Ökonom bescheinigt IWF realistische Sicht auf Eurokrise

Korbinian Frenzel im Gespräch mit Axel Dreher |
Nach Einschätzung des Ökonomen Axel Dreher sind die Empfehlungen von IWF-Chefin Christine Lagarde ein realistisches Szenario. Die Eurozone und dabei vor allem Deutschland hätten Ziele im Blick, die der Internationale Währungsfonds nicht für erreichbar halte.
Korbinian Frenzel: Es gab Zeiten, da waren die Finanzkrisen woanders: in Asien oder Argentinien. Und die mahnenden Worte und Forderungen, die kamen von uns, aus dem Westen. Der Spieß der Weltgeschichte hat sich umgedreht, die Krise, das sind wir, und die Mahnungen kommen von den anderen, allen voran von den aufstrebenden Asiaten. Internationale Bühne für dieses Schauspiel ist seit gestern die Jahrestagung vom Internationalen Währungsfonds und von der Weltbank in Tokio, und Thema ist es hier bei uns im Interview. Dazu begrüße ich Axel Dreher, er ist IWF-Experte und Professor an der Universität in Heidelberg. Guten Morgen!

Axel Dreher: Guten Morgen!

Frenzel: Schon vor dem Treffen hat der IWF ja klare Worte gesprochen, schuld am langsameren Wachstum der gesamten Weltwirtschaft sind die Europäer mit ihrer Schuldenkrise. Ist das so?

Dreher: Natürlich ist das zumindest zum Teil so. Die Europäer haben insgesamt einen sehr hohen Anteil an der Weltwirtschaft. Wenn dieser Anteil weniger wächst, wächst die Weltwirtschaft insgesamt auch weniger, das ist natürlich richtig. Allerdings gibt es auch andere Länder, die den Anteil an der Krise haben. Wenn Sie an die USA denken, sind die ja nicht ganz unbeteiligt. Auch Japan hat Probleme. Also insofern ist 'was dran, aber es ist etwas einseitig.

Frenzel: Also die alten Starken. Die Chefin des Internationalen Währungsfonds Christine Lagarde hat ja damit überrascht, dass sie den Griechen mehr Zeit einräumen will. Das sind ziemlich milde Töne des ja eigentlich immer überaus strengen IWF. Ist das eine Art Schongang für europäische Hilfesteller?

Dreher: Ich glaube, das ist die falsche Interpretation, in dem Fall besonders. Weil ja die Europäer der Meinung sind, dass dieser Schongang unangebracht ist. Das sind ja die wichtigsten Anteilseigner im IWF, die USA, die europäischen Länder, die können natürlich letzten Endes bestimmen, was passiert. Das heißt, der Vorschlag von Lagarde hier geht eigentlich in eine Richtung, die Europa gar nicht so recht ist. Da scheint mir eher zu sein, dass sie die realistische Sichtweise hat, oder der IWF die realistischere Sichtweise hat, was hier überhaupt gemacht werden kann. Es scheint mir völlig unrealistisch, dass diese kurzfristige Anpassung zum Erfolg führt. Und insofern ist es wahrscheinlich einfach eine Reaktion darauf, dass die Europäer Ziele im Blick haben, die der IWF nicht für erreichbar hält.

Frenzel: Sie haben das ja angesprochen, die wichtigsten Europäer sind dagegen, allen voran Wolfgang Schäuble. Er hat sich schon dagegen geäußert, gegen diese Vorschläge von Christine Lagarde. Da stellt sich für mich die Frage, gerade wenn man auf Deutschland blickt und seinen ja doch noch sehr traditionellen Kurs, der sich orientiert an Geldwertstabilität: Sind die Deutschen langsam allein zu Hause in dieser ganzen Frage und die Welt hat sich weiterentwickelt?

Dreher: Das würde ich nicht sagen. Also, hier geht es ja um eine ganz spezielle Frage, hier geht es ganz speziell ja auch um deutsches Geld. Und diejenigen, die bezahlen, sind natürlich dafür, beim Empfänger so viel wie möglich durchzusetzen, um sicherzugehen, dass sie ihr Geld auch zurückbekommen. Ich glaube nicht, dass man hier von einer generellen Entwicklung sprechen kann. Also, ich denke auch, dass der IWF in anderen Ländern wieder den gleichen, harten Kurs fahren wird, für den er oft kritisiert wurde.

Frenzel: Genau das ist ja ein Punkt, den auch Teilnehmer aus Schwellenländern kritisieren, dass eben bei anderen Ländern, nicht europäischen Ländern, nicht westlichen Ländern sehr hart zugegriffen wurde vom IWF. Sorgt das für Unmut im IWF, gerade bei denen, die früher Hilfe bekommen haben, die jetzt stark sind?

