"Öffentliche Entschuldigung war fällig"
Für den ehemaligen ARD-Studioleiter in Bonn, Friedrich Nowottny, sind die Äußerungen von Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU) gegenüber seinem Parteikollegen Wolfgang Bosbach Ausdruck einer großen Angst und Unsicherheit in der Regierungskoalition.
Marcus Pindur: "Wenn du die Hitze nicht aushältst, dann verschwinde aus der Küche" – das sagte der amerikanische Präsident Truman vor mehreren Jahrzehnten, und er meinte damit: Politik ist ein Geschäft, in dem es viel Druck gibt, und in dem auch mal unschöne Worte fallen. Kanzleramtsminister Profalla soll dem Vernehmen nach ein paar sehr unschöne Worte gegenüber dem CDU-Innenexperten Bosbach fallen gelassen haben, der wollte nämlich nicht für den Euro-Rettungsschirm EFSF im Bundestag stimmen, und da fielen eben die besagten unschönen Worte. Das ist allerdings nicht das erste Mal, dass es ein wenig ruppig wird im Parlament. Wir haben einmal tief ins Archiv gegriffen und Ihnen ein paar Beispiele herausgesucht.
Ich begrüße jetzt einen langjährigen Beobachter der bundespolitischen Szene, Sie kennen ihn alle vom Bericht aus Berlin beziehungsweise vielleicht auch noch vom Bericht aus Bonn, Friedrich Nowottny. Guten Morgen, Herr Nowottny!
Friedrich Nowottny: Hallo, ich grüße Sie!
Pindur: Das war ein schöner Einstieg, oder?
Nowottny: Ja, ich muss schon sagen, es war ein schöner Einstieg, und dieser Einstieg gab wieder, was sich im Parlament abspielen kann, wenn das Thema stimmt, wenn es kontroverse Situationen gibt, und davon gibt es im Deutschen Bundestag eben immer weniger. Man ist milde geworden im Umgang miteinander, und man versucht, in schwierigen Zeiten auch die Konsenssoße über alles zu gießen. Dann fallen eben Ausrufe wie "Mörderbande", "Schweinehunde, anderes seid ihr nicht" – Franz Josef Strauß in einer Sitzung –, oder um sich zu steigern folgte dann noch der Begriff "Wortführer einer Mörderbande" und ... Ach du meine Herren, Sie können sich nicht vorstellen, was alles los war. Ich muss sagen: Wenn die Themen stimmen, und wenn die Kontroverse so ist, dass der Wähler auch die Möglichkeit hat, zu unterscheiden, wer was will – was heute immer schwieriger wird –, dann ist es eben heiß in der Küche.
Pindur: Also war das, was Profalla da an Fäkalsprache gegenüber seinem Parteifreund Bosbach gebraucht hat, irgendwie auch nur ein ziemlich normaler Umgang in einer sehr schwierigen politischen Situation?
Nowottny: Na ja, also ich würde das aus zwei Blickwinkeln beurteilen. Erstens: Es fand ja nicht im Parlament statt, es fand außerhalb der Sitzung statt. Im Parlament hätte es eine scharfe Rüge des Präsidenten gegeben, ganz ohne Zweifel. Das fand ja als Gespräch unter Parteifreunden statt, wenn Sie so wollen. Ich kann nur sagen: Da haben sich ja die beiden Herren geeinigt. Und offen geblieben – und das findet in der ganzen Diskussion nicht mehr statt – ist ja doch der zweite Teil der Äußerung von Herrn Profalla, in dem er im Grunde genommen das Grundgesetz als "Scheiß" – Entschuldigung – bezeichnet: "Geh mir doch mit deinem Scheiß weg" oder "Ich kann es nicht mehr hören" oder so ähnlich. Diese Vokabel auf das Grundgesetz gemünzt ist eine nicht nur verbale Unverschämtheit, das ist mehr, und das muss klargestellt werden. Das spielt in der Diskussion überhaupt keine Rolle mehr.
