"Ökonomische Effizienz und soziale Symmetrie miteinander vereinbaren"
Der saarländische Ministerpräsident Peter Müller hat sich vor der erneuten Diskussion um das CDU-Grundsatzprogramm positiv über die bisherige Arbeit seiner Partei geäußert. Der CDU-Politiker sagte, trotz aktuell schlechter Umfragewerte halte er eine grundsätzliche Änderung der Positionen für falsch. Die Diskussion hält Müller für eine gute Gelegenheit, die eingehende Analyse des Wahlergebnisses nachzuholen.
Marie Sagenschneider: Ein Richtungsstreit ist ausgebrochen in der CDU, oder sollte man besser sagen, wieder mal öffentlich geworden? Die Unzufriedenheit wächst, was sicherlich auch zurückzuführen ist auf die miserablen Umfragewerte. Im ZDF-Politbarometer kam die Union insgesamt nur noch auf 36 Prozent, und nur 30 Prozent meinen, dass die CDU in wichtigen politischen Fragen voll hinter der Bundeskanzlerin steht. Insofern wird es ja vielleicht schon spannend, wenn die CDU morgen auf einem Kongress weiter an ihrem neuen Grundsatzprogramm bastelt. Darüber wollen wir nun hier im Deutschlandradio Kultur mit Peter Müller sprechen, dem Ministerpräsidenten des Saarlands. Guten Morgen Herr Müller!
Peter Müller: Guten Morgen!
Sagenschneider: Sie haben ja schon gesagt, die ureigene Position der Union muss auch öffentlich erkennbar sein, da gibt es Nachholbedarf. Angesichts dieser unterschiedlichen Stimmen in den vergangenen Wochen, was ist denn da noch ureigene Position der Union?
Müller: Wir leben in Zeiten der Großen Koalition, und Große Koalition bedeutet Notwendigkeit zum Kompromiss. In diesen Kompromissen ist die eigene Position der Union natürlich immer nur teilweise vertreten, anders kann es gar nicht sein. Daneben gibt es die originäre Position der Union, und ich glaube schon, dass es richtig ist, wenn beides öffentlich erkennbar wird. Das beginnt bei Fragen der Gesundheitsreform, wo wir natürlich unsere Vorstellungen einer Abkopplung der Finanzierung der Gesundheit, der Krankenversicherung von den Lohnnebenkosten mit den Sozialdemokraten nicht umsetzen können, bis hin zu symbolhaften Themen wie etwa der Reichensteuer oder dem Antidiskriminierungsgesetz.
Sagenschneider: Nun haben Sie die Gesundheitsreform schon erwähnt. Von Karl-Josef Laumann, dem Vorsitzenden des CDU-Arbeitnehmerflügels, war ja zu hören, dass er die Leipziger Parteitagsbeschlüsse für überholt hält. Er sagt, heute würde die CDU einen derart radikalen Umbau der Sozialversicherungssysteme nicht mehr entscheiden. Stimmt das?
Müller: Ich glaube, dass die Entscheidung, wie wir sie in Leipzig getroffen haben, im Grunde richtig war. Das Problem des Leipziger Parteitages bestand darin, dass die Beschlüsse zur Steuerpolitik und die Beschlüsse zur sozialen Sicherung nicht kompatibel waren. Aber das Grundanliegen bei beiden Beschlüssen, weniger Staat, mehr freiheitliche Gestaltung in dieser Gesellschaft, mehr Dynamik und damit mehr Wachstum, ist sicherlich richtig. Insofern gibt es einen gewissen Bedarf, die Diskrepanzen, die zwischen diesen beiden Beschlüssen von Leipzig bestanden, aufzuarbeiten. Es gibt aber keinen Grund, die Grundrichtung zu ändern.
Sagenschneider: Aber es ist interessant zu sehen, welch unterschiedliche Schlüsse man in Ihrer Partei aus den Ergebnissen der letzten Bundestagswahlen und jetzt aus den Umfragewerten zieht. Herr Rüttgers, CDU-Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen, meint, der wirtschaftsliberale Kurs habe viele abgeschreckt, deswegen wurde die CDU da nicht so viel gewählt. Andere halten dagegen und sagen, die Umfragewerte jetzt sind eine Quittung für zu wenig Wirtschaftsprofil. Was stimmt denn nun?
