Oblomowsche Demokratie auf der Bühne
Das Münchener Stadttheater "Oblomow" ist eine neue Experimentalbühne für junge Autoren und Theatermacher. Mit einem zweitägigen Abstimmungsmarathon, bei dem die Zuschauer über den künftigen Spielplan entschieden, eröffnete die Bühne am Wochenende.
"Ich würde sagen, machen wir noch die Abstimmung und dann machen wir Pause..."
Abstimmung in Münchens neuem Oblomow Stadttheater. Welches Theaterstück würden Sie gern auf der Bühne sehen? Das Beziehungsdrama eines modernen Pärchens in der neuen Wohnung oder das Schwärmen eines alten Bauern über die Kriegserlebnisse im kalten Kasachstan? Oder doch die Klaustrophobie in einer gated community? Lieber Ewald Palmetshofer oder Ingrid Lausunds? Mike Bartlett oder Nis-Momme Stockmann? Kennen Sie nicht? Genau das sei das Problem in München, sagt Regisseur und Theaterchef des Münchner Metropoltheaters Jochen Schölch. Die Neugier auf unbekannte Autoren, das Experimentieren mit neuen Stilformen sei in München abhanden gekommen:
"München ist eine Stadt, die in dem Sinne schon sehr konservativ ist. Viele wichtige Autoren, und die werden heute Abend hier vorgestellt, das sind so acht davon, die derzeit im Land etwas bewegen, die werden in München teilweise überhaupt nicht gespielt, die kennt man gar nicht."
Acht Titel unbekannter Theaterwerke hängen in dem Theaterraum, einem Hinterzimmer des Café Kranz im derzeit hippen Münchner Glockenbachviertel: "Sense" des Oberpfälzer Wahlberliners Werner Frisch, "Die Liebe zur Leere" des Nachwuchsdramatikers von 2002 Martin Heckmanns, die "Hamlet ist tot"-Satire des Wieners Ewald Palmetshofer. Auch Falk-Richter- und Andreas-Marber-Werke stehen zur Auswahl. Postdramatische Texte, die nach der preisgekrönten Uraufführung nie in München ankamen, vom Feuilleton halb vergessen, von Stadttheatern nicht gefördert wurden. Der Anpfiff im Oblomow soll sie wiederbeleben, per Spielplan-Turnier samt Verlängerung und Elf-Meter. Der Sieger darf die Bühne einweihen, irgendwann im September, in der Regie von Jochen Schölch. Zwei Produktionen sind geplant, vorerst, mit der Option auf mehr:
"Hier gehen eigentlich nur Stücke, die keine vierte Wand haben, die offen ins Publikum gehen, das heißt Stücke, wo die Schauspieler postdramatisch ins Publikum sprechen. Das sind Schauspieler von uns, die dann bei dem Siegertext auch hier auftreten werden."
Die Spielregeln: Drei Euro für den Favoriten, einen Euro oder weniger für den Verlierer. Nach der Lesung eingesammelt im samtenen Klingelbeutel. Der Sieger des Duells wird auf der Waage abgemessen. Ein Spiel mit vielen Metaphern.
Je zwei Texte treten gegeneinander an mit je 20 Minuten Lesung, danach wird abgestimmt.
Die ersten Kontrahenten: Ingrid Lausunds Zweipersonenstück "Zuhause" gegen Werner Fritschs Altherrenmonolog "Sense". Ein Frauenmonolog über das Statussymbol Esstisch gegen die Kriegserinnerungen eines zynischen Altbauern. Sieger: Der Esstisch.
Eine Abstimmung über Kunst, wie funktioniert das? Endet demokratische Kunst nicht im Mainstream? Muss Kunst nicht autoritär sein, um wirken zu können, so der Einwurf aus dem Publikum. Ginge es um Kunst, müsste der Verlierer doch als Sieger aus dem Turnier hervorgehen.
Selbst ein versierter Theatermann wie Til Hofmann war überrascht von der plötzlichen Diskussion, die sein Experiment eines Spielplan-Turniers an den zwei vergangenen Wochenendabenden hervorrief:
"Naja, man kann keine Volksabstimmung machen, welches Stück wir jetzt auf die Bühne bringen. Das ist einfach ein Spiel. Das ist ja manipulierbar, weil einer zehn Euro reinschmeißt oder einer 50 Euro. Das ist eine Scheindemokratie."
"Ich finde es eine interessante Geschichte, das mal so zu machen, wobei ich das Bedenken habe, dass hier das Stück und nicht der Sprecher beurteilt wird. An sich die Idee finde ich ganz klasse."