Pindur: Also Sie hatten den Eindruck, dass Profalla tatsächlich Grund hatte, sich auch öffentlich zu entschuldigen, wie er das gestern getan hat?
Nowottny: Gut, diese öffentliche Entschuldigung war fällig, nachdem die Öffentlichkeit informiert worden war über all das, was er gesagt hatte, und das ist ja schlimm genug.
Pindur: Die polemischen O-Töne, die wir gerade eingespielt haben aus Bundestagsdebatten – Herbert Wehner hat ja allein, wie ich nachgeschlagen habe, 58 Verwarnungen bekommen –, ...
Nowottny: Er sammelte Zwischenrufe, wie andere Briefmarken sammeln.
Pindur: Er führt damit auch nach wie vor die ewige Bestenliste an. Diese Zwischenrufe, die richteten sich ja an den politischen Gegner. Hier ist es aber in einer politischen Freundesrunde passiert. Was sagt uns das aus über den Zustand dieser Koalition?
Nowottny: Na ja, gut, das ist interpretationsfähig. Ganz ohne Zweifel hat sich die Koalition selbst unheimlich unter Druck gesetzt in den letzten Wochen vor dem letzten Donnerstag, vor der Abstimmung über den Euro-Rettungsschirm und die Erweiterung des Rettungsschirms. Sie hat sich unter Druck gesetzt, weil sie Angst hatte, dass die Koalition nicht reichen würde, dass es zu viele Abweichler geben würde und dass die Bundeskanzlerin am Ende die Kanzlermehrheit oder die Kanzlerinnenmehrheit nicht bekommen würde. Ich halte das alles für Psychoangst. Die Leute haben sich selbst Angst gemacht, um zusammenzustehen. Bosbach war da von einer unglaublichen Standfestigkeit, und diese Standfestigkeit, die hat eben sein Parteifreund Profalla auf diese, wie ich finde, schäbige Art und Weise gerügt.
Pindur: Wie schaut das denn aus, also vergiftet dieser Gebrauch von sehr handfester Polemik – so unterhaltsam das auch manchmal sein kann –, vergiftet das nicht das politische Klima, dass hinterher keine konstruktive Zusammenarbeit mehr möglich ist?
Nowottny: Das sind Schrittchen, die dazu führen, kleine Schritte, die am Ende dazu führen können, dass Zusammenarbeit notleidend wird. Ich meine, ich erinnere Sie an Vokabeln wie "Schleimer", "Verleumder", "feixende Meute", "Ganoventum", "Sumpfblüte" oder die Verbalhornung von Namen, Wohlrabe als "Übelkrähe" zu bezeichnen, was nur eine Bezeichnung war.
Pindur: Todenhöfer als "Hodentöter".
Nowottny: Ja, also da gab es reichlich. Das führt natürlich dazu, dass die Gräben zwischen den Menschen, die sich auf diese Art und Weise im Bundestag herumschlagen und auch den Parteien tiefer werden. Die jeweiligen Präsidenten haben eine schwierige Aufgabe. Ich erinnere mich, ich habe das mal rausgekramt: Am 24., 25. November 1949 ist der wohl erste tief greifende Zwischenruf gemacht worden von Kurt Schumacher, der war damals Oppositionsführer, ein kämpferischer Mann, ein (…), von den Nazis verfolgter Mann, der Konrad Adenauer als "Kanzler der Alliierten" bezeichnete und für 20 Sitzungstage aus dem Parlament ausgeschlossen worden ist.
"Kanzler der Alliierten" war damals eine tödliche Beleidigung, auch wenn es darum ging, die ersten Anzeichen der Normalität parlamentarischer Arbeit herzustellen, da ging es nämlich um das Petersberger Abkommen. Wissen Sie, dies wäre eigentlich heute überhaupt kein Grund zu irgendeinem Ordnungsruf, wenn Sie mich fragen, und Herbert Wehner hätte darüber vielleicht gelacht, aber den gab es damals noch nicht.
