Ocean Vuong: "Auf Erden sind wir kurz grandios"

Ein Junge sucht seine Sprache

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Das Cover von Ocean Vuongs "Auf Erden sind wir kurz grandios" auf einer orange-farbenen Fläche.
Ocean Vuong thematisiert in "Auf Erden sind wir kurz grandios" seine eigene Geschichte. © Hanser Verlag / Montage: Deutschlandradio
Von Maike Albath · 27.07.2019
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Ocean Vuong schildert in seinem Debüt, was Sprache Menschen geben und ihnen nehmen kann. "Auf Erden sind wir kurz grandios" erzählt von einem Kind vietnamesischer Einwanderer in den USA, von seiner traumatisierten Familie und seinem Coming-Out.
Was heißt es, die Sprache, in die man hineingeboren wurde, langsam zu verlieren? Weder lesen noch schreiben zu können, als Erwachsener wie ein Kind zu sprechen und auch in einem neuen Land keinen Zugang zur Sprache zu finden? Was kann diese Person von sich selbst vermitteln? Offenkundig nicht viel mehr als ein Gefühl von Gefangenschaft. Vielleicht malträtiert die Vietnamesin Rose deshalb ihren kleinen Sohn mit Schlägen, sperrt ihn in den dunklen, feuchten Keller, wenn er ins Bett pinkelt, quält und bestraft ihn. Es fehlt ihr an Ausdrucksmöglichkeiten.
Dass sich der amerikanische Lyriker Ocean Vuong, 1988 in Saigon geboren, über seinen Ich-Erzähler an genau diese Mutter wendet, ihr einen Brief schreibt und damit einen Kanal wählt, der ihr selbst nicht zur Verfügung steht, ist an und für sich schon eine spektakuläre Geste. In seinem Debütroman "Auf Erden sind wir kurz grandios" bewegt sich Vuongs Alter Ego mit jedem Wort auf Rose zu - und wieder von ihr weg. Das Ergebnis ist eine fragmentierte, zerberstende Geschichte voller Ambivalenzen, in der es um Migration, Anderssein, Gewalt, Begehren, Freiheit und die heilsamen Kräfte des Erzählens geht.

Für Little Dog wird Sprache zum Haltepunkt seines Ichs

Den formalen Rahmen dieser schillernden Gedächtnisrekonstruktion bildet der Brief. Immer wieder spricht der Held die schwer schuftende Rose direkt an, dazwischen steigen Erinnerungen auf, metaphorisch aufgeladen und flankiert von Lektüresplittern von Roland Barthes, Albert Camus oder Joan Didion.
Dass der kleine Sohn, Little Dog genannt, vernünftig Englisch lernt, ist die einzige Chance für die vom Vietnam-Krieg gezeichnete Familie. Und auch für ihn selbst wird die Sprache zum Haltepunkt seines Ichs. "Einen Kuchen backen im Auge des Sturms. Sich mit Zucker nähren am Abgrund der Gefahr", schildert er die Erfahrung, wie er mithilfe einer Förderlehrerin über die Satzmelodie in ein Kinderbuch namens "Donnerkuchen" hinein gesogen wird.
Zur Familie gehören außer Rose und dem Erzähler auch noch die schwer traumatisierten Großmutter Lan, Ehefrau eines amerikanischen Soldaten, weshalb sie mit Tochter und Enkel 1990 in den USA Unterschlupf fand, und ein andernorts lebender Großvater sowie eine Tante. Rose verdingt sich in einem Nagelstudio und erleidet ein typisches Einwandererschicksal, "schmerzhaft, toxisch, unterbezahlt". Immer wieder ist es die Großmutter, die Little Dog vor den tätlichen Angriffen Roses rettet, ihn einspinnt in Geschichten aus Vietnam.

In der ersten Romanze den Schmerz umcodieren

Inmitten der Provinzödnis lernt der Held einige Jahre später bei einem Ferienjob auf einer Tabakplantage Trevor kennen und verliebt sich in ihn. Die Romanze der beiden Teenager trägt sich während der Opioidkrise zu: Drogen sind im Spiel, unzählige Freunde sterben, so wie später auch Trevor.
In schubhaften Sequenzen leuchtet der Erzähler den untergründigen Zusammenhang zwischen hartem Sex und der erlittenen Gewalt aus. Jetzt wird er zum Akteur und kann den Schmerz umcodieren. "Auf Erden sind wir kurz grandios" besitzt gerade wegen der doppelten Ausgrenzungserfahrung eine besondere Schärfe. Ein eindrucksvolles Debüt.

Ocean Vuong: Auf Erden sind wir kurz grandios
Aus dem Englischen von Anne-Kristin Mittag
Hanser Verlag, München 2019
237 Seiten, 22 Euro

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