"Also das finde ich gut, funktioniert gut so. Das Endergebnis finde ich auch okay. Bin gespannt, das zweite Stück zu sehen. Die Art, wie es stattfindet, finde ich auch überzeugend. Die Leute sagen was dazu und es gibt echt eine Abstimmung. Die Leute sind bereit, ihre Meinung zu äußern. Finde ich gut."
"Na ja, da werden ja die neuen Stücke gelesen, da bin ich mal gespannt, was es so Neues gibt. (…) Das soll ja ein anderer Stil von Theater sein, ich vertraue drauf, dass er das wieder prima in Szene setzt."
Erst im vergangenen Jahr verlor München zwei renommierte freie Bühnen. Das Theater "...und so fort" und das Theater 44. Zwei Institutionen im Münchner Kulturleben. Einzig Til Hofmann mit der Lach- und Schießgesellschaft und dem Lustspielhaus ist noch überregional bekannt:
"Es wird einfach alles schick und es wird alles verblödet mit irgendwelchen Dingen. Wenn die Münchner Parteien, auch die SPD, über Schwabing schwärmen als Künstlerviertel und dann nichts zulassen. Es scheitert daran, dass ein Raum eine Konzession als Speise- und Schankwirtschaft hat und nicht als Theater, da dürfen im Monat nur zwei bis drei Veranstaltungen stattfinden und die müssen vom KVR genehmigt werden, das heißt, die sagen dir, was Kunst ist, ja Moment mal."
Da schielt der eine oder andere Künstler gern nach Berlin. Bezeichnend: Nicht einer der acht an diesem Wochenende vorgestellten Autoren lebt in München. Die Innovationen finden längst an den renommierten Häusern statt, kritisiert Jochen Schölch vom Metropoltheater:
"Da ist ja schon die Tendenz, dass die freien Theater anfangen zu konservieren und die Münchner Kammerspiele die Innovationen für sich beanspruchen. Das muss man neidlos anerkennen, dann ist doch das Verhältnis falsch."
Das Unfertige, Experimentelle, auch Fehlerhafte müsse sich die freie Szene Münchens wieder zurückerobern, meint Schölch. Ganz im Sinne der literarischen Figur des Oblomow:
"Naja, der Oblomow ist ja eine berühmte Romanfigur, der sich entschieden hat, aus diesem ganzen Leistungssystem auszusteigen und der sich irgendwann entschlossen hat, sich auf die Bank zu legen und das Leben zu genießen und das ist in gewissermaßen ein selbstironisches Zitat auf Til Hofmann und mich."
Abstimmung in Münchens neuem Oblomow Stadttheater. Welches Theaterstück würden Sie gern auf der Bühne sehen? Das Beziehungsdrama eines modernen Pärchens in der neuen Wohnung oder das Schwärmen eines alten Bauern über die Kriegserlebnisse im kalten Kasachstan? Oder doch die Klaustrophobie in einer gated community? Lieber Ewald Palmetshofer oder Ingrid Lausunds? Mike Bartlett oder Nis-Momme Stockmann? Kennen Sie nicht? Genau das sei das Problem in München, sagt Regisseur und Theaterchef des Münchner Metropoltheaters Jochen Schölch. Die Neugier auf unbekannte Autoren, das Experimentieren mit neuen Stilformen sei in München abhanden gekommen:
"München ist eine Stadt, die in dem Sinne schon sehr konservativ ist. Viele wichtige Autoren, und die werden heute Abend hier vorgestellt, das sind so acht davon, die derzeit im Land etwas bewegen, die werden in München teilweise überhaupt nicht gespielt, die kennt man gar nicht."
Acht Titel unbekannter Theaterwerke hängen in dem Theaterraum, einem Hinterzimmer des Café Kranz im derzeit hippen Münchner Glockenbachviertel: "Sense" des Oberpfälzer Wahlberliners Werner Frisch, "Die Liebe zur Leere" des Nachwuchsdramatikers von 2002 Martin Heckmanns, die "Hamlet ist tot"-Satire des Wieners Ewald Palmetshofer. Auch Falk-Richter- und Andreas-Marber-Werke stehen zur Auswahl. Postdramatische Texte, die nach der preisgekrönten Uraufführung nie in München ankamen, vom Feuilleton halb vergessen, von Stadttheatern nicht gefördert wurden. Der Anpfiff im Oblomow soll sie wiederbeleben, per Spielplan-Turnier samt Verlängerung und Elf-Meter. Der Sieger darf die Bühne einweihen, irgendwann im September, in der Regie von Jochen Schölch. Zwei Produktionen sind geplant, vorerst, mit der Option auf mehr:
"Hier gehen eigentlich nur Stücke, die keine vierte Wand haben, die offen ins Publikum gehen, das heißt Stücke, wo die Schauspieler postdramatisch ins Publikum sprechen. Das sind Schauspieler von uns, die dann bei dem Siegertext auch hier auftreten werden."
