Öfter mal durch die Wand

Von Natascha Pflaumbaum · 08.04.2011
Die Stücke von Roland Schimmelpfennig werden derzeit in Deutschland rauf und runter gespielt: Die großen Theater reißen sie ihm quasi aus den Händen. Nun wurde Schimmelpfennigs neuestes Stück "Wenn, dann: was wir tun, wie und warum" an den Kammerspielen des Schauspiel Frankfurt uraufgeführt.
Drei Handwerker, eine Wand, zwei Kästen Bier und ziemlich viel Putz, mit dem immer und immer wieder ein Loch gestopft werden muss. Der vierte Mann fehlt, Marek (Thomas Huber). Ihm ist etwas Schlimmes passiert oder etwas Fantastisches, vielleicht ist er auch schon tot. So ganz genau weiß das hier keiner. Die drei Männer reden aber darüber, sie reden mehr, als dass sie arbeiten, ganz verschiedene Sachen: Uli (Oliver Kraushaar) faselt immer was von "Durchbruch", Ricki (Viktor Tremmel) muss zwanghaft seinen "Fickscheiß" loswerden. Und Rudi (Michael Abendroth), der Älteste in der Runde, spricht dauernd von den Cottbussern: den Konkurrenzhandwerkern aus dem Osten, die allen das Geschäft vermiesen und sowieso überall sind – sogar im Taunus.

Drei spindeldürre Erzählstränge, an denen drei fette Geschichten hängen: eine persönliche Liebesgeschichte, eine sozialkritische Geschichte über drohende Arbeitslosigkeit (die Cottbusser), eine politische Geschichte über die Sehnsucht nach Veränderung, nach Revolution. Die werden am Ende zusammengeführt zu einem großen quasi-philosophischen Diskurs über Emanzipation, globale Gerechtigkeit, Hungersnot in Afrika, Recht auf Meinungsäußerung, Recht auf Schulbildung: der ganze Kanon der freiheitlichen demokratischen Grundrechte fein säuberlich durchbuchstabiert im jargongeschwängerten Verlautbarungsstil. Argumente gibt es kaum. Hier könnte das Stück eigentlich zu Ende sein, zweifellos ein langweiliges Ende. Doch dann taucht Marek wieder auf und erzählt von einer anderen Welt. Das ist die Geschichte, die das neue Theaterstück von Roland Schimmelpfennig "Wenn, dann: was wir tun, wie und warum" erzählt.

Das Schauspiel Frankfurt hat dieses Stück nun in seinem Kleinen Haus uraufgeführt. Regisseur Christoph Mehler setzt dafür drei Männer auf Bierkästen, zwei saufen Bier, einer arbeitet gelegentlich, jeder sondert von Zeit zu Zeit einen Satz ab, nichts passt zusammen. Nur eben, dass Marek fehlt. Das ist das einzig Eindeutige von Anfang an. Marek ist durch ein Loch in der Wand entkommen, geflüchtet oder gefallen. Er ist auf jeden Fall weg. Schleppend langsam fügen sich die Fragmente der drei Erzählungen zusammen, immer führen einen die dünnen, kurzen Sätzchen auf falsche Pfade, bis sich am Ende eine einigermaßen kohärente Geschichte ergibt.

Diese Taktik der Irritation wirkt eine gute Zeit, dann aber hängt die Geschichte durch. Für einige Momente zieht die ominöse Magie der "Wand", an der die Handwerker pausenlos herumwerkeln, alle Aufmerksamkeit auf sich: Das ist die Wand aus Shakespeares "Ein Sommernachtstraum", die die Feenwelt von der Wirklichkeit trennt. Das ist die Wand aus der Symbolwelt der Psychoanalyse: ein Symbol für Weiblichkeit, die Rückkehr in den mütterlichen Schoß. Die Wand: Das ist der Durchbruch. Durch diese Wand ist Marek also durch. Regisseur Christoph Mehler inszeniert hier einen magischen Realismus wie in einem Murakami-Roman: Das, was ist, kann faktisch so nicht sein, aber man hat gute Gründe zu glauben, dass es so ist.

In diesem irritierenden Moment taucht Marek auf. In Frankfurt kommt dieser Marek (Thomas Huber) wie Kai aus der Kiste: Er sitzt in der ersten Reihe im Parkett, steigt auf die Bühne, zieht sich nackt aus und balsamiert sich mit dem Putz ein, den Ricki zuvor angerührt hat. Dieser verputzte Marek, der sich mit dieser Putz-Putzaktion die Handwerkerwelt wieder einverleibt, erzählt nun unter vollem Körpereinsatz eine Geschichte aus dem Feenreich, in dem er zu Besuch war, und alle hören zu wie die Enkel der Oma am Kamin. Marek hat also den Durchbruch geschafft, seinen Bericht aus der anderen Welt haben alle sehnsüchtig erwartet, am Ende bringt er ihnen jedoch nicht sehr viel. Denn Marek ist in der anderen Welt gescheitert. Dennoch hat sein Feenkitsch Wirkung: Er führt allen vor Augen, dass sie doch in der besten aller möglichen Welten leben.
Schimmelpfennig ist ein Meister der superschnellen Desillusion. Dieser pompöse Showdown nach knapp zwei Stunden, den Christoph Mehler als Nackt-Monolog inszeniert, führt eben nicht zu einer Neuordnung der kleinen Handwerker-Welt. Alles bleibt so, wie es ist und war. Der einzige Vorteil ist: Man kann sich jetzt vielleicht ein bisschen besser damit arrangieren.

Am Ende wird Thomas Huber mit einem Felgenhochdruckreiniger abgespritzt. Alle haben ihren Spaß an der Wasserorgie. Sie tanzen und sind albern und merken, dass ihr pseudophilosophisches Gelaber die Welt auch nicht besser macht. Man sollte also öfter mal durch die Wand gehen, aber unbedingt zurückkommen.