Ökonomin: Griechenland-Sanierung nicht auf Schuldenabbau reduzieren

Monika Merz im Gespräch mit Ute Welty · 22.12.2010
Die Wirtschaftswissenschaftlerin Monika Merz warnt bei der Sanierung der griechischen Ökonomie vor einer einseitigen Orientierung auf den Schuldenabbau. Selbst wenn es das Land schaffte, sich mit einer Sparleistung von jährlich zwanzig Prozent in etwa sieben Jahren zu entschulden, bliebe dort das Problem der geringen Produktivität.
Ute Welty: Spare in der Zeit, dann hast du in der Not – so ein altes deutsches Sprichwort, an das sich die griechische Regierung nun so gar nicht hält. Sie spart in der Not und vor allem notgedrungen: Internationaler Währungsfonds, Europäische Zentralbank und Europäische Union haben massiv Einfluss genommen auf den griechischen Haushalt 2011, der heute Nacht verabschiedet wird. Vielleicht hätte man vorher jemanden fragen sollen, der sich damit auskennt, zum Beispiel Monika Merz, Professorin am Institut für Volkswirtschaftslehre der Universität Wien. Guten Morgen!

Monika Merz: Guten Morgen, Frau Welty!

Welty: Sie halten mit Ihrem Wissen nicht nur nicht hinterm Berg, sondern stellen es auch ins Netz, als Präsidentin des Plenums der Ökonomen. Was wissen Sie besser als IWF, EZB und die griechische Regierung?

Merz: Ja, das ist eine sehr berechtigte Frage: Was weiß das Plenum der Ökonomen besser? Also wir wollen nicht rüberkommen als Besserwisser, ganz im Gegenteil, wir glauben nicht, dass wir mehr wissen als IWF oder die EZB zu irgendeiner der aktuellen brennenden Fragen ...

Welty: Aber vielleicht doch mehr als die griechische Regierung?

Merz: Ja, das hoffen wir doch, das hoffen wir. Aber das Plenum der Ökonomen, das sich im letzten Sommer zusammengeschlossen hat, das ist ein freiwilliger Zusammenschluss von Wirtschaftswissenschaftlern aus dem deutschsprachigen Raum und um ehrlich zu sein auch darüber hinaus. Wir sind also ... wir haben uns freiwillig zusammengeschlossen, weil wir der Meinung sind, dass in Deutschland es dringend nötig ist, dass auch Wirtschaftswissenschaftler sich äußern zu aktuellen wirtschaftspolitischen Fragen, und zwar unabhängig von irgendwelchen politischen Gremien. Das heißt, wir sehen uns nicht als ... dass wir einen politischen Auftrag haben, den erfüllen wollen, wir sind unabhängig, das ist ganz wichtig. Wir sind damit natürlich nicht weisungsgebunden. Es geht bei uns nicht darum, dass irgendjemand ernannt wird oder ausgeschlossen wird. Jeder Wirtschaftswissenschaftler kann sich an dem Plenum beteiligen. Wir bitten auch darum, dass ... oder wir hoffen, dass die Beteiligung recht rege ist, aber im Moment ist sie das. Und wir haben keine Pöstchen zu verteilen, auch das unterscheidet uns von politischen Gremien. Na ja, und jetzt mal im Vergleich zu Personen wie Claude Trichet, dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank, oder Axel Weber, dem Bundesbankpräsidenten, hoffen wir, dass wir eben frei unsere Meinung äußern können, dass wir kein Blatt vor den Mund nehmen müssen, denn bei allem, was die beiden sagen, beispielsweise die beiden, reagieren natürlich die Finanzmärkte sofort – und entsprechend zurückhaltend sind die beiden mit ihren Äußerungen.

Welty: Das heißt, Sie müssen kein Blatt vor den Mund nehmen, das heißt, Sie können auch so eine Frage wie jetzt den griechischen Sparhaushalt ganz anders diskutieren im Netz. Wie würde das denn ablaufen?

Merz: Wie würde das ablaufen? Also gesetzt den Fall, das Plenum würde sich entscheiden, dass wir den griechischen Sparhaushalt diskutieren, dann – die Initiative dazu kommt entweder aus dem Präsidium oder aber von dem Plenum –, dann werden Fragen, dann werden bestimmte Thesen eben in den Raum geworfen und dann findet eine Diskussion statt, dann findet ein Austausch darüber statt, ob dieser Haushalt vom Umfang her angebracht ist, ob daran etwas zu ändern wäre, und, und, und. Wie gesagt, es findet ein reger Meinungsaustausch oder es fände ein reger Meinungsaustausch im Internet statt. Wir wollen dabei aber nicht stehenbleiben mit unserem Austausch im Internet, sondern unser Ziel wird es auch sein, am Ende des Tages dann, wenn die Meinung gebildet ist, dass dann Sprecher, allen voran das Präsidium, an die Öffentlichkeit gehen und das Ergebnis dieser Diskussion auch kundtut.