Die Spielregeln: Drei Euro für den Favoriten, einen Euro oder weniger für den Verlierer. Nach der Lesung eingesammelt im samtenen Klingelbeutel. Der Sieger des Duells wird auf der Waage abgemessen. Ein Spiel mit vielen Metaphern.
Je zwei Texte treten gegeneinander an mit je 20 Minuten Lesung, danach wird abgestimmt.
Die ersten Kontrahenten: Ingrid Lausunds Zweipersonenstück "Zuhause" gegen Werner Fritschs Altherrenmonolog "Sense". Ein Frauenmonolog über das Statussymbol Esstisch gegen die Kriegserinnerungen eines zynischen Altbauern. Sieger: Der Esstisch.
Eine Abstimmung über Kunst, wie funktioniert das? Endet demokratische Kunst nicht im Mainstream? Muss Kunst nicht autoritär sein, um wirken zu können, so der Einwurf aus dem Publikum. Ginge es um Kunst, müsste der Verlierer doch als Sieger aus dem Turnier hervorgehen.
Selbst ein versierter Theatermann wie Til Hofmann war überrascht von der plötzlichen Diskussion, die sein Experiment eines Spielplan-Turniers an den zwei vergangenen Wochenendabenden hervorrief:
"Naja, man kann keine Volksabstimmung machen, welches Stück wir jetzt auf die Bühne bringen. Das ist einfach ein Spiel. Das ist ja manipulierbar, weil einer zehn Euro reinschmeißt oder einer 50 Euro. Das ist eine Scheindemokratie."
"Ich finde es eine interessante Geschichte, das mal so zu machen, wobei ich das Bedenken habe, dass hier das Stück und nicht der Sprecher beurteilt wird. An sich die Idee finde ich ganz klasse."
"Also das finde ich gut, funktioniert gut so. Das Endergebnis finde ich auch okay. Bin gespannt, das zweite Stück zu sehen. Die Art, wie es stattfindet, finde ich auch überzeugend. Die Leute sagen was dazu und es gibt echt eine Abstimmung. Die Leute sind bereit, ihre Meinung zu äußern. Finde ich gut."
"Na ja, da werden ja die neuen Stücke gelesen, da bin ich mal gespannt, was es so Neues gibt. (…) Das soll ja ein anderer Stil von Theater sein, ich vertraue drauf, dass er das wieder prima in Szene setzt."
Erst im vergangenen Jahr verlor München zwei renommierte freie Bühnen. Das Theater "...und so fort" und das Theater 44. Zwei Institutionen im Münchner Kulturleben. Einzig Til Hofmann mit der Lach- und Schießgesellschaft und dem Lustspielhaus ist noch überregional bekannt:
"Es wird einfach alles schick und es wird alles verblödet mit irgendwelchen Dingen. Wenn die Münchner Parteien, auch die SPD, über Schwabing schwärmen als Künstlerviertel und dann nichts zulassen. Es scheitert daran, dass ein Raum eine Konzession als Speise- und Schankwirtschaft hat und nicht als Theater, da dürfen im Monat nur zwei bis drei Veranstaltungen stattfinden und die müssen vom KVR genehmigt werden, das heißt, die sagen dir, was Kunst ist, ja Moment mal."
Da schielt der eine oder andere Künstler gern nach Berlin. Bezeichnend: Nicht einer der acht an diesem Wochenende vorgestellten Autoren lebt in München. Die Innovationen finden längst an den renommierten Häusern statt, kritisiert Jochen Schölch vom Metropoltheater:
"Da ist ja schon die Tendenz, dass die freien Theater anfangen zu konservieren und die Münchner Kammerspiele die Innovationen für sich beanspruchen. Das muss man neidlos anerkennen, dann ist doch das Verhältnis falsch."
Das Unfertige, Experimentelle, auch Fehlerhafte müsse sich die freie Szene Münchens wieder zurückerobern, meint Schölch. Ganz im Sinne der literarischen Figur des Oblomow:
"Naja, der Oblomow ist ja eine berühmte Romanfigur, der sich entschieden hat, aus diesem ganzen Leistungssystem auszusteigen und der sich irgendwann entschlossen hat, sich auf die Bank zu legen und das Leben zu genießen und das ist in gewissermaßen ein selbstironisches Zitat auf Til Hofmann und mich."