Obamas Rede zur Lage der Nation

Von Klaus Remme, Büro Washington |
Dies war kein Befreiungsschlag. Barack Obama hat eine viel zu lange Rede unterhalb seiner Möglichkeiten gehalten. Das ist teilweise dem Format eines Berichts zur Lage der Nation geschuldet, alle Ministerien streiten im Vorfeld um Berücksichtigung ihrer Belange.
Seit November war diese Rede in Arbeit, nach der Wahlniederlage in Massachusetts geriet sie zu einem unglücklichen Spagat zwischen administrativer Bilanz und politischer Verteidigung.

Inhaltlich hat Obama keine Positionen aufgegeben. Gut so. Die Gesundheitsreform ist wichtig und richtig, egal ob die Demokraten 59 oder 60 Stimmen im Senat haben. Seine Konjunkturpolitik im zurückliegenden Jahr war ohne Alternative. Erste Reaktionen aus den Reihen des politischen Gegners zeigen die politische Erstarrung in Washington. Der Präsident solle endlich aufhören, seinen Amtsvorgänger für die aktuellen Probleme verantwortlich zu machen, heißt es. Das amerikanische Volk wolle keinen Jammerlappen im Weißen Haus, mäkelte der republikanische Senator Jon Kyl. Er kalkuliert mit dem gewöhnlich kurzen Gedächtnis des Wählers.

Dass Barack Obama, ja dass Amerika auf Populisten dieser Art angewiesen ist und viele diese Tonlage im Moment sogar belohnen, verdeutlicht das Ausmaß des Problems. Der Präsident ist sich treu geblieben, sein "ich gebe nicht auf" klang geradezu trotzig. "Nein sagen reicht nicht", kritisierte er die Opposition und schaute in gefrorene Mienen. In Anwesenheit des Supreme Court bezeichnete er das folgenschwere Urteil zur politischen Einflussnahme von Unternehmen als grundfalsch und erntete Kopfschütteln einiger Richter. Auch der eigenen Partei riet er zu mehr Rückgrat.

Die Demokraten im Kongress sind nach empfindlichen Wahlschlappen dabei, sich ins Schneckenhaus zurückzuziehen. Ein bekannter Reflex, der ihnen selten nutzte. Jeder weiß, die Voraussetzung für politischen Erfolg der Demokraten im Kongress, im Weißen Haus ist eine Belebung des Arbeitsmarkts. Millionen verlorener Jobs im vergangenen Jahr diesem Präsidenten anzulasten ist lächerlich. Barack Obama hat unmittelbar nach Amtsantritt ein beispielloses Konjunkturprogramm in Höhe von fast 800 Milliarden Dollar durch den Kongress geboxt. Schon damals war klar: Entweder diese Milliarden sorgen für messbare Impulse in den kommenden Monaten, dann wird der Wähler das im November auch honorieren oder sie verpuffen und es droht die politische Quittung.

In jedem Fall sind die Weichen für Erfolg oder Niederlage im November bereits gestellt. Sich jetzt zu verbiegen wäre völlig falsch. Präsident Obama muss darauf vertrauen, dass der Wunsch des Wählers nach verantwortungsvoller Politik, ein Wunsch, der ihn ins Weiße Haus getragen hat, mehr war als nur ein Strohfeuer.