Ökumene der Märtyrer

Von Matthias Bertsch · 23.03.2013
Das Frauenkloster Karmel Regina Martyrum will die Erinnerung an die Opfer der Nationalsozialisten wachhalten. Doch das Gedenken ist nicht nur in die Vergangenheit gewandt - die Schwestern nehmen auch Menschen in ihr Gebet, die heute leiden. Konfessionen sind ihnen dabei völlig unwichtig.
Im Gebetsraum der Krypta der Gedenkkirche stehen sich rund zehn Frauen gegenüber und feiern das Mittagsgebet. Sie alle gehören zum Karmel Regina Martyrum. Das Frauenkloster direkt neben der Kirche bietet nicht nur einen Ort der Stille und der Besinnung, um zu sich selbst oder zu Gott zu finden, sondern soll auch die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus wachhalten – so wie die Inschrift an der Mauer, die die katholische Gedenkkirche umgibt.

Katarina: "An einer Stätte, wo in dunkler Zeit Todesurteile am laufenden Band vollstreckt wurden, plant ihr ein Heiligtum zu Ehren der Regina Martyrum und zum Gedächtnis jener aus euren Brüdern und Schwestern, Deutschen und Nicht-Deutschen, die damals ihr Einstehen für die Rechte Gottes und des guten Gewissens mit ihrem Blut besiegelt haben."

Schwester Katarina lebt seit 30 Jahren im Karmel Regina Martyrum Berlin und führt regelmäßig Gruppen durch die Kirche, die man nur über einen großen Platz ohne Bäume und Sitzplätze erreicht.

"Wir stehen jetzt hier im so genannten Feierhof der Kirche mit einer dunklen Wand, Basaltkiesel im Beton, und diese dunkle Wand möchte symbolhaft erinnern an KZ-Appellplätze oder an Gefängnishöfe. Das Dunkel ist vorherrschend und es erinnert an die Todverfallenheit des Menschen – und zwar bis heute."

Im Gegensatz zu den dunklen Wänden des Feierhofes besteht die Fassade der Kirche aus hellen Carrara-Kieseln. Vom "Dunkel zum Licht", beschreibt Schwester Katarina das Thema, das der Architekt Hans Schädel beim Bau vor Augen hatte – eine Symbolik, die sich auch im ersten Stock des Gebäudes, der Oberkirche, wiederfindet: Der Kirchenraum besteht aus Betonwänden, nur ein paar schmale Fensterbänder unter der Decke lassen ein wenig indirektes Licht herein. Bestimmt wird der Raum durch das riesige, fast hundert Quadratmeter große Altarbild "Das himmlische Jerusalem" von Georg Meistermann. In der Mitte ist ein Lamm zu sehen, ein Opferlamm, das von bedrohlichen, schwarzen Blöcken umgeben ist und diese doch zu sprengen scheint.

"Das Lamm steht für Jesus Christus, er, zerschlagen, ist die Mitte der Geschichte und die Wendung der Geschichte. Sie können erkennen eine Spirale in der Mitte um das Lamm herum, ausgehend von dem Lamm in Pasteltönen, und das entwickelt eine Dynamik, wenn man es verfolgt, eine Kraft – Meistermann sagt, eine Kraft der Verheißung, die dieses Bild gibt: Das Dunkle wird besiegt vom Licht."

Doch trotz der Verheißung: Im Zentrum von Regina Martyrum steht die Dunkelheit. An kaum einem Ort wird das so deutlich wie in der Krypta im Untergeschoss. Hier hat der Bildhauer Fritz König eine Pieta geschaffen: Der tote Jesus liegt, völlig ausgemergelt, auf dem Schoß seiner Mutter Maria. Die Bronzeskulptur soll an die Menschen in den KZs erinnern, betont Schwester Katarina. Die Inschrift davor lautet: "Allen Blutzeugen, denen das Grab verweigert wurde."

"Wir wissen, dass in der Nähe, im Hinrichtungsschuppen in Plötzensee, wo an die 3.000 Menschen hingerichtet worden sind, aus allen Ständen und fast allen Altersstufen, Frauen und Männer, und dann vor allem auch viele aus dem Militär nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler '44, das Grab wurde verweigert allen denen, die dort hingerichtet worden sind, verbrannt wurden, und die Asche wurde auf die Rieselfelder außerhalb Berlins verstreut."