Dreher: Es sorgt sicher für Unmut, dass sehr, sehr hohe Summen jetzt in Europa gebunden sind. Ich weiß nicht, inwieweit diesmal diese etwas tolerantere Linie des IWF für Unmut sorgt. Was es in der Vergangenheit gegeben hat, schon in den 60ern, dass sich Entwicklungsländer lautstark beschwert haben, die einflussreicheren Länder würden eine bessere Behandlung bekommen. Das hat dann dazu geführt, das so bestimmte Mindeststandards an Bedingungen eingeführt wurden, die quasi für jedes Land gelten mussten. Und das ist jetzt ja eine besondere Situation: Man muss sich fragen, was die Rolle des IWF überhaupt sein sollte. Das ist eine ganz außergewöhnlich hohe Summe, die an Griechenland hier vergeben wird vom IWF. Das hat es noch nie gegeben in dieser Höhe. Und das sorgt natürlich für Unmut.

Frenzel: Lassen Sie uns mal auf die Aufstrebenden schauen: BRICS, das ist so eine Abkürzung, die zunehmend die Runde macht, dahinter steht Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, BRICS. Aufstrebende Ökonomien, die auch mehr Macht im internationalen Gefüge haben wollen. Ist das eine Allianz, die die Weltgewichte verschieben kann, oder sind das bisher nur Buchstaben?

Dreher: Politisch sind das bisher nur Buchstaben, was besonders daran liegt, dass sie sich untereinander keinesfalls einig sind. Es geht ja immer wieder um die Frage, wer den geschäftsführenden Direktor des IWF und den Präsidenten der Weltbank stellen soll. Da gibt es dieses Gentlemen's Agreement zwischen den Amerikanern und den Europäern: Die Amerikaner stellen den Präsidenten der Weltbank, die Europäer den geschäftsführenden Direktor des IWF. Hier könnte man sich nur andere Konstellationen vorstellen, wenn sich BRICS-Länder und andere Schwellenländer einig wären. Sie brauchen eine einfache Mehrheit im IWF, um hier das Wahlergebnis zu beeinflussen. Und die USA gemeinsam mit den Europäern, die haben diese Mehrheit, gemeinsam mit wenigen anderen Ländern. Und da gibt es zwei Probleme: Erstmal müssten sich diese Konstellationen verschieben, beispielsweise dass die USA gemeinsam mit den Schwellenländern gegen Europa wählen würden, das sehe ich noch nicht. Und das Zweite ist, dass sich diese Länder einig sein müssten. Wenn Sie sich vorstellen: In Indien, da sähe man bestimmt lieber einen europäischen geschäftsführenden Direktor als einen chinesischen, und umgekehrt. Insofern gibt es natürlich jetzt zunehmend höhere Stimmengewichte für diese Länder im IWF, auch wenn die Quotenänderung ja jetzt noch nicht ratifiziert wurde, aber es wird sich nicht grundsätzlich jetzt was verschieben in den nächsten Jahren.

Frenzel: Das heißt, Europäer und USA, die Amerikaner, bleiben bestimmt. Wird das dann vielleicht in der Folge dazu führen, dass der IWF immer weniger wichtig wird, wenn Länder wie Indien oder China sagen: 'Das ist eigentlich gar nicht unser?'

Dreher: Nun, der IWF hat ja sehr an Bedeutung verloren bis zu dieser Krise. Weil einfach niemand mehr seine Kredite haben wollte und weil es Beschwerden gab, die die Legitimation infrage gestellt haben. Das Legitimationsproblem bleibt bestehen, aber die Nachfrage der Europäer hat den natürlich wieder enorm wichtig gemacht. Insofern ist im Moment kaum vorzustellen, dass allein der Bedeutungsverlust so groß sein könnte, dass er wieder den geringen Stellenwert einnimmt, den er vor dieser Krise gehabt hat. Danach wird die Frage sein, wo die nächste Krise ist. Man hat so ein bisschen aus dem Auge verloren, dass man sich das wie eine Versicherung vorstellen kann: Man bezahlt seine Versicherungsbeiträge für den Fall, dass, wenn irgendwann eine Krise kommt, man dann eben Hilfe bekommt. Und wenn viele Jahre lang keine Krise da ist, keiner seine Kredite in Anspruch nehmen möchte, dann kommt eben die Frage: Wozu braucht man den überhaupt. Aber die nächste Krise kommt bestimmt und insofern wird er auch seine Bedeutung nicht ganz verlieren können.

Frenzel: Und diese Krise, die ist noch nicht ausgestanden. Der IWF-Tag in Tokio, Axel Dreher, Professor an der Uni Heidelberg, war das im Gespräch. Ich danke Ihnen dafür!

Dreher: Gerne!

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