren, hat sich Monika Läuferts das Blau vor zehn Jahren in Köln als Kunstdruck für zuhause gekauft. Die Wirkung des Originals erreicht die Kopie zwar nicht. Doch für Monika Läuferts hat sie eine ganz eigene Bedeutung erhalten:
"Also der Druck hat das nicht bewirkt, dass ich das Gefühl hatte, es zieht mich rein in das Bild. Aber das Interessante war doch, dass das so ein wunderbares Blau ist, es wirkt nicht kalt, es wirkt nicht abstoßend, eigentlich im Grunde eine Farbe, die eine beruhigende Wirkung auf mich hat."
Im vergangenen Jahrhundert wurde die Einmaligkeit eines Kunstwerks zu einem großen Thema des Kunstdiskurses. Über seine technische Reproduzierbarkeit wurde viel diskutiert. Ein Druck raube dem Kunstwerk seine Einmaligkeit, seine "Aura", wie der Philosoph und Theoretiker Walter Benjamin die Ausstrahlung eines Originals bezeichnete.
Von dieser "Aura" berichten auch heute noch viele Menschen bei der Begegnung mit einem echten Gemälde. Und deshalb hängen sie - wenn möglich - das Original an ihre Wand.
Eine cremeweiße Leinwand. Fast leer. In der linken Hälfte nur ein schmaler, zarter Streifen. Drei Farben: hellblau, blassrot und gelb. Er zieht sich von oben nach unten und unterteilt das Bild eins zu zwei.
Antonio Calderara, Spazio Luce. 1960/61.
Rupert Walser: "Da ist es als erstes ganz wichtig, dass man vor einem Calderara steht und einem nicht einfach nur die Luft wegbleibt, weil da nichts drauf ist, sondern dass sofort auch unerfahrene Betrachter, die sonst vor einem monochromen Bild stehen und sagen, was soll denn der Schmarrn, dass auch die ganz gefangen genommen werden von einem Zauber, der von dem Bild ausstrahlt und diese Problematik aus der Welt ist, dass da nichts drauf ist, weil es einfach hinreißend ist."
Rupert Walser, ein schmaler, ruhiger Mann, ist seit 30 Jahren Galerist und Kunstvermittler in München und hat sich auf monochrome, einfarbige Bilder spezialisiert. Er spricht von ihnen wie von Freunden.
"Ich glaube, dass das was ähnliches ist wie ein anderer Mensch, wie auch das Meer, eine Landschaft, Dinge, die man als relativ selbstverständlich erachtet und dann vielleicht in Glücksfällen beobachtet, dass etwas mit einem passiert. Und das eben kann mit einem Kunstwerk, das morgens, mittags und abends an der Wand hängt, das man im Vorbeigehen sieht oder wenn man länger sitzt beim Abendessen drauf guckt, kann das passieren. Und man merkt, dass mit einem selbst dabei etwas stattfindet."
Der Sonnenuntergang in der Bretagne.
Die Tochter am ersten Schultag.
Der selbst aus dem Wasser gefischte Riesen-Wels.
Fotos bewahren Ereignisse, Atmosphären und unvergessliche Momente. Mitte des 19. Jahrhunderts sind Fotografien noch kostbare Einzelstücke. Dann stellt George Eastman 1888 die Rollfilmkamera Kodak Nr. 1 vor. Mit ihr beginnt der Siegeszug der Fotografie - im privaten Bereich und in der Kunst.
Der Maler hat Konkurrenz bekommen. Jeder kann Künstler der eigenen Wände werden. Oder in Fotografien anderer das Besondere für sich entdecken.
Ein strahlend blauer Himmel über einer Straße mit einer Reihe fast identischer Holzhäuser. Eine amerikanische Vorstadt-Idylle, gestochen scharf im Abendrot. An den Fassaden lehnen zwei Straßenkreuzer, die Vorderreifen auf dem gemähten Rasen, die Hinterreifen an der Hauswand. Als hätte jemand sie wie zwei Spielzeugautos dort angelehnt. Ein Strommast ragt über die Straße.
Robert Polidori, 2005
Tilo Petersdorf: "Das Interessante an dem Bild finde ich, dass es auf der einen Seite gespenstisch skurril ausschaut, die Szenerie, weil überall Zeug rum liegt. Es liegen Mülltonnen rum, die Autos, die da gar nicht hingehören. Es ist absurd, wie die da stehen. Aber insgesamt die Szenerie, das ist ein Abenddämmerungslicht, das wirkt ziemlich harmonisch und freundlich. Auch der Himmel schaut so harmlos aus. Wenn man dann doch weiß, was hinter der ganzen Sache dahintersteckt, dann sind eigentlich zwei grundsätzlich entgegen gesetzte Stimmungen in einem vereint."
Tilo Petersdorf, Fitnesstrainer aus München, hat das Foto in einem Magazin gefunden. Es illustrierte einen Artikel über den Hurrikan Katrina und gefiel ihm so sehr, dass er seine Wand damit schmücken wollte. Er ließ die Magazinseiten professionell vergrößern und sie auf eine Kunststoffplatte aufziehen. In seinem Zimmer hängen mehrere solcher Fotos, von denen eine widersprüchliche Stimmung ausgeht. Ein Bild fängt die Situation während der Explosion einer Autobombe ein.