Welty: Wenn wir mal von der Theorie in die Praxis wechseln und beim Beispiel Griechenland bleiben – glauben Sie, dass die Griechen es schaffen werden, ihre Schulden abzubauen?

Merz: Das ist eine berechtigte Frage. Um ehrlich zu sein: Ich sehe grundsätzlich kein Problem darin, dass die Griechen das schaffen werden, ihre Schulden abzubauen, die Frage ist nur: Wie lange wird das dauern? Das wiederum hängt von ihrer Spartätigkeit ab, also wie viel werden sie sparen? Je mehr sie jetzt sparen, je eher sie ihre Schulden in den Griff bekommen, desto schneller wird das Problem beseitigt sein, aber eine Frage, die sich dem natürlich anschließt, ist: Wie viel können sie sparen, wie groß ist ihre Sparkapazität? Und nur ein Beispiel: Also bei dem aktuellen Verschuldungsstand Griechenlands von zirka 130 Prozent im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt – gesetzt den Fall, Griechenland könnte eine Sparleistung von 20 Prozent im Jahr aufbringen, dann wären die Griechen in ungefähr sechs bis sieben Jahren schuldenfrei, aber damit hätten sie sich nur entschuldet, sie hätten an ihrer Produktivitätsleistung noch nichts geändert.

Welty: Und die Deutschen? Denn auch hier wächst ja der Schuldenberg trotz Schuldenbremse, die sich ja ohnehin nur, in Anführungszeichen, auf neue Schulden bezieht und nicht auf die bereits vorhandenen.

Merz: Also auch hier bin ich trotz der erschreckend hohen Verschuldungszahlen zuversichtlich, dass Deutschland sein Schuldenproblem in den Griff bekommen kann. Wichtig wird aber sein, dass mit äußerster Disziplin die Regierung das Problem angeht und dass gespart wird. Als Ökonomin sehe ich da die üblichen zwei Möglichkeiten: Eine Regierung kann sich entschulden, indem sie entweder stark die Steuern erhöht oder aber die Ausgaben senkt, und wenn ich mir den deutschen Haushalt anschaue, den Bundeshaushalt, dann muss für mich die Antwort klar sein: Die Ausgaben müssen gesenkt werden. Und das hat die aktuelle Regierung ja wohl auch erkannt, in diese Richtung hat sie schon agiert. Das stößt natürlich in der Bevölkerung auf sehr wenig Gegenliebe. Wann immer Sie Ausgaben senken und das der Bevölkerung wehtut, dann erzeugen Sie damit Widerstand, und den haben wir auch in Deutschland schon gespürt. Aber kurzum: Ich halte es nicht für ausgeschlossen, aber es ist äußerste Disziplin gefordert, und darin darf auch niemand nachgeben.

Welty: Wie sehr kann sich denn überhaupt ein Land verschulden, oder besteht eher dann die Gefahr, dass sich ein Land kaputt spart, wenn man zum Beispiel auf den Zusammenhang Arbeitsmarkt, Sozialsystem schaut?

Merz: Das ist eine gute Frage: Wie sehr kann sich ein Land verschulden? Die Frage kann ich beantworten an ... oder möchte ich beantworten anhand eines ganz einfachen Beispiels. Die Frage stellt sich analog – das habe ich oft in einer Vorlesung gesagt: Wie stark kann sich ein Einzelner, eine einzelne Person, beispielsweise ein Student verschulden? Die Antwort hängt doch von seiner Bonität ab. Wie kreditwürdig ist diese Person? Und die Antwort wiederum hängt davon ab, wie viel Einkommen die Person voraussichtlich in der Zukunft generieren kann. Ökonomen nennen das unter anderem auch die Produktivität der Person, und diesen Gedanken kann ich übertragen auf ein Land. Also wie stark sich ein Land verschulden kann oder sollte, hängt letztendlich mit der Fähigkeit des Landes zusammen, in der Zukunft das Einkommen zu generieren, um die Schulden dann auch zurückzahlen zu können.

Welty: Monika Merz und das Plenum der Ökonomen sorgen für mehr Transparenz in der Diskussion um die Wirtschaft, denn bekanntlich ist nichts spannender. Ich danke für diesen Exkurs hier in Deutschlandradio Kultur!

Merz: Danke schön!
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