Erdölmultis und Klimakrise

Die Propagandisten des Zweifels

Ölpumpen auf einem Ölfeld in Emlichheim, Deutschland.
Das Ölgeschäft war noch nie eine saubere Sache. Wie schmutzig es wirklich ist, versuchten die Ölkonzerne lange zu verschleiern. © picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Martin Meissner
Ein Kommentar von Sieglinde Geisel · 23.08.2023
Rauchen ist krebserregend, und fossile Brennstoffe erwärmen die Erdatmosphäre. Wie die Tabakindustrie waren die Ölmultis erfolgreich darin, wider besseren Wissens Zweifel daran zu schüren. Sieglinde Geisel möchte sie dafür zur Rechenschaft ziehen.
Wussten Sie, dass die Erdölfirmen den Klimawandel leugneten, obwohl ihre eigenen Wissenschaftler ihn exakt berechnet hatten? Genau, da war doch was. Im Januar wurde eine Studie der Harvard University veröffentlicht, die hieb- und stichfeste Beweise für etwas vorlegte, was seit 2015 vermutet wurde. Der Ölkonzern Exxon Mobil wusste intern bereits seit den 1970er-Jahren, dass fossile Brennstoffe das Klima aufheizen. Nach außen jedoch tat der Konzern alles, um Zweifel an der Erderwärmung zu säen.
Die Erdölfirmen folgten damit dem Modell der Tabakindustrie, die jahrzehntelang behauptete, Rauchen verursache keinen Lungenkrebs. Diese „merchants of doubt“ – Händler des Zweifels, wie es in einem Buchtitel heißt –, setzten alles daran, die Wissenschaft zu diskreditieren, in der Medizin genauso wie später in der Klimaphysik.

Verbrechen gegen die Menschheit

Sie behaupteten, die Berechnungen der Physiker seien unsicher, sie redeten Klimamodelle schlecht, verbreiteten gar Mythen über eine drohende Eiszeit. Die organisierten Klimaleugner waren mit dieser Strategie überaus erfolgreich. Ihre Kampagnen führten dazu, dass die Klimaziele in den letzten 30 Jahren nicht ernsthaft verfolgt wurden: Wenn die globale Erwärmung angeblich so unsicher ist, gibt es auch keinen dringenden Handlungsbedarf. Damit retteten die Erdölfirmen ihr Geschäftsmodell: An der Durchsetzung von Umweltnormen verdient niemand, an ihrer Verschleppung jedoch sehr wohl.
Die Erdölindustrie nahm die globale Katastrophe bewusst in Kauf, um ihre exorbitanten Profite nicht zu gefährden – wenn es je ein crime against humanity gab, ein Verbrechen gegen die gesamte Menschheit, dann dieses.

Warum werden fossile Brennstoffe noch subventioniert?

Doch auf die Harvard-Studie im Januar folgte kein Aufschrei, die Nachricht verschwand so schnell aus den Medien, wie sie aufgetaucht war. Wo sind die Stimmen, die fordern, dass die Erdölkonzerne so etwas wie Reparationen zahlen? Dass sie ihre üppigen Gewinne in die Entwicklung erneuerbarer Energien stecken? Dass die Subventionierung der fossilen Brennstoffe ein Ende hat? Zwar gibt es inzwischen weltweit über zweitausend Klimaklagen, doch eine öffentliche Diskussion darüber findet nur am Rande statt.
Die Erdölkonzerne hatten ein furchtbar leichtes Spiel mit der Öffentlichkeit. Die Wissenschaft leistet wenig Widerstand, denn weder lobbyieren Wissenschaftler, noch gehen sie auf „Argumente“ ein, für die es keine wissenschaftliche Grundlage gibt. Die Medien wiederum machten viel zu lange mit beim Spiel der "false balance" und gaben Pseudowissenschaftlern eine Bühne, die sie nicht verdient hatten.

Inszenierter Zweifel hat Schule gemacht

Und inwiefern hat das alles auch mit uns zu tun? Die Klimaleugner der Erdölindustrie erzählten das verführerischste aller Märchen, nämlich dass alles so weitergehen könne wie bisher. Wer wünschte sich das nicht?
Gegen dieses Märchen hilft nur Aufklärung, deshalb müssen die Propagandisten des Zweifels zur Rechenschaft gezogen werden. Zumal es keineswegs nur um die Erdölindustrie geht, die übrigens dieses Jahr die UN-Klimakonferenz in Dubai präsidieren wird, also immer noch erfolgreich ist mit ihrer Einflussnahme.
Seit die Methode des inszenierten Zweifels von der Tabakindustrie erfunden wurde, hat sie Schule gemacht: Der Angriff auf wissenschaftliche Fakten ist die Killerwaffe jeglicher Propaganda, und sie lässt sich auf jedes Thema anwenden, sei es Klima, Pandemie oder Migration. Die Zukunft der Demokratie hängt davon ab, dass wir diese Methoden durchschauen. Im Fall der Erdölindustrie allerdings geht es nicht nur um die Zukunft der Demokratie, sondern um die Zukunft von allem, was auf der Erde lebt.

Sieglinde Geisel studierte in Zürich Germanistik und Theologie und arbeitet als freie Journalistin. Sie ist für verschiedene Medien als Literaturkritikerin, Essayistin und Reporterin tätig und lehrt an der Freien Universität Berlin sowie an der Universität St. Gallen. Geisel ist Gründerin von „tell – Onlinemagazin für Literatur und Zeitgenossenschaft“ und schreibt dort regelmäßig.

Sieglinde Geisel posiert im Treppenhaus des RIAS-Gebäude in Berlin
© Deutschlandradio / Melanie Croyé
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