Öffentlicher Nahverkehr in Augsburg und Bonn

Zwei Städte wollen klimafreundlich werden

Straßenbahn der Augsburger Verkehrsgesellschaft
Die Augsburger "Mobil-Flat" gilt auch in Straßenbahnen. © imago / Rüdiger Wölk
Von Claudia Hennen · 30.04.2019
Nahverkehr, Carsharing, Leihfahrräder: Die Augsburger Stadtwerke bemühen sich um Klimafreundlichkeit, zum Beispiel mit einer Mobil-Flat. Bonn ist als "Lead City" Modellstadt für sauberen Luft- und Nahverkehr. Wie gut funktioniert das in der Praxis?
"Die Straßenbahn kommt alle drei Minuten. Wenn man mal eine verpasst hat, ist gleich die nächste da." Viele Augsburger sind zufrieden mit ihrem Nahverkehr: "Kurze Wartezeiten, wirklich gut." - "Also, ich hab 'ne Dauerfahrkarte."
Die Stadtwerke bemühen sich seit vielen Jahren um Klimafreundlichkeit. Schon vor einem Jahrzehnt stellten sie ihre gesamte Busflotte auf Biogas um. Aktuell testen sie eine sogenannte "Mobil-Flat", ein Monats-Kombiticket für den Nahverkehr, Carsharing und Leihfahrräder - alles unter einem Dach, von einem städtischen Anbieter. Der selbständige PR-Berater Alexander Görbing testet die Flat seit einem halben Jahr. Heute muss er dringend nach Donauwörth:

"Am liebsten fahre ich mit Elektroautos", sagt er. "Da gibt es einen BMW i3, der ist auch sehr klein, da bekommt man immer einen Parkplatz. Hier in der Stadt würde ich immer kleine Autos nehmen, für größere Strecken auch mal größere Fahrzeuge."
Auf seinem Smartphone öffnet Alexander Görbing die Carsharing-App und scrollt durch das Fahrzeugangebot. Der PR-Berater nutzt vor allem die klimafreundlichen Fahrzeuge:

"Jetzt kann ich auf buchen klicken. Jetzt wird mir alles bestätigt. So jetzt warte ich einen Moment, dann kann ich die Tür öffnen."

75 Euro monatlich für die "Mobil-Flat"

Auch Hybrid-Fahrzeuge kommen für ihn in Betracht:
"Ja, ich versuche entweder die Elektro- oder Hybridfahrzeuge zu nehmen, wenn sie zur Verfügung stehen."
75 Euro kostet die Test-"Mobil-Flat" im Monat, 30 Stunden Carsharing sind darin enthalten. Außerdem ein Leihfahrrad - beliebig oft am Tag nutzbar - maximal eine halbe Stunde. Mit dem Carsharing kommt Görbing gut hin.
"Da ich nicht so regelmäßig unterwegs bin mit dem Auto, war das Car-Sharing die bessere Alternative, als sich ein eigenes Auto zu holen. Der auslösende Faktor waren die Elektrofahrzeuge. Und selbst sich darin zu versuchen: Kommst du ohne Auto hin? Das ist eine Art Selbsttest."

Alexander Görbing mit einem Wagen, den die Augsburger Stadtwerke als Carsharing anbieten. 
Alexander Görbing testete das Carsharing-Angebot der Augsburger Stadtwerke.© Deutschlandradio / Claudia Hennen
Zufrieden kehrt der Augsburger wenig später vom Kundenbesuch zurück. Für ihn steht fest: es geht ohne Privat-Pkw.
"Ich halte Sharing-Modelle für die zukunftsweisenden Modelle", meint er. "Wenn man sich in seinem persönlichen Leben ein wenig darauf einstellt. Es spart Geld. Es hat noch den positiven Aspekt, dass es die Umwelt schont. Da teilen sich fünf Leute ein Auto, anstatt fünf Fahrzeuge vor der Haustür zu haben."