Müller: Ich glaube, die CDU ist und sollte auch in Zukunft die Partei der sozialen Marktwirtschaft bleiben. Dass wir ökonomische Effizienz und soziale Symmetrie miteinander vereinbaren können, das hat den Erfolg der CDU in der Vergangenheit ausgemacht, und das muss auch in der Zukunft die Grundlinie der Union sein. Der Fehler bei der Bundestagswahl war nach meinem Dafürhalten, dass dieses Bemühen um soziale Gerechtigkeit nicht ausreichend zum Ausdruck gekommen ist. Dadurch war das Wahlprogramm nicht falsch. Das Problem, das wir gemacht haben, war, dass wir zu viel über Steuersätze, zu viel über Details geredet haben und zu wenig über die Grundlinien unserer Politik. Das kann man sicher ändern, aber eine grundsätzliche Veränderung der Position würde ich für falsch halten.
Sagenschneider: Ist es nicht vielmehr so, dass auch die Anhänger der Union hier gespalten sind und Sie deswegen Probleme haben? So legt es ja zumindest das ZDF-Politbarometer nahe: Danach sagen 44 Prozent der Unionsanhänger, sie wünschen sich eine stärkere Berücksichtigung sozialer Absicherung, 40 Prozent meinen, die CDU solle sich stärker Richtung Markt orientieren. Das ist ja schon verwirrend.
Müller: Die CDU ist eine Volkspartei. Sie repräsentiert eine breite Spanne im Meinungsspektrum - beginnend bei denjenigen, die sehr stark an wirtschaftsliberalen Positionen sich orientieren, bis hin zu den Sozialausschüssen. Genau das hat sie stark gemacht, dass sie diese Spannung aushält und aus dieser Spannung heraus ihre Position entwickelt und dabei weder dem einen Flügel noch dem anderen Flügel ein Übergewicht zukommen lässt. Diese Balance muss die Union halten. Dazu zählt natürlich auch, dass die Vertreter der jeweiligen Flügel ihre Position beschreiben. Das ist ein spannungsreicher Prozess, am Ende aber ein sinnvoller Prozess, der der Union und der der Bundesrepublik Deutschland nur nutzen kann.
Sagenschneider: Hatte denn die Union diese Balance gehalten auch vor der Wahl oder hätte man nach der Wahl sich hinsetzen müssen, wie es Junge-Union-Chef Missfelder fordert oder gefordert hat, damals auch schon sehr vehement, und den Ausgang mehr analysieren, als man es gemacht hat? Man hat es ja dann ziemlich schnell weggedrückt.
Müller: Also ich glaube, dass wir in der Sache diese Balance immer gehalten haben. Ob wir in der Art und Weise, wie wir unsere Position kommuniziert haben, dem auch Rechnung getragen haben, ist eine andere Frage. Ich hätte mir sicherlich gewünscht, dass die Analyse de Bundestagswahl und die daraus sich ableitenden Konsequenzen etwas intensiver stattgefunden hätten, als dies der Fall war. Zu verstehen ist, dass es natürlich zunächst eine Konzentration auf die Koalitionsverhandlungen gab, dass es dann die Notwendigkeit gab, in der Koalitionsregierung einen guten Start zu finden. Auf der anderen Seite glaube ich schon, dass ausreichend Raum bestanden hätte, eine etwas intensivere Diskussion des Wahlergebnisses zu führen. Ich meine, dass die Grundsatzprogrammarbeit, die wir jetzt gemeinsam miteinander angepackt haben, eine Möglichkeit ist, dieses nachzuholen.
Sagenschneider: Worin unterscheidet sich eigentlich das, was Sie als Balance definiert haben, Herr Müller, von dem, was Kurt Beck als Linie der SPD vorgibt, nämlich den vorsorgenden Sozialstaat, der am Leistungsprinzip orientiert ist und der sozialen Zusammenhalt stiften kann?
