Ökonom: Wachstumsprogramme verschieben nur das Problem

Moderation: André Hatting · 10.05.2012
Der Ökonom Clemens Fuest hält die von europäischen Politikern geforderten staatlichen Programme für kein geeignetes Mittel, um Wachstum zu schaffen. Angesichts der Finanzkrise sei es "schwierig", den Abbau der Defizite in die Zukunft zu verschieben: "Da sind die Spielräume sehr gering".
André Hatting: Monatelang hieß das Rezept gegen die europäische Schuldenkrise Sparen, Sparen und noch mal Sparen, verbrieft in einem Regelwerk mit dem Namen Fiskalpakt. Aber bevor alle Länder diese verstärkte Kontrolle made in Germany ratifiziert haben, gilt jetzt plötzlich ein neues Credo. Und das heißt Wachstum und hat vor allem mit den neuen Machtverhältnissen in Frankreich und Griechenland zu tun. Klar, sagt jetzt auch die Bundesregierung, Sparen und Wachsen, das gehört natürlich irgendwie zusammen. Aber wie?

Darüber möchte ich jetzt mit Clemens Fuest sprechen, er ist Wirtschaftsprofessor an der Universität Oxford und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesfinanzministeriums. Guten Morgen, Herr Fuest!

Clemens Fuest: Guten Morgen, Herr Hatting!

Hatting: Wachstum durch Sparen, das hört sich für mich nach einem Widerspruch an. Können Sie ihn auflösen?

Fuest: Ja, in gewissem Umfang ist das auch ein Widerspruch. Nur ist es ja so, dass wir in die Krise hereingeraten sind, weil die Staatsschulden und auch die Schulden im privaten Sektor viel zu hoch waren. Und die muss man jetzt herunterbringen. Die Kapitalmärkte sind ja nicht mehr bereit, den Krisenstaaten in Europa mehr Geld zu leihen. Und deshalb ist das schwierig, was jetzt Kritiker des Sparkurses wollen, nämlich, dass der Staat noch mal mehr Schulden macht und man den Sparkurs, also den Abbau der Defizite in die Zukunft verschiebt. Da sind die Spielräume sehr gering und deshalb muss man sich was anderes ausdenken.

Aus meiner Sicht ist da der wichtigste Ansatzpunkt, dass man auf den Bankensektor schaut in Europa. Ein Grund für die Rezession, die wir derzeit zum Beispiel in Spanien erleben, ist, dass die Banken, die sehr viele Immobilien finanziert haben, im Grunde genommen auch überschuldet sind. Die haben nicht genug Kapital, weil die Preise der Immobilien sehr stark gesunken sind. Und denen fehlt jetzt das Kapital, um die gesunden Sektoren der Wirtschaft zu finanzieren, um Unternehmen Kredite zu geben. Und deshalb ist eine wichtige Maßnahme, um wieder zu wachsen, diese Banken zu rekapitalisieren, ihnen also neues Kapital zu geben. Auch das kostet natürlich Geld, aber das wäre für mich jetzt die Priorität, viel wichtiger, als neue Ausgabenprogramme aufzulegen.

Und das andere ist, man muss eben das Geld, was man hat, intelligenter ausgeben. Das bedeutet beispielsweise, Subventionen abbauen und die eher in öffentliche Investitionen leiten. Dann gibt es Dinge, die kein Geld kosten, aber wichtig sind und Wachstum bringen wie Marktzugangsbeschränkung für Unternehmen beseitigen, am Arbeitsmarkt gibt es Probleme, in Spanien gibt es 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit, die wird man auch nicht wegkriegen, indem man jetzt einfach neue Ausgabenprogramme auflegt, sondern ...

Hatting: ... Herr Fuest, lassen sie mich, Entschuldigung, lassen sie mich einen Aspekt herausgreifen, den Sie genannt haben: Sie haben davon gesprochen, dass man die Banken unterstützen müsste mit Geld. Woher soll das kommen?

Fuest: Das kommt darauf an. In gewissem Umfang kann Spanien das selbst tun, das wird derzeit auch geplant. Es kann aber sein, dass das nicht ausreicht und dass Europa helfen muss. Dann müsste das Geld aus den Rettungsschirmen kommen. Das geht allerdings nur, wenn Spanien dann auch einen Teil seiner Souveränität im Bankensektor, also im Bereich der Bankenaufsicht an die europäische Ebene abgibt. Und da ist das Land sehr zögerlich.

Hatting: Sie haben jetzt das Beispiel Spanien genannt. Wenn wir nach Griechenland gucken, dort liegt die Wirtschaft trotz des Sparprogramms am Boden. Sie haben aber gleichzeitig gesagt, neue Wachstumsprogramme, staatliche zumindest, seien der falsche Weg. Aber wie kommt Griechenland dann trotzdem auf die Beine?

Fuest: Griechenland ist ein besonders krasser Fall eines Landes, in dem sich der Staat und der private Sektor zu hoch verschuldet hat. Und auch da wird man nicht drum herumkommen, Lohnsenkungen durchzuführen, auch im öffentlichen Sektor die Ausgaben weiter zu senken. Das dauert einfach, bis sich die Lage da stabilisiert.

In Griechenland kommt das Problem hinzu, dass sehr, sehr große Unsicherheit über die Zukunft herrscht. Das heißt, ganz wichtig wäre es, dass da überhaupt erst mal Klarheit herrscht: Ist man bereit, das Sparprogramm, das von Europa und dem IWF vorgeschrieben worden ist im Gegensatz für die Hilfen, ist man bereit, diesen Weg weiter zu gehen? Denn nur, wenn die Zukunft Griechenlands klar ist in diesem Sinne, werden auch Investoren überhaupt nachdenken, wieder zurückzukehren in das Land.

Das heißt, ein ganz wichtiger Faktor für Wachstum ist, dass die Unsicherheit nicht zu groß ist, sonst warten Investoren ab, bevor sie investieren, und auch Konsumenten, bevor sie Anschaffungen machen. Also, der Unsicherheitsfaktor, der ist in Griechenland besonders groß und der müsste mal zuerst beseitigt werden.

Hatting: Das heißt, da brauchen wir eine neue Regierung, darauf warten wir noch. Ende Mai ist es so, dass die EU-Staats- und -Regierungschefs sogar einen Sondergipfel zum Thema Wachstum abhalten wollen. Kommissionspräsident Barroso bastelt schon seit Wochen an verschiedenen Maßnahmen, die Rede ist auch von Wachstumsbonds. Was genau bedeutet das und wo soll das Geld herkommen?

Fuest: Ja, da ist die Überlegung, dass man in Europa Bonds ausgibt, für die man vielleicht gemeinsam haftet.

Hatting: Also doch die Euro-Bonds?

Fuest: Ja, eine Form von allerdings sehr beschränkten Euro-Bonds, und dass man damit dann europäische Projekte finanziert. Im Grunde braucht man diese Euro-Bonds nicht, man kann etwa auch die Mittel der Europäischen Investitionsbank, das ist eine staatliche Bank, etwas aufstocken, und damit will man dann Projekte finanzieren wie zum Beispiel grenzüberschreitende Verkehrswege oder grenzüberschreitende Energie- und Kommunikationsnetze in Europa. Da, wo die fehlen, ist das auch eine gute Sache, man soll sich davon nur nicht zu viel versprechen. Denn um solche Investitionsprojekte zu finden, muss man eben wirklich produktive Möglichkeiten haben, das heißt, man muss Fälle finden, in denen die wirklich nützlich sind und fehlen, diese Netze.

Und außerdem muss man sehen, dass es natürlich dauert, bis man da wirklich anfängt. Man muss ja erst mal einen Bauantrag stellen, dann muss es eine Baugenehmigung geben, dann gibt es in der Regel Widerstände von Menschen, die dann dort wohnen, wo eben die Stromtrasse hin soll oder die neue Autobahn. Also, das dauert einfach Zeit.

Hatting: Heute werden wir erfahren, wie hoch die Steuereinnahmen bei uns bis 2016 werden. Mögliche Überschüsse will die Bundesregierung für Steuersenkungen ausgeben. Sie beraten das Bundesfinanzministerium, halten Sie diesen Schritt für richtig?

Fuest: Letztlich ist es natürlich eine politische Entscheidung, ob man jetzt etwas mehr Steuern senkt oder ob man etwas mehr ausgibt oder auch die Schulden stärker abbaut. Ich glaube, das ist so lange akzeptabel, wie der Pfad, der durch die Schuldenbremse in Deutschland vorgegeben ist, wie dieser Pfad eingehalten wird. Und diese Schuldenbremse sagt, ja, das Defizit in Deutschland muss schrittweise auf Bundesebene bis 2016 reduziert werden auf annähernd null, und solange man sich in diesem Rahmen bewegt, denke ich, ist das in Ordnung.

Hatting: Clemens Fuest, Wirtschaftsprofessor an der Universität Oxford und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates des Bundesfinanzministeriums, vielen Dank für das Gespräch, Herr Fuest!

Fuest: Ich danke Ihnen, Herr Hatting!

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