Öffentliches Wünschen

Von Vera Görgen · 16.08.2005
Vor sechs Jahren hat Sheryl Oring am Berliner Bebelplatz ihre Skulptur "Writer's Block" gezeigt: Schreibmaschinen hinter Gittern, zur Erinnerung an die Bücherverbrennung durch die Nationalsozialisten 1933. Jetzt ist die amerikanische Künstlerin wieder in Deutschland. Sie sitzt an öffentlichen Plätzen in Großstädten und stellt Passanten die Frage: "Was würden Sie tun, wenn Sie Kanzler wären?"
Mädchen: "Ich würde Schlachthäuser abschaffen und dafür sorgen, dass Eltern gemeinsames Sorgerecht bekommen."

Die amerikanische Künstlerin Sheryl Oring sitzt am Hackeschen Markt in Berlin vor einer Schreibmaschine aus den fünfziger Jahren. Ihre mit Henna gefärbten dunklen Haare hat sie streng hoch gesteckt. Sie trägt Lippenstift, ein kornblumenblaues Kostüm und eine Perlenkette. Kerzengerade hält sie sich auf ihrem Hocker und tippt, was die Passanten ihr diktieren: Was sie tun würden, wenn sie Kanzler wären.

Mann: " In der Wirtschaft würde ich nahezu alle Subventionen und Förderungen streichen."

Das Klackern der Typenhebel lässt die Leute aufhorchen. Viele kommen bei ihrem kleinen Tisch vorbei und formulieren einen Brief. Ihr beflissenes Tippen vermittelt ihnen das Gefühl, dass ihre Meinung wichtig ist.

Frau: "Eine Erzieherin für 22 Kinder, Komma. Wie sollen da überhaupt die einzelnen Kinder individuell gefördert werden?"

Für ein paar Jahre hat Sheryl Oring in Berlin gewohnt, bevor sie 2003 nach New York ging. Im vergangenen Jahr ist die 39-Jährige quer durch Amerika gefahren. "I wish to say" nannte sie ihr Projekt. Überall lud sie in der Rolle der Sekretärin Menschen ein, ihr eine Botschaft an Präsident Bush zu diktieren. Am Ende hatte sie über tausend Karten getippt, die sie in einem Buch und in einer Ausstellung veröffentlichen will.

" Weil ich lange in Deutschland gelebt habe und immer wieder von den Deutschen gehört habe, wie die die Amerikaner sich vorstellen. Und ich dachte, die sind einfach ein bisschen komplexer oder komplizierter, als die Deutschen die Amerikaner vorstellen. Und um diese Meinungsunterschiede festzustellen, dachte ich, dass ich dieses Projekt mache. "

Auch der Patriot Act von Präsident Bush hat sie alarmiert – danach begann sie ihr Projekt, weil sie ein Grundrecht in Gefahr sah.

"Für mich war Schreiben und kreatives Schöpfen immer sehr wichtig. Die wichtigste Sache überhaupt: Sagen zu können, was man sagen will, ob schriftlich oder mit Kunst oder wie auch immer... Und es macht mich total böse, wenn die Regierung versucht, diese Rechte einzuschränken. Es macht mich wirklich wütend."

Ihre Abscheu vor Zensur hat die Amerikanerin auch zu einem Werk inspiriert, mit dem sie 1999 in Deutschland bekannt wurde. Ihr "Writer's Block", eine Skulptur aus Schreibmaschinen in Käfigen, beschäftigt sich mit der Bücherverbrennung am Berliner Bebelplatz. Lange und hartnäckig rang sie mit dem Bezirksamt Berlin-Mitte, dann durfte sie ihr Werk für einen Tag aufbauen. Bei ihrem "I wish to say"-Projekt in den Staaten erteilten viele Stadtverwaltungen ihr Aufstellungsverbote für ihr mobiles Büro.

"Meine Reaktion darauf ist: einfach machen. Mach, mach, mach. Weil: Du findest immer einen Weg. Und wenn Leute so eine Blockade dahin stellen, gibt es immer einen Weg dahinter oder dadurch zu kommen. "

Sheryl Oring hat Journalistik studiert. Bevor sie Künstlerin wurde, hat sie als Redakteurin gearbeitet, unter anderem bei der New York Times. Als Lokalreporterin ging sie ihrer Neugier auf Menschen nach – so wie als Künstlerin.

" Die Leute reagieren sehr anders auf die Art und Weise, wie ich mit ihnen spreche, als wenn ich zum Beispiel eine Journalistin wäre und einfach auf die zugehen würde, mit Mikrofon und alles, weil ich schaffe so eine Atmosphäre mit meine Schreibtisch und alles, die sehr intim ist. "

Am Berliner Hackeschen Markt hat sie alle Hände voll zu tun: Viele teilen sich ihr mit. Das ist erstaunlich, denn Sheryl Oring wirkt streng und konzentriert und sie hat wenig Augenkontakt zu ihrem Gegenüber. Ihre Sekretärinnen-Rolle wirkt wie eine Maske.

" Ich glaube, Leute sind einfach nicht daran gewöhnt, dass jemand richtig zuhört. Es gab auch Leute, die das zu eine Art Therapie verglichen haben. Es ist schon anstrengend, diese ganze Emotionen auf mich zuzunehmen, das ist anstrengend."