Müller: Ich glaube, dass die Sozialdemokraten sehr viel stärker in die Möglichkeit vertrauen, Dinge staatlich zu regeln, Dinge zentral zu regeln. Ich glaube auch, dass bei der grundsätzlichen Ausrichtung im Verhältnis von Freiheit und Gleichheit die Sozialdemokraten eher die Gleichheit betonen, während die Christdemokraten im Zweifel auf der Seite der Freiheit stehen. Wir glauben eben nicht primär an den vorsorgenden Staat, sondern wir glauben primär an das Subsidiaritätsprinzip, an die Eigenverantwortung, an die freie Gestaltung des mündigen Bürgers. Das unterscheidet uns entscheidend von den Sozialdemokraten. Und ich glaube, da muss jeder sich positionieren, wo er seinen Platz eher findet, je nachdem wird er eher christdemokratisch oder sozialdemokratisch politisch engagiert und orientiert sein.
Sagenschneider: Saarlands Ministerpräsident Peter Müller im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur. Ich danke Ihnen.
Peter Müller: Guten Morgen!
Sagenschneider: Sie haben ja schon gesagt, die ureigene Position der Union muss auch öffentlich erkennbar sein, da gibt es Nachholbedarf. Angesichts dieser unterschiedlichen Stimmen in den vergangenen Wochen, was ist denn da noch ureigene Position der Union?
Müller: Wir leben in Zeiten der Großen Koalition, und Große Koalition bedeutet Notwendigkeit zum Kompromiss. In diesen Kompromissen ist die eigene Position der Union natürlich immer nur teilweise vertreten, anders kann es gar nicht sein. Daneben gibt es die originäre Position der Union, und ich glaube schon, dass es richtig ist, wenn beides öffentlich erkennbar wird. Das beginnt bei Fragen der Gesundheitsreform, wo wir natürlich unsere Vorstellungen einer Abkopplung der Finanzierung der Gesundheit, der Krankenversicherung von den Lohnnebenkosten mit den Sozialdemokraten nicht umsetzen können, bis hin zu symbolhaften Themen wie etwa der Reichensteuer oder dem Antidiskriminierungsgesetz.
Sagenschneider: Nun haben Sie die Gesundheitsreform schon erwähnt. Von Karl-Josef Laumann, dem Vorsitzenden des CDU-Arbeitnehmerflügels, war ja zu hören, dass er die Leipziger Parteitagsbeschlüsse für überholt hält. Er sagt, heute würde die CDU einen derart radikalen Umbau der Sozialversicherungssysteme nicht mehr entscheiden. Stimmt das?
Müller: Ich glaube, dass die Entscheidung, wie wir sie in Leipzig getroffen haben, im Grunde richtig war. Das Problem des Leipziger Parteitages bestand darin, dass die Beschlüsse zur Steuerpolitik und die Beschlüsse zur sozialen Sicherung nicht kompatibel waren. Aber das Grundanliegen bei beiden Beschlüssen, weniger Staat, mehr freiheitliche Gestaltung in dieser Gesellschaft, mehr Dynamik und damit mehr Wachstum, ist sicherlich richtig. Insofern gibt es einen gewissen Bedarf, die Diskrepanzen, die zwischen diesen beiden Beschlüssen von Leipzig bestanden, aufzuarbeiten. Es gibt aber keinen Grund, die Grundrichtung zu ändern.
Sagenschneider: Aber es ist interessant zu sehen, welch unterschiedliche Schlüsse man in Ihrer Partei aus den Ergebnissen der letzten Bundestagswahlen und jetzt aus den Umfragewerten zieht. Herr Rüttgers, CDU-Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen, meint, der wirtschaftsliberale Kurs habe viele abgeschreckt, deswegen wurde die CDU da nicht so viel gewählt. Andere halten dagegen und sagen, die Umfragewerte jetzt sind eine Quittung für zu wenig Wirtschaftsprofil. Was stimmt denn nun?
Müller: Ich glaube, die CDU ist und sollte auch in Zukunft die Partei der sozialen Marktwirtschaft bleiben. Dass wir ökonomische Effizienz und soziale Symmetrie miteinander vereinbaren können, das hat den Erfolg der CDU in der Vergangenheit ausgemacht, und das muss auch in der Zukunft die Grundlinie der Union sein. Der Fehler bei der Bundestagswahl war nach meinem Dafürhalten, dass dieses Bemühen um soziale Gerechtigkeit nicht ausreichend zum Ausdruck gekommen ist. Dadurch war das Wahlprogramm nicht falsch. Das Problem, das wir gemacht haben, war, dass wir zu viel über Steuersätze, zu viel über Details geredet haben und zu wenig über die Grundlinien unserer Politik. Das kann man sicher ändern, aber eine grundsätzliche Veränderung der Position würde ich für falsch halten.
Sagenschneider: Ist es nicht vielmehr so, dass auch die Anhänger der Union hier gespalten sind und Sie deswegen Probleme haben? So legt es ja zumindest das ZDF-Politbarometer nahe: Danach sagen 44 Prozent der Unionsanhänger, sie wünschen sich eine stärkere Berücksichtigung sozialer Absicherung, 40 Prozent meinen, die CDU solle sich stärker Richtung Markt orientieren. Das ist ja schon verwirrend.
Müller: Die CDU ist eine Volkspartei. Sie repräsentiert eine breite Spanne im Meinungsspektrum - beginnend bei denjenigen, die sehr stark an wirtschaftsliberalen Positionen sich orientieren, bis hin zu den Sozialausschüssen. Genau das hat sie stark gemacht, dass sie diese Spannung aushält und aus dieser Spannung heraus ihre Position entwickelt und dabei weder dem einen Flügel noch dem anderen Flügel ein Übergewicht zukommen lässt. Diese Balance muss die Union halten. Dazu zählt natürlich auch, dass die Vertreter der jeweiligen Flügel ihre Position beschreiben. Das ist ein spannungsreicher Prozess, am Ende aber ein sinnvoller Prozess, der der Union und der der Bundesrepublik Deutschland nur nutzen kann.
Sagenschneider: Hatte denn die Union diese Balance gehalten auch vor der Wahl oder hätte man nach der Wahl sich hinsetzen müssen, wie es Junge-Union-Chef Missfelder fordert oder gefordert hat, damals auch schon sehr vehement, und den Ausgang mehr analysieren, als man es gemacht hat? Man hat es ja dann ziemlich schnell weggedrückt.
Müller: Also ich glaube, dass wir in der Sache diese Balance immer gehalten haben. Ob wir in der Art und Weise, wie wir unsere Position kommuniziert haben, dem auch Rechnung getragen haben, ist eine andere Frage. Ich hätte mir sicherlich gewünscht, dass die Analyse de Bundestagswahl und die daraus sich ableitenden Konsequenzen etwas intensiver stattgefunden hätten, als dies der Fall war. Zu verstehen ist, dass es natürlich zunächst eine Konzentration auf die Koalitionsverhandlungen gab, dass es dann die Notwendigkeit gab, in der Koalitionsregierung einen guten Start zu finden. Auf der anderen Seite glaube ich schon, dass ausreichend Raum bestanden hätte, eine etwas intensivere Diskussion des Wahlergebnisses zu führen. Ich meine, dass die Grundsatzprogrammarbeit, die wir jetzt gemeinsam miteinander angepackt haben, eine Möglichkeit ist, dieses nachzuholen.
Sagenschneider: Worin unterscheidet sich eigentlich das, was Sie als Balance definiert haben, Herr Müller, von dem, was Kurt Beck als Linie der SPD vorgibt, nämlich den vorsorgenden Sozialstaat, der am Leistungsprinzip orientiert ist und der sozialen Zusammenhalt stiften kann?
Müller: Ich glaube, dass die Sozialdemokraten sehr viel stärker in die Möglichkeit vertrauen, Dinge staatlich zu regeln, Dinge zentral zu regeln. Ich glaube auch, dass bei der grundsätzlichen Ausrichtung im Verhältnis von Freiheit und Gleichheit die Sozialdemokraten eher die Gleichheit betonen, während die Christdemokraten im Zweifel auf der Seite der Freiheit stehen. Wir glauben eben nicht primär an den vorsorgenden Staat, sondern wir glauben primär an das Subsidiaritätsprinzip, an die Eigenverantwortung, an die freie Gestaltung des mündigen Bürgers. Das unterscheidet uns entscheidend von den Sozialdemokraten. Und ich glaube, da muss jeder sich positionieren, wo er seinen Platz eher findet, je nachdem wird er eher christdemokratisch oder sozialdemokratisch politisch engagiert und orientiert sein.
Sagenschneider: Saarlands Ministerpräsident Peter Müller im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur. Ich danke Ihnen.