Etwas mehr Planung ist notwendig

Trotzdem muss Görbing seinen Berufsalltag anders organisieren. Es braucht etwas Vorlauf und Planung. Kein Problem für den gebürtigen Rheinländer:

"Meine Erfahrung ist, dass die Termine selten vom Himmel fallen. Man hat 24 Stunden und mehr Vorwarnzeit. Da ist man mit einem Buchungssystem schon bestens aufgestellt. Man kann auch im Notfall die Buchung stornieren."
Görbings Mobilitätsverhalten hat sich durch die Mobil-Flat bereits verändert:
"Ich hatte mich ja bewusst für das Carsharing entschieden und die anderen Leistungen mitgenommen. Tatsächlich fahre ich jetzt mehr Bus und Bahn."
Das ist genau die Wirkung, die sich die Augsburger Stadtwerke erhoffen: Umsteiger vom Privat-Pkw zum ÖPNV. Sie werten die Verkehrsnutzung ihrer 100 Testpersonen genau aus. Walter Casazza, der Geschäftsführer der Stadtwerke, freut sich über die bisherigen Erkenntnisse:
"Ein exzessives Nutzen von Carsharing findet gar nicht statt bei den Kunden. Das hat sich wunderbar eingependelt. Der Durchschnitt unserer Testkunden liegt deutlich unter 20 Stunden. Und am Ende des Jahres wollen wir die Mobil-Flat ausrollen und für alle Kunden anbieten."

Kostenlose Nahverkehrszone in der City

Die Augsburger Stadtwerke gehen noch einen Schritt weiter. Ende des Jahres wird es eine kostenlose Nahverkehrszone in der Innenstadt geben, die City-Zone, sie umfasst insgesamt acht Stationen. Eine Premiere in einer deutschen Großstadt.
"Der Auslöser war natürlich, dass wir auch beim Thema Luftreinhaltung in Augsburg was zu erledigen haben. Das heißt diese Fahrten von einem zum anderen Eck in der Innenstadt soll kostenlos von statten gehen. Ich glaube, dass es ein Impuls ist für Autofahrer, überhaupt den öffentlichen Nahverkehr richtig wahrzunehmen und sich an diese Mobilitätsform auch zu gewöhnen. Unser Ziel ist es immer, hart gesottene Autofahrer aus dem Pkw rauszubringen in den öffentlichen Verkehr."
Anders als in Augsburg wurde in vielen deutschen Städten in den öffentlichen Nahverkehr jahrelang nicht ausreichend investiert. Beispiel Bonn: Der Busbahnhof neben dem Hauptbahnhof ist heruntergekommen. Einst als Provisorium angelegt, ist seit Jahrzehnten nichts mehr daran gemacht worden. Hier treffe ich den Verkehrsexperten Rainer Bohnet, Vorsitzender des Verkehrsclub Deutschland im Kreisverband Bonn-Rhein-Sieg.
"Ein neuer Busbahnhof wird seit 15 Jahren in Bonn geplant. Die Betonung liegt auf geplant", sagt er. "Es passiert schlicht und einfach nichts. Und man investiert hier nichts mehr, weil man der Meinung ist, da kommt ein neuer ZOB. Wenn man die Gegenfrage stellt, wann kommt er denn, dann bekommen Sie keine Antwort."
Folge der vernachlässigten Infrastruktur: Die Aufenthaltsqualität lässt zu wünschen übrig. Kommt hinzu, dass nebenan der Hauptbahnhof umgebaut wird, eine riesige Baustelle. Leider habe die Stadt versäumt, einen Bahnhofsvorplatz zu planen, beklagt Bohnet:
"Bonn ist eine der wenigen Großstädte in Deutschland, die keinen Bahnhofsvorplatz haben. Wenn Sie aus dem Bahnhof herauskommen, fallen Sie im wahrsten Sinne des Wortes auf eine Hauptverkehrsstraße. Das wird jetzt durch den Neubau vor dem Hauptbahnhof nicht verbessert, Aufenthaltsqualität hat bei den Planungen hier nie eine Rolle gespielt …"

