Obdachlosigkeit im Kölner "Tatort"

Resignation statt Perspektiven

07:47 Minuten
Szene aus dem Kölner "Tatort" mit dem Titel "Wie alle anderen auch" vom 21.03.2021: Ella Jung (Ricarda Seifried, r.) sitzt neben einer Frau (Rike Eckermann, l.), die am Dom Obdachlosenzeitungen verkauft.
Niemand wehrt sich, zu wenig Widerstand: Szene aus "Wie alle anderen auch". © WDR / Martin Valentin Menke
Elke Brüns im Gespräch mit Gesa Ufer · 22.03.2021
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Unter dem Titel "Wie alle anderen auch" ging es im Kölner "Tatort" um Obdachlosigkeit. Der Film zeige, dass es jeden treffen könne, sagt die Literaturwissenschaftlerin Elke Brüns. Den Grundtenor des Films findet sie dennoch zu resignativ.
Die Hauptfigur der Kölner "Tatort"-Folge "Wie alle anderen auch" vom Sonntagabend heißt Ella. Sie hat zum wiederholten Mal grauenhafte häusliche Gewalt erfahren. Diesmal hat sie sich jedoch gewehrt und ihren Mann so stark verletzt, dass sie aus Angst vor der Polizei flüchtet und ins Obdachlosen-Milieu gerät. Das Publikum wird filmisch ins sonst versteckte Parallel-Universum obdachloser Frauen mitgenommen.
Der "Tatort" habe allerdings weniger Obdachlosigkeit als solche inszeniert, sondern vielmehr soziale Bedrohungslagen, die dazu führten, sagt die Literaturwissenschaftlerin Elke Brüns. Sie forscht seit Jahren zu Obdachlosigkeit und ihrer Darstellung.

Viele Gründe für Obdachlosigkeit

Verschiedene Figuren der "Tatort"-Folge zeigten die Gründe, aus denen man in diese Situation geraten könne: "neue Armut, Altersarmut, prekäre Arbeitsverhältnisse, working poor, Mietpreispolitik, Verdrängung". Damit sei auch der Titel des Films gerechtfertigt, sagt Brüns: "Das ist keine exotische, andere Welt, sondern 'next door'. Jeder von uns kann da reinrutschen."
Die Gewalt gegen Frauen, die in diesem "Tatort" präsent sei, finde sich auch in den Biografien vieler obdachloser Frauen, erklärt die Literaturwissenschaftlerin. Der Film zeige auf sehr radikale Weise: "Frauen sind überall Gewalt ausgesetzt. Öffentlicher Raum ist genauso wenig ein Schutz wie privater Raum."

Wunsch nach mehr Rebellion

Der "Tatort" habe sie durchaus berührt, so Brüns - im Abspann schauen reale obdachlose Frauen die Zuschauerinnen und Zuschauer an. Doch mit dem Grundtenor des Films ist sie dennoch nicht einverstanden.
Es falle ihr nicht leicht, die Kritik zu formulieren, betont Brüns: "Weil ich denke, es ist ein wichtiges Thema, das anzugehen und darzustellen ist." Doch der Film versinke ein Stück weit in einem "resignativen Grundton". Anstelle der Aussage einer Figur, dass letztlich immer die Straße gewinne, hätte sie sich "ein bisschen was Rebellischeres oder Politischeres" gewünscht; oder einfach, dass sich jemand wehrt.
(abr)
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