Die kämpferische Auseinandersetzung ist in den 60er-, 70er-, 80er-Jahren größer geworden, und sie lässt – vielleicht auch mit dem Generationswechsel im Parlament – mehr und mehr nach, weil man eben bemüht ist, eine halbwegs nach außen hin den Eindruck zu erwecken, na ja, so schlimm ist es ja gar nicht mit den Unterschieden zwischen den Parteien, und vielleicht auch, weil man immer schon an die nächstmögliche Koalitionsbildung denkt.
Pindur: Vielen Dank für diese Einschätzungen, Herr Nowottny!
Nowottny: Ich danke Ihnen!
Pindur: Der langjährige Politjournalist Friedrich Nowottny zum Gebrauch von Polemik in der Politik.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Ich begrüße jetzt einen langjährigen Beobachter der bundespolitischen Szene, Sie kennen ihn alle vom Bericht aus Berlin beziehungsweise vielleicht auch noch vom Bericht aus Bonn, Friedrich Nowottny. Guten Morgen, Herr Nowottny!
Friedrich Nowottny: Hallo, ich grüße Sie!
Pindur: Das war ein schöner Einstieg, oder?
Nowottny: Ja, ich muss schon sagen, es war ein schöner Einstieg, und dieser Einstieg gab wieder, was sich im Parlament abspielen kann, wenn das Thema stimmt, wenn es kontroverse Situationen gibt, und davon gibt es im Deutschen Bundestag eben immer weniger. Man ist milde geworden im Umgang miteinander, und man versucht, in schwierigen Zeiten auch die Konsenssoße über alles zu gießen. Dann fallen eben Ausrufe wie "Mörderbande", "Schweinehunde, anderes seid ihr nicht" – Franz Josef Strauß in einer Sitzung –, oder um sich zu steigern folgte dann noch der Begriff "Wortführer einer Mörderbande" und ... Ach du meine Herren, Sie können sich nicht vorstellen, was alles los war. Ich muss sagen: Wenn die Themen stimmen, und wenn die Kontroverse so ist, dass der Wähler auch die Möglichkeit hat, zu unterscheiden, wer was will – was heute immer schwieriger wird –, dann ist es eben heiß in der Küche.
Pindur: Also war das, was Profalla da an Fäkalsprache gegenüber seinem Parteifreund Bosbach gebraucht hat, irgendwie auch nur ein ziemlich normaler Umgang in einer sehr schwierigen politischen Situation?
Nowottny: Na ja, also ich würde das aus zwei Blickwinkeln beurteilen. Erstens: Es fand ja nicht im Parlament statt, es fand außerhalb der Sitzung statt. Im Parlament hätte es eine scharfe Rüge des Präsidenten gegeben, ganz ohne Zweifel. Das fand ja als Gespräch unter Parteifreunden statt, wenn Sie so wollen. Ich kann nur sagen: Da haben sich ja die beiden Herren geeinigt. Und offen geblieben – und das findet in der ganzen Diskussion nicht mehr statt – ist ja doch der zweite Teil der Äußerung von Herrn Profalla, in dem er im Grunde genommen das Grundgesetz als "Scheiß" – Entschuldigung – bezeichnet: "Geh mir doch mit deinem Scheiß weg" oder "Ich kann es nicht mehr hören" oder so ähnlich. Diese Vokabel auf das Grundgesetz gemünzt ist eine nicht nur verbale Unverschämtheit, das ist mehr, und das muss klargestellt werden. Das spielt in der Diskussion überhaupt keine Rolle mehr.
Pindur: Also Sie hatten den Eindruck, dass Profalla tatsächlich Grund hatte, sich auch öffentlich zu entschuldigen, wie er das gestern getan hat?
Nowottny: Gut, diese öffentliche Entschuldigung war fällig, nachdem die Öffentlichkeit informiert worden war über all das, was er gesagt hatte, und das ist ja schlimm genug.
Pindur: Die polemischen O-Töne, die wir gerade eingespielt haben aus Bundestagsdebatten – Herbert Wehner hat ja allein, wie ich nachgeschlagen habe, 58 Verwarnungen bekommen –, ...
Nowottny: Er sammelte Zwischenrufe, wie andere Briefmarken sammeln.