Bonn erhält als "Lead City" 40 Millionen Euro vom Bund

Bonn bekommt als eine von fünf deutschen Städten fast 40 Millionen vom Bund, um als so genannte "Lead City" - als Modellstadt für saubere Luft - den Nahverkehr anzukurbeln. Innerhalb kürzester Zeit hat die Bundesstadt ein Maßnahmenpaket geschnürt. Allerdings sind von ursprünglich 60 Ideen nur drei übrig geblieben: Taktverdichtungen, eine neue Buslinie und vor allem: ein 365-Euro-Ticket. Ein Schnellschuss, schlampig umgesetzt, moniert der Verkehrsexperte:
"Ein Riesenbatzen Geld. Man hat in einem desaströsen Kraftakte Projekte entwickelt, um die 38 Millionen sinnvoll zu investieren. Was dabei herausgekommen ist, da habe ich erhebliche Zweifel. Dieses 365-Euro-Ticket ist suboptimal. Weil es nur für Neukunden und nur im Bonner Stadtgebiet gilt. Man kann es also nicht mit anderen Tickets im Umland kombinieren."
Nur rund ein Viertel der insgesamt 17.000 365-Euro-Tickets wurden bislang verkauft. Das auch Klimaticket genannte Angebot - ein Ladenhüter?
Das will Stadtwerke-Sprecherin Veronika John nicht gelten lassen:
"Wir bewerten das anders", sagt sie. "Wir haben ja zwei Jahre Zeit, diese 17.000 Tickets zu verkaufen. Es ist natürlich eine hohe Zahl, man legt sich aber auch als Kunde für ein Jahr fest."

Warum gilt das Ticket nur für Neukunden?
"Es geht ja darum, zusätzlich Fahrgäste zu gewinnen. Hinzukommt, dass es nur für die Stadt gilt. Für viele Pendler ist das nicht attraktiv."

25 Jahre lang wurde nicht ein Meter Schiene gebaut

Auch die weiteren Maßnahmen für eine saubere Stadt laufen mau an: Erst im Sommer sollen Buslinien enger getaktet werden. Expressspuren auf viel befahrenen Straßen oder Umrüsten auf Elektromobilität? Fehlanzeige. Zuletzt testeten die Stadtwerke sechs E-Busse einer deutschen Firma, doch die konnten nicht dauerhaft eingesetzt werden, da die Batterieleistung zu wünschen übrig ließ. Dennoch halte man an der Umrüstung fest, erklärt Verkehrsdezernent Helmut Wiesner:

"Wir haben festgestellt, dass das Setzen auf E-Busse für Bonn das vernünftige System ist. Sie haben die Marktlage angesprochen. Wenn wir qualitätsvolle Busse einsetzen wollen, müssen wir warten, bis die Industrie liefert. Wir gehen davon aus, dass wir das nicht bis 2020 oder 2025, sondern sukzessive erst bis 2030 schaffen."

2030 – wird da nicht die Verkehrswende verschlafen?
"Nein, die wird nicht verschlafen", widerspricht Wiesner. "Wir können die Busse nicht selber bauen, wir müssen das nehmen, was geliefert wird. Das ist das, was wir im Moment absehen können. Das Problem, das wir jetzt haben, haben sich nicht die Städte eingebrockt und auch nicht die Verkehrsbetriebe. Das hat uns die Autoindustrie eingebrockt. Hier ist gepfuscht worden, und uns als Kommunen gibt man nun die Verantwortung. Das ist nicht okay."
Autoindustrie hin- oder her: Wenn Investitionen versäumt wurden, rächt sich das in Zeiten von Diesel-Fahrverbot und Feinstaub-Alarm. In der selbsternannten Klima-Stadt Bonn wurde in 25 Jahren nicht ein Meter Schienenweg im Nahverkehr ausgebaut.
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