Tilo Petersdorf: "Ich frag mich manchmal selber, weil mich Leute auch fragen, wenn die die Bilder sehen, was ich mir dabei denke, weil doch so eine Autobombe, die hoch geht, im Zimmer zu haben, da könnte man schon denken, der Typ spinnt ein bisschen. Ich kann es wirklich schwer sagen. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich jetzt völlig durchgeknallt bin. Ich denke einfach, das ist ein besonderes Bild. Ich hab ein Faible für Besonderes. Für Skurriles, Abartiges, nicht so Alltägliches."
"Der wahre Sinn der Kunst liegt nicht darin, schöne Objekte zu schaffen. Es ist vielmehr eine Methode, um zu verstehen. Ein Weg, die Welt zu durchdringen und den eigenen Platz zu finden."
Paul Auster, Mond über Manhattan
Bilder, die uns ansprechen, können uns überall begegnen. Im Museum, in Büchern oder beim Durchblättern einer Zeitschrift. Das Gefühl für sie ist meistens ganz unmittelbar da.
In den 50er Jahren entdecken Teenager durch das Jugendmagazin Bravo die magische Anziehung von Bildern ihrer Stars. Seitdem dekorieren Starposter bis heute Jugendzimmerwände: Von Brigitte Bardot in der ersten Ausgabe 1959 bis hin zu Rihanna und Monrose 2008. Für ihre Besitzer geht oft eine enorme Symbolkraft von ihnen aus. Popstars neben Pferdebildern oder Sportidolen - die Zimmerwände von Teenagern sind zugepflastert mit Postern. Sei es aus verliebter Schwärmerei oder aus Ausdruck eines Lebensgefühls - oder einer Überzeugung.
Johannes Arndt: "Das ist mein Zimmer. Das Zimmer ist ein Teil von mir, und wer ein Problem mit meinem Zimmer hat, hat mehr oder weniger ein Problem mit mir. Meine Mutter hat das neulich gemeint, das Zimmer ist ein Spiegel der Seele, und so ist es ja anscheinend auch, ich fühle schon, wenn einer sagt, ist total scheiße dein Zimmer, würde es mich schon persönlich angreifen…"
Ein Zimmer unterm Dach. Schrägen auf beiden Seiten, in der Mitte, an der höchsten Stelle ein Kleiderschrank, rechts davon unterm Fenster das Bett, links das Sofa. Dort sitzt Johannes Arndt, 19, Zimmermannslehrling. Er hat hier sein Reich.
Verkehrsschilder schmücken die Wände, ein Snowboard, und das Poster einer Punkband. Ein anderes Poster erinnert an den Widerstand gegen den G8 Gipfel. Und über dem Bett schmeißt ein Punk einen Stein auf Polizisten, die sich hinter ihren Schutzschildern verbarrikadieren.
Johannes Arndt: "Das drückt für mich aus, dass man auch alleine Widerstand leisten soll, weil der Typ ist auch alleine. Und dass man auch alleine was bewirken kann. Das ist vielleicht komisch, aber das seh ich so. Der Typ ist alleine und die Herren von der Polizei tun sich total schützen. Das sieht aus, als hätten die vor dem einen Typen Angst, und das drückt für mich aus, dass ich auch alleine als Einzelner was bewegen kann, wenn ich es denn nur will."
Portraits, Landschaftsbilder, Farb-Form-Kompositionen - seit Jahrtausenden gestalten Menschen ihre Wände mit Bildern. Die Auswahl an Motiven, Künstlern, Techniken ist heute unerschöpflich. Auch der Ölschinken findet wieder den Weg an die Zimmerwände:
Steffen Vollmer: "Es gibt immer mehr jüngere Leute, die jetzt wieder sich Ölgemälde hinhängen. Es ist immer so, dass eine bestimmte Zeit vergehen muss, bis wieder was modern ist. Man ertappt sich oft, dass man Sachen toll findet, die die Eltern überhaupt nicht mehr sehen können, weil sie es in der Jugend ertragen mussten. Das ist immer so eine Grenze von 25/30 Jahren. Und das ist ja auch ganz toll, wenn man eine moderne Wohnung hat und dann da so ein Kitschbild drin hat, das sieht ganz toll aus, das schindet Eindruck (lacht)."
Jeder kann wählen, was ihm gefällt. Private Fotos oder Kunstdrucke von Dürer bis Rothko, vielleicht sogar ein echter Jackson Pollock: Bilder gehören zum Alltag. Manchmal bleiben sie unscheinbar an der Wand, werden selten bewusst wahrgenommen. Dennoch sind sie immer ein Spiegel des ästhetischen Empfindens, des Erlebten oder des Ersehnten.
Rupert Walser: "Dieses Zurückgeworfen werden auf sich selbst ist, glaube ich, überhaupt eine ganz wichtige Angelegenheit bei der Kunst. So ist ein tolles Erlebnis für mich, wenn ich wieder ein Bild anschaue, sei es am nächsten Morgen oder im nächsten Monat mal wieder auspacke und wieder hänge, sehe ich Dinge, die ich glaube, nie vorher gesehen zu haben, obwohl es das gleiche Bild ist! Dann kann man davon aussehen, todsicher hat sich nicht das Bild geändert. Offenbar habe ich mich verändert. Ich sehe anders. Ich bin anders geworden. Das ist hoch interessant."