Pindur: Er führt damit auch nach wie vor die ewige Bestenliste an. Diese Zwischenrufe, die richteten sich ja an den politischen Gegner. Hier ist es aber in einer politischen Freundesrunde passiert. Was sagt uns das aus über den Zustand dieser Koalition?
Nowottny: Na ja, gut, das ist interpretationsfähig. Ganz ohne Zweifel hat sich die Koalition selbst unheimlich unter Druck gesetzt in den letzten Wochen vor dem letzten Donnerstag, vor der Abstimmung über den Euro-Rettungsschirm und die Erweiterung des Rettungsschirms. Sie hat sich unter Druck gesetzt, weil sie Angst hatte, dass die Koalition nicht reichen würde, dass es zu viele Abweichler geben würde und dass die Bundeskanzlerin am Ende die Kanzlermehrheit oder die Kanzlerinnenmehrheit nicht bekommen würde. Ich halte das alles für Psychoangst. Die Leute haben sich selbst Angst gemacht, um zusammenzustehen. Bosbach war da von einer unglaublichen Standfestigkeit, und diese Standfestigkeit, die hat eben sein Parteifreund Profalla auf diese, wie ich finde, schäbige Art und Weise gerügt.
Pindur: Wie schaut das denn aus, also vergiftet dieser Gebrauch von sehr handfester Polemik – so unterhaltsam das auch manchmal sein kann –, vergiftet das nicht das politische Klima, dass hinterher keine konstruktive Zusammenarbeit mehr möglich ist?
Nowottny: Das sind Schrittchen, die dazu führen, kleine Schritte, die am Ende dazu führen können, dass Zusammenarbeit notleidend wird. Ich meine, ich erinnere Sie an Vokabeln wie "Schleimer", "Verleumder", "feixende Meute", "Ganoventum", "Sumpfblüte" oder die Verbalhornung von Namen, Wohlrabe als "Übelkrähe" zu bezeichnen, was nur eine Bezeichnung war.
Pindur: Todenhöfer als "Hodentöter".
Nowottny: Ja, also da gab es reichlich. Das führt natürlich dazu, dass die Gräben zwischen den Menschen, die sich auf diese Art und Weise im Bundestag herumschlagen und auch den Parteien tiefer werden. Die jeweiligen Präsidenten haben eine schwierige Aufgabe. Ich erinnere mich, ich habe das mal rausgekramt: Am 24., 25. November 1949 ist der wohl erste tief greifende Zwischenruf gemacht worden von Kurt Schumacher, der war damals Oppositionsführer, ein kämpferischer Mann, ein (…), von den Nazis verfolgter Mann, der Konrad Adenauer als "Kanzler der Alliierten" bezeichnete und für 20 Sitzungstage aus dem Parlament ausgeschlossen worden ist.
"Kanzler der Alliierten" war damals eine tödliche Beleidigung, auch wenn es darum ging, die ersten Anzeichen der Normalität parlamentarischer Arbeit herzustellen, da ging es nämlich um das Petersberger Abkommen. Wissen Sie, dies wäre eigentlich heute überhaupt kein Grund zu irgendeinem Ordnungsruf, wenn Sie mich fragen, und Herbert Wehner hätte darüber vielleicht gelacht, aber den gab es damals noch nicht.
Die kämpferische Auseinandersetzung ist in den 60er-, 70er-, 80er-Jahren größer geworden, und sie lässt – vielleicht auch mit dem Generationswechsel im Parlament – mehr und mehr nach, weil man eben bemüht ist, eine halbwegs nach außen hin den Eindruck zu erwecken, na ja, so schlimm ist es ja gar nicht mit den Unterschieden zwischen den Parteien, und vielleicht auch, weil man immer schon an die nächstmögliche Koalitionsbildung denkt.
Pindur: Vielen Dank für diese Einschätzungen, Herr Nowottny!
Nowottny: Ich danke Ihnen!
Pindur: Der langjährige Politjournalist Friedrich Nowottny zum Gebrauch von Polemik in der Politik.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.