Ökostrom-Umlage

Der Stromfresser

Von Axel Schröder · 19.12.2013
Die EU-Kommission hat wegen der Stromrabatte für "energie-intensive" Unternehmen ein Untersuchungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet. Wir haben eine solche Firma besucht.
Die Dimensionen sind gigantisch: die Fabrikhalle kathedralengroß. Hinter dem breiten Metall-Schutzschild brodelt flüssiges Metall in mächtigen Schmelzkübeln. Durch schmale Spalten spritzen Funken aus dem 1300 Grad heißen Ofen. Davor steht Dr. Stefan Specht, der Leiter des Bereichs "Primärkupfer" bei der Hamburger Kupferhütte Aurubis:
"Ja, hier gehen große Materialströme rein in die Hütte. Eine Million Tonnen Kupfer-Erz-Konzentrate. Dann müssen wir noch 150.000 Tonnen Sand dazu mischen. Dann die 80.000 Tonnen Recycling-Kupfer und 8.000 Tonnen Computerschrott und noch diverse andere Materialien."
Sieben Stunden lang wird die glühende Suppe gekocht, die genauen Zutaten verrät der Ingenieur nicht. Am Ende, erklärt er, entstehen daraus jährlich 500.000 Tonnen reinstes Kupfer. Andreas Specht steigt eine Stahltreppe hinter dem Schmelzofen hoch. Männer mit dicken Schürzen, spiegelnden Schutzbrillen und Handschuhen arbeiten an der Steinrinne, durch die das Kupfer fließt. Grell gelb-orange, mit beißender Hitze:
"Ja, die Hauptstrahlungshitze kommt hier von dem Kupfer. Ungefähr 1230 Grad heiß strahlt das hier ab."
Flüssiger Kupfer, beißend heiß
Mit langen Stangen öffnen die Arbeiter Schieber in der Steinrinne, leiten die glühenden Bäche zu den Gussformen:
"Das Kupfer wird jetzt hier vergossen. Zu so genannten Anodenplatten. Jede Platte hat genau 408 Kilogramm. Kupfergehalt beträgt schon 99,6 Prozent. Das ist aber noch nicht ausreichend, um es direkt in Rohre, Drähte, Platten oder ähnliches umzuformen. Dazu bedarf es einer weitaus höheren Reinheit."
Und diese Reinheit entsteht erst in einem zweiten Produktschritt. Schon der erste Schritt, das Koche und Gießen der Kupferplatten verbraucht ungeheure Strommengen. Wie viel genau, erklärt der Vorstandsvorsitzende der Aurubis, Stefan Willbrandt:
"Wir brauchen fast eine Milliarde Kilowattstunden pro Jahr. Das können sie vergleichen. Wenn sie sagen: ein durchschnittlicher Haushalt, drei Personen, ungefähr 3500 Kilowattstunden, dann sind das 250.000 bis 300.000 Haushalte. Das ist eine relativ große Stadt. Haushalte! Nicht Personen in einer Stadt! Das ist ungefähr unser Bedarf. Also eine Stadt wie Düsseldorf."
Und dementsprechend hoch fällt die Stromrechnung für Aurubis aus. Noch höher wäre sie, wenn das Unternehmen die EEG – also die Erneuerbare-Energien-Umlage - in voller Höhe zahlen müsste.
"Wenn wir nur bei der EEG bleiben: Wir sind bei 5,3 Cent, wir brauchen eine Milliarden Kilowattstunden, dann kann das relativ leicht rechnen: wenn wir den vollen Satz bezahlen müssten – nur EEG! – dann sind wir bei über 50 Millionen Euro zusätzliche Belastungen für die Aurubis und das wäre schon signifikant. Und das sind Kosten, die wir immer haben würden, egal, welchen Zyklus wir gerade durchlaufen. Und deswegen ist das für uns so ein wichtiger Faktor."
EU prüft Sonderkonditionen