In der Gedenkplatte vor der Pieta waren lange die Namen dreier Ermordeter eingraviert: Erich Klausener, Vorsitzender der Katholischen Aktion in Berlin, Bernhard Lichtenberg, Dompropst der Sankt-Hedwigs-Kathedrale und der Jesuitenpater Alfred Delp. Im Januar dieses Jahres ist ein weiterer Name dazugekommen, der eines Protestanten: James Graf Moltke, mit dem Alfred Delp in der Widerstandsgruppe Kreisauer Kreis eng zusammengearbeitet hatte.

Lutz Nehk: "Es hat sich in der Zeit der Gefangenschaft in Tegel zwischen dem Jesuitenpater Delp und dem evangelischen Christen Moltke eine, wie es mal gesagt wurde, ökumenische Gemeinde in Fesseln gebildet. Die haben also, unterstützt durch die Gefängnisseelsorger, untereinander kommuniziert über Glaubensfragen, das ist alles dokumentiert, und waren am Ende der Überzeugung, hier wird nicht ein katholisches oder evangelisches Zeugnis gegeben, sondern es geht hier um ein christliches Zeugnis schlechthin."

Lutz Nehk ist Priester im Erzbistum Berlin und predigt oft in Maria Regina Martyrum. Die Ökumene, betont er, habe in der Gedenkkirche schon immer eine große Rolle gespielt.

"Papst Johannes Paul II. hatte diesen Begriff der 'Ökumene der Martyrer' geprägt. Er sagte: Wenn in der Hingabe seines Lebens dieser Unterschied zwischen evangelischen und katholischen Christen nicht mehr da ist, weil man nur einen Christus bezeugen kann, dann ist das eine Form der Ökumene, wie sie die anderen ökumenischen Bereiche, die noch nicht so weit sind, nur inspirieren kann."

Auch für Schwester Katarina ist die Ökumene im Gedenken eine Selbstverständlichkeit – genauso wie die Zusammenarbeit mit dem Ökumenischen Gedenkzentrum Plötzensee oder die gemeinsamen Friedensgebete mit dem benachbarten evangelischen Gemeindezentrum.

"Wir pflegen das Gedenken an die Menschen aus dem Widerstand, eben aus der NS-Zeit, aber wir sind nicht nur rückwärtsgewandt, sondern wir nehmen genauso oder noch stärker in unser Gebet und Gedenken alle die Menschen hinein, die heute leiden, hoffnungslos ausgeliefert – Syrien, Mali, Afghanistan – und die Liste kann man fortführen."


Nehk: "Das Schlüsselwort eben, um das es den Blutzeugen auch gegangen ist, aus dem christlichen Menschenbild heraus, aus einer christlichen Ethik heraus, die Würde des Menschen und die Rechte des Menschen zu verteidigen, und das sind ja heute auch ganz aktuelle Fragen, wo wir als heutige Generation sagen müssen: Wo auf der Welt, vielleicht sogar wo in unseren Land, wo in unserem unmittelbaren Umfeld, werden Menschenrechte verletzt und wo es da unsere Pflicht ist, etwas zu sagen?"

Auf die Frage, wo diese Menschenrechte in Deutschland heutzutage verletzt werden, reagiert Nehk zurückhaltend, aber dann nennt er doch ein Beispiel:

"Es gibt natürlich einen Bereich, wo ganz konkret Menschen, die im Gedenkzentrum oder der Gedenkkirche mitarbeiten, auch tätig sind, und zwar die Frage der Abschiebehaft und der Menschen, die Asyl suchen und wieder nach Hause geschickt werden sollen."

Es ist diese Verbindung zum Leiden heutiger Menschen und der Mut derjenigen, die damals für ihre Überzeugung und ihren Glauben in den Tod gegangen sind, die Regina Martyrum auch für jüngere Menschen interessant, ja sogar spannend macht. Schwester Katarina hat schon oft Schülergruppen durch die Gedenkkirche geführt. Langeweile habe sie bei den Jugendlichen dabei noch nie erlebt, sagt sie, höchstens ein Befremden, wenn es um die "Märtyrer" geht.

"Ich habe eigentlich recht wenig von diesem Begriff gesprochen, ich habe ihn umschrieben, viel mehr die Menschen, die damals attackiert, verfolgt, eingesperrt worden sind, weil sie gesagt haben, was sie dachten, weil das tatsächlich mit dem Begriff 'Martyrer', das geht nicht, 'Martyrer' ist einfach zu weit weg für die Jugendlichen.""