Obama hat etwas, "was wir von Martin Luther King kennen"

Moderation: Dieter Kassel |
Der Schriftsteller Peter Schneider empfand die Rede Barack Obamas als mitreißend und rhetorisch in der Tradition großer Bürgerrechtler wie Martin Luther King oder Malcom X. Er sei sich aber nicht sicher, dass ein in Europa so erfolgreicher Kandidat in den USA - wie andere vor ihm - nicht letztlich für ein Weichei gehalten werde.
Auszug aus der Rede Barack Obamas in Berlin am 24. Juli 2008:
"Mauern zwischen den Staaten, die am Meisten haben und am Wenigsten haben darf es nicht geben, Mauern zwischen Rassen, Stämmen, Eingeborenen, Heimischen und Immigranten, Christen, Muslime und Juden, diese Mauern darf es nicht geben, auch die müssen wir niederreißen."

Dieter Kassel: Ein kleiner Ausschnitt aus der Obama-Rede von gestern Abend. Peter Schneider, das war jetzt ganz wenig. Das waren insgesamt 58 Sekunden. Das Ganze dauerte ja länger. Sie haben es komplett gehört. War denn das, was Sie für am wichtigsten halten aus dieser Rede, war das schon dabei, oder war das für Sie was ganz anderes?

Peter Schneider: Es war auf jeden Fall ein wichtiger Ausschnitt. Es gab noch andere Dinge, die er gesagt hat, die ich wichtig fand. Ich fand sehr wichtig zum Beispiel, dass er sich als Weltbürger vorgestellt hat und vermieden hat, diesen berühmten Satz von John F. Kennedy "Auch ich bin ein Berliner", den hat er vermieden und taktisch ersetzt durch den Satz "Die Berliner sind Weltbürger und als, und wenn die Welt auf Berlin schaut, dann erwartet sie, dass die Berliner auch sich als Weltbürger verhalten und praktisch die Hand zur ganzen Welt ausstrecken, dass sie überall Mauern niederreißen und nicht nur in Berlin".

Kassel: Er hat, da haben Sie recht, natürlich John F. Kennedy nicht unmittelbar zitiert, er hat aber im Grunde genommen ja indirekt ständig Ernst Reuter zitiert. Denn er hat mehrmals gesagt "Völker der Welt, schaut auf Berlin", der hat gesagt "Schaut auf diese Stadt". Dieses am Anfang und immer wieder zwischendurch erinnern an die Luftbrücke vor 60 Jahren. War das für Sie überraschend?

Schneider: Nicht überraschend, weil das ist ja eigentlich das Faktum. Das große Ereignis, mit dem diese spezielle Beziehung zwischen Amerika und Berlin begonnen hat. Und die gibt es ja nun einfach. Das sieht man ja auch an diesen 200.000 Leuten, die ja nicht einem Präsident, sondern einem Präsidentschaftsbewerber zuhören. Das ist schon eine erstaunliche Sache. Nein, es war intelligent, wie er das gemacht hat. Er hat die Luftbrücke genannt als Beispiel dafür, wie man Gefangenschaft, wie man Probleme überwinden kann, wenn man zusammensteht. Und deswegen hat er das ein, als ein Beispiel eigentlich für die Zukunft entworfen und nicht als, einfach als ein historisches Faktum aufgerufen. Er wollte es als eine Utopie eigentlich haben in seiner Rede.

Kassel: Er hat natürlich einiges gesagt, was die Berliner und auch viele andere gefreut hat, es gab ja auch zwischendurch Applaus. Aber er hat ja nicht davor zurückgeschreckt, auch etwas zu erwähnen, was nicht so gern gehört wird in einem Teil der deutschen Öffentlichkeit. Er hat ziemlich direkt den Wunsch erwähnt, dass Europa und dass auch Deutschland sich intensiver beteiligen soll an dem Kampf gegen den Terror konkret am Truppeneinsatz in Afghanistan. Er hat immerhin einen Satz benutzt wie "Wir brauchen dafür unsere Truppen und Ihre Truppen". War Ihnen das deutlich genug, oder hat er es doch ein bisschen zu schön formuliert?

Schneider: Er hat insgesamt nichts gesagt, was die Berliner wirklich hätte verstören können. Vielleicht ging er am weitesten, als er die NATO als eine der großartigsten Institutionen des Westens angesprochen hat. Da kam auch überhaupt kein Beifall auf. Der Punkt, den Sie erwähnen, ist natürlich schon sehr wichtig und interessant. Ich muss sagen, ich habe schon sehr früh darüber gesprochen, dass die Deutschen eigentlich daraus, dass sie mal die Schlimmsten der jüngeren Geschichte waren, ja nicht ein Privileg ableiten können, nämlich das Privileg, dass andere Völker für sie die Menschenrechte praktisch sichern sollen und den Hals dafür riskieren sollen. Das ist ja was ganz Merkwürdiges und Perverses, dass die Deutschen wirklich sich manchmal so benehmen, als hätten sie jetzt das Recht als Einzige, die Engel zu spielen, nachdem sie die Schlimmsten von allen waren. Das ist ein ganz komischer Mechanismus, der vielen Deutschen noch nicht klar geworden ist. Deswegen ist es fast unvermeidlich, hätte Hillary Clinton genauso gesagt und McCain erst Recht, dass die Deutschen, wo internationale Aufgaben, auch militärische Aufgaben, sind, genauso mit herangezogen werden wie andere.

Kassel: Das heißt, wenn Obama oder irgendein anderer zukünftiger Präsident, ob er nun McCain heißt, Obama oder ganz anders, ist nicht mehr sehr wahrscheinlich, wenn der sagt, die Deutschen müssen auch an militärischen Einsätzen viel intensiver teilnehmen, ob in Afghanistan oder woanders, dann sagen Sie grundsätzlich ja, da hat er auch recht?

Schneider: Ja, ich sage Ja dazu.

Kassel: Wir haben auch vorhin bei dem Ausschnitt eine Mischung gewählt, ist natürlich schwierig, in einer Minute eine halbstündige Rede fair zusammenzufassen. Das kann man nur grundsätzlich versuchen und das haben wir gemacht, aber wir haben auch eine Mischung gewählt aus Pathos und einigen inhaltlichen Aussagen. Und das war auch mein Eindruck gestern beim Hören der Rede, das war auch eine Mischung. Da war Pathos dabei, da waren aber auch konkrete Dinge zwischendurch. War die Mischung angemessen, oder war Ihnen das manchmal ein bisschen zu viel Pathos, zu viel Show auch?

Schneider: Na ja, also, ich glaube nicht nur ich, viele kennen das ja aus der Tradition der Schwarzen Kirchen in Amerika. Es ist ganz klar, dass in der Rhetorik da etwas ist, was wir von Martin Luther King kennen und von anderen großen Rednern, von Malcolm X und so weiter. Eine sich steigernde Rhetorik, die auch emotional, ich meine, das können, die meisten weißen Politiker können das nicht, eine Rede so steigern, dass daraus fast, am Schluss war das doch so, fast ein Gesang wird, und dass man auch selber merkt, wie die Emotionen steigen. Das ist eine Tradition und gleichzeitig eine Begabung. Ich finde, dass diese Rede doch, natürlich hat er vieles vermieden, das er durchaus hätte sagen können, vielleicht auch müssen, aber dass diese Rede mitreißend war und durchaus im Vergleich mit der Rede von John F. Kennedy 1963 auffällt.

Kassel: Was hat er denn vermieden, was er Ihrer Meinung nach hätte sagen können und vielleicht sogar müssen?

Schneider: Na ja, er hätte zum Beispiel deutlicher machen können, deutlicher ansprechen können die Hoffnung, dass jetzt nach den sieben sehr, sehr mageren Jahren, was die Deutsch- und Europa-atlantische Beziehung anbetrifft, dass nun da ein ganz neues Verhältnis wieder entsteht. Ich glaube tatsächlich, wenn der Obama das schafft, dass 50 Prozent dieses Antiamerikanismus, den ich so stark beobachtet habe wie nie zuvor in meinem Leben, also in den letzten Jahren, wie der angestiegen ist, 50 Prozent davon oder mehr werden mit einem Schlag sich in Luft auflösen. Es bleibt dann sozusagen der stabile Rest von Antiamerikanismus, der ja die Vereinigten Staaten eigentlich seit ihrer Gründung begleitet hat. Und übrigens gibt es ja auch einen heftigen Anti-Europaeffekt durchaus bei den Konservativen in Amerika. Das ist durchaus gegenseitig.

Kassel