Vollständig von der EEG-Umlage befreit ist auch die energieintensive Aurubis nicht. Sie zahlt zwar nicht 5,3 Cent Zuschlag pro Kilowattstunde, sondern nur 0,05 Cent. Jährlich sind das immerhin noch drei Millionen Euro zusätzlich. Die Ankündigung von EU-Wettbewerbskommissar Joaquin Almunia, die Sonderkonditionen für energieintensive Unternehmen überprüfen zu lassen und am Ende möglicherweise zu kippen, würde der Wettbewerbsfähigkeit des Hamburger Kupfer-Konzerns schwer schaden, erklärt Vorstandschef Willbrandt:
"Wir konkurrieren nicht mit Unternehmen, die in Deutschland sind. Es gibt nur wenige Kupfererzeuger in Europa. Die eigentliche Konkurrenz, die sitzt in Asien - in China, in Indien – und das ist auch teilweise ein unfairer Wettbewerb. Wir haben sehr viel an der Effektivität und an der Effizienz gearbeitet, sind heute wettbewerbsfähig. Aber wenn man diese Magnitude an Zusatzbelastungen, an zusätzlichen Kosten, die auf den Strompreis aufgeschlagen werden könnten, sieht, dann muss man sagen, dass das ein Volumen annimmt, dass die Wettbewerbsfähigkeit doch deutlich zu unseren Ungunsten beeinflussen würde und schlechter stellen würde."
Am Ende würden neue Belastungen für die Kupferhütte Aurubis nicht nur ihren Standort in Hamburg gefährden, sondern auch die Standorte in insgesamt elf anderen europäischen Ländern.
Zurück in den Werkshallen der Aurubis. Die frisch gegossenen, abgekühlten 400-Kilo-Kupferplatten, die so genannten Anoden werden per Gabelstapler abtransportiert. Zum nächsten Veredelungsschritt, zur Elektrolyse in der nächsten fußballfeldgroßen Halle.
Specht: "Das ist die Elektrolyse. Hier hängen ständig 65.000 Anoden. Und die hängen hier in 1080 Bädern drin. Es wird ein Strom angelegt, 42.000 Ampere. Da könnte man etliche Haushalte über Jahre mit Strom versorgen."
Kein modernes Leben ohne Kupfer
Wochenlang stehen die Platten unter Strom, erklärt der Ingenieur Stefan Specht. Übrig bleiben hochreine, rotgoldene Kupferkathoden. Jede einzelne Hunderte Kilo schwer.
"Das ist das Endprodukt meiner Abteilung. Und der Vorstoff für alle Kupferprodukte, Formate, Drähte, Bleche, Rohre …"
… die in Elektromotoren, Generatoren und Stromleitungen genauso zum Einsatz kommen wie in Mobiltelefonen, Stereoanlagen oder Computern. – Ohne Kupfer wäre das moderne Leben, an das wir uns so gewöhnt haben, nicht möglich.
Dass das gestern eingeleitete Verfahren der EU die Schlüsselindustrie die Aurubis zwingen könnte, demnächst höhere Strompreise zu zahlen, ist deshalb mehr als unwahrscheinlich. Rückstellungen für etwaige Nachforderungen hat der Konzern erst gar nicht gebildet. Bei Europas größtem Kupferlieferanten bleibt man gelassen.

Hintergrund:

Die EU-Kommission hat wegen der Stromrabatte für deutsche Unternehmen ein Untersuchungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet. Sie vermute wegen der Befreiung zahlreicher Unternehmen von der sogenannten EEG-Umlage Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht, erklärte die Behörde.

Im Erneuerbare-Energien-Gesetz werden für jede Kilowattstunde Strom aus Solar-, Wind- und Biomasseanlagen auf 20 Jahre garantierte Vergütungen festgelegt. Die Höhe ist abhängig vom Anschlussdatum. Die Differenz zwischen dem am Markt für den Strom erzielten Preis und der festen Vergütung bildet die EEG-(Ökostrom)-Umlage.

Die Stromkosten steigen auch, weil es immer mehr Industrierabatte für stromintensive Unternehmen gibt.

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