Ökonom über Schaffung von Wohnräumen

Neue Wohnungen dort, wo vorher gearbeitet wurde

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Früher Gewerbe - künftig Wohnungen - große Potentiale für Wohnraum auf Gewerbeimmobilien.
Früher Gewerbe - künftig Wohnungen - große Potentiale für Wohnraum auf Gewerbeimmobilien. © Zentralbild
Karsten Tichelmann im Gespräch mit Nicole Dittmer · 27.02.2019
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Weil sich die Arbeitswelt verändert, sollten frühere Gewerbe-Immobilien auch verändert werden - etwa durch den Umbau zu Wohnungen. Hier sei das Potenzial in vielen Städten riesig, sagt der Ökonom Karsten Tichelmann.
Wohnen in Kirchen, über Discountern oder in ehemaligen Parkhäusern - all das sind Alternativen zum klassischen Wohnungsaus- und Wohnungsneubau, die angesichts des aktuellen Wohnraummangels in Deutschland für eine Entlastung sorgen würden. Das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie, die den potenziellen Wohnraum über oder in bestehenden Gebäuden in Deutschland ermittelt hat. Hier könnten ohne zusätzliches Bauland zwischen 2,3 und 2,7 Millionen Wohnungen entstehen, heißt es in der nun vorgestellten Studie der Technischen Universität Darmstadt und des Pestel Instituts Hannover.
Karsten Tichelmann, einer der Autoren dieser Studie, betont im Deutschlandfunk Kultur, dass hier "im Fokus stand die Nutzung von Nichtwohngebäuden sowie Fehlflächen". Es sei hier nicht nur darum gegangen, Wohnungen in bestehenden Gebäuden einzurichten oder anzulegen, sondern "integrative Konzepte" zu prüfen, also zu überprüfen: "Kann der Discounter zusammen mit Wohnungen auf dem gleichen Grundstück seine Flächen beibehalten? - Und: Ja, da gibt es sehr gute Ansätze und das Potential dafür ist riesig groß!"

Neue Qualität durch Umnutzung und Neunutzung

Umsetzbar sei etwa sehr gut das Anlegen von Wohnungen in Gewerbe-Immobilien, die ohnehin bereits in sogenannten Mischgebieten lägen, erklärt Tichelmann: "Wenn wir Bürogebäude - vor allem die Leerstände, die wir an Bürogebäuden haben - betrachten, dann kommen wir schon auf eine gigantische Summe von einer Größenordnung von 350.000 Wohneinheiten." Und hinzu käme dann die Möglichkeit, Wohnungen auf diesen Gebäuden zu erreichten, sagt Tichelmann: "Auf diesen Büro- und Verwaltungsgebäuden könnten noch einmal weitere 560.000 Wohneinheiten entstehen, auf Parkhäusern noch einmal weitere 20.000."
Laut Tichelmann geht es hierbei nicht nur allein um eine hohe Zahl an neuen Wohnungen: "Es ist ein Konzept, um auch das Stadtbild zu verbessern, die Qualität, bauliche Qualität in den öffentlichen Raum einzubringen, weil etwa diese klassischen Einzelhandelsflächen mit den eingeschossigen Typenbauten keine hohe Qualität aufweisen." In hochverdichteten Städten, etwa in den Kernlagen von Wien oder Basel, fänden sich solche Gebäudetypen, wie es sie hier in Deutschland gibt, gar nicht. "Dort finden sie dafür sehr attraktive Innenstädte mit einer hohen Qualität." Solch eine Nutzung, Umnutzung oder Neunutzung könne schon jetzt eine Lösung sein für Städte, die noch nicht solch einen großen Mangel an Wohnungen aufweisen.

Unterstützung durch Förderung der Umnutzung

Voraussetzung für eine Umsetzung dieses Konzeptes, also die intensive Um- und Neunutzung von Gebäuden für neue Wohnungen sei aber eine Änderung der Rahmenbedingungen, betont Tichelmann: "Zum einen muss hier verstanden werden, dass Gemeinden und Kommunen einen Druck aufbauen müssen, dass diese Maßnahmen auch in der Immobilienentwicklung passieren, statt ständig neues Bauland auszuweisen, um neue Flächen zu versiegeln, um uns so noch weiter von diesem 30-Hektar-Ziel unseres Klimaschutzplans zu entfernen." [Die Bundesregierung hat dieses Ziel für den Zeitraum bis 2030 als tägliches Höchstmaß des Flächenverbrauchs festgelegt - Anm. d. R.] Doch dafür brauche es Unterstützung, etwa eine schnellere steuerlichen Abschreibung des Immobilienwerts für die Investoren oder vergünstigte, also durch eine Förderung leichter zu finanzierende Kredite. Ein Großteil des Potentials könne dann in den nächsten fünf bis zehn Jahren aktiviert werden.
(sru)
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