Ökonom fordert Lastenausgleich

Harald Spehl im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 14.12.2011
Der Volkswirt Harald Spehl spricht sich dafür aus, dass diejenigen eine Vermögensabgabe zahlen sollten, die in den vergangenen Jahren am meisten von der positiven Entwicklung in Deutschland und in der EU profitiert hätten. Dies könne über einen Zeitraum von 30 Jahren geschehen.
Jan-Christoph Kitzler: In dieser Krise macht Deutschland bisher eine recht gute Figur, das sagen auch viele aus dem Ausland, zum Beispiel was die Arbeitslosigkeit angeht. Aber schaut man auf andere Zahlen, dann steht unser Land nicht viel besser da als andere: Deutschland ist hoch verschuldet, genauer gesagt sind es über zwei Billionen Euro, mit denen Deutschland in der Kreide steht, oder 25.500 Euro jeder Deutsche, vom Baby bis zum Greis.

Diese Schulden sind so hoch, dass jedes Jahr mindestens 50 Milliarden Euro für die Zinsen fällig werden, Geld, das wir anderswo gut gebrauchen könnten, und diese Schulden, sie sind so hoch, dass wir nie wieder davon loskommen werden. Oder? Doch, das geht, meinen einige, und zwar sogar relativ schnell: Die Lösung heißt Lastenausgleich, und darüber, über dieses Wundermittel, spreche ich jetzt mit dem Volkswirtschaftler Harald Spehl, bis 2007 war er Professor an der Universität Trier. Schönen guten Morgen!

Harald Spehl: Guten Morgen, Herr Kitzler!

Kitzler: Erst mal müssen wir diese revolutionäre Idee erklären. Wie funktioniert denn so ein Lastenausgleich, für den auch Sie sich aussprechen?

Spehl: Die Idee ist ja gar nicht revolutionär, wir haben das in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg schon einmal durchgeführt, und die Frage ist, ob wir heute das Bewusstsein haben, dass wir vor einer ähnlich großen Krise stehen wie nach dem Zweiten Weltkrieg. Ich bin davon überzeugt.

Kitzler: Und wie würde es funktionieren konkret?

Spehl: Es hat damals so funktioniert, dass man gesagt hat, dass alle die, die vom Krieg nicht so geschädigt worden sind wie die anderen, mit einer Vermögensabgabe belegt werden. Diese Vermögensabgabe wurde mit 50 Prozent des Vermögens festgelegt mit Stichtag der Währungsreform.

So kann man natürlich nicht jedem die 50 Prozent seines Vermögens wegnehmen, ohne dass die Wirtschaft zusammenbricht. Deshalb hat man gesagt: Diese Belastung wird über 30 Jahre mit vierteljährlichen Zahlungen getilgt. Und das ist geschehen, und die Mittel, die dafür eingegangen sind, sind verwendet worden, um denen, die alles verloren hatten, den Flüchtlingen und denen, die durch die Währungsreform 90 Prozent ihres Vermögens verloren hatten, einen Ausgleich zu geben.

Kitzler: Das heißt, analog zu dem, was in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg geschah, würden jetzt sozusagen die, die am wenigsten unter der Krise leiden, die, die am meisten haben, zahlen?

Spehl: Nicht so sehr, die am wenigsten unter der Krise leiden, die aber in den vergangenen Jahren am meisten von der positiven Entwicklung in Deutschland und der EU profitiert haben. Wenn wir uns das mal anschauen, dann haben wir ja eine Gesamtschuld in Deutschland von eben den genannten zwei Billionen, und wir sind natürlich dabei, die Neuverschuldung zurückzufahren. Das ist ja auch überall im Bewusstsein der Menschen, dass waren die Beschlüsse, die jetzt bei dem Ministerrat getroffen worden sind.

Da geht es aber immer nur um den Zuwachs der Schulden, der soll zurückgeführt werden. Das ist auch richtig, aber selbst, wenn man das tut, werden die Schulden in Deutschland bis 2020 trotz Schuldenbremse, wie das heißt, auf 2,2 Billionen anwachsen. Wir kommen also nicht von den Beständen runter, von dem Bestand der Schuld, und dieser Bestand ist ein Riesen-Risiko und eine Riesen-Belastung.

Kitzler: Mal angenommen, es gäbe jetzt eine Einigung über einen Lastenausgleich – wie schnell könnte denn Deutschland runterkommen von den großen Schulden?

Spehl: Das geht nicht schnell, wir haben ja diese Gesamtschuld, diesen Schuldenstand auch in vielen Jahren aufgebaut. Also mein Vorschlag wäre, analog zum Lastenausgleich einen Zeitraum von etwa 30 Jahren anzupeilen, damit aus den Vermögen und ihren Erträgen diese Schuld getilgt werden kann. Es geht um die Tilgung der Gesamtschuld, das ist das Wichtige.

Kitzler: Wie sehr ist denn Deutschland, wie sehr ist unser Staat eigentlich zurzeit gehemmt durch diese gigantischen Schulden?

Spehl: Na ja, wir sind gewaltig dadurch gehemmt. Wenn Sie sich den Bundeshaushalt für 2012 ansehen, dann hat allein der Bund Zinszahlungen von 38,3 Milliarden, das ist der zweitgrößte Posten im Haushalt nach Arbeit und Soziales. Und dieses Geld geht an Gläubiger und steht nicht zur Verfügung für die staatlichen Aufgaben. Führt man also die Gesamtschuld, diese zwei Billionen zurück, dann kann man sukzessive diese Zinszahlungen für andere Zwecke verwenden.

Kitzler: Wenn diese Verschuldung weg wäre, wäre dann möglicherweise auch eine andere Abhängigkeit weg, nämlich die Abhängigkeit vom Zwang, zu wachsen? Würde unsere Wirtschaft dann vielleicht auch anders funktionieren?

Spehl: Die Abhängigkeit vom Zwang, zu wachsen, wäre dadurch zumindest gemildert, aber wichtig ist, dass es eine Illusion ist, zu glauben, dass wir durch hohe Wachstumsraten von diesem Schuldenstand von zwei Billionen Euro herunterkommen. Das ist gar nicht möglich, so hohe Wachstumsraten zu erzielen, dass aus den laufenden Haushalten die Tilgung dieser Schuld erfolgt, und es ist auch keine Lösung, wie oft gesagt wird, da machen wir einfach ein bisschen mehr Inflation – das ist ein höchst gefährlicher Weg.

Kitzler: Vor allem die Reichen sollen zahlen, vor allem diese Generation würde dafür zahlen, dass Deutschland in der Vergangenheit über seine Verhältnisse gelebt hat. Ist das denn gerecht eigentlich, so ein Vorschlag, auch generationengerecht?

Spehl: Ich denke, das ist gerecht, denn diejenigen, die ein großes Vermögen haben, haben dieses durch die Entwicklung der letzten, sagen wir mal, 30 Jahre auch erworben. Wenn Sie sich die Zahlen noch mal vergegenwärtigen: Beziehen wir die Schuld auf jeden, Sie haben das gesagt, dann sind das 25.000 Euro pro Kopf der Bevölkerung.

Wenn Sie aber die Statistiken des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung nehmen, dann beträgt das Nettovermögen in Deutschland der deutschen Haushalte – das Jahr ist 2006, also vielleicht ist es noch größer geworden – etwa 6,6 Billionen Euro, das wären 88.000 Euro pro Kopf. Das heißt also, 25.000 Euro Schuld stehen 88.000 Euro Vermögen gegenüber. Nun kann man ja doch einfach mal sagen: Wie sieht denn dieses Vermögen in seiner Verteilung aus? Und da muss man sagen: 80 Prozent dieses Vermögens gehören 20 Prozent der Bevölkerung, und die restlichen 80 Prozent der Bevölkerung verfügen nur über 20 Prozent des Vermögens.

Kitzler: Jetzt kommt nur noch die Masterfrage, nämlich die, wie man einen neuen Lastenausgleich denn politisch durchsetzen will. Nicht mal die Linke wagt sich zurzeit ja mit solchen radikalen Forderungen in die Debatte.

Spehl: Die Grünen haben einen, sagen wir mal, halbherzigen Vorschlag dazu schon gemacht. Der Sachverständigenrat hat jetzt auch einen Vorschlag in ähnlicher Form als Entschuldung in der EU gemacht. Das ist aber alles immer sehr halbherzig. Es geht darum, dass man zu einem Stichtag – das kann von mir aus der 31.12.2010 sein – die Vermögensbestände feststellt, dann entsprechend dem Lastenausgleich eine Belastung dort feststellt und die dann über 30 Jahre tilgt.

Kitzler: Deutschland braucht einen Lastenausgleich zur Lösung des Schuldenproblems, das meint der Volkswirtschaftler Harald Spehl. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch!

Kitzler: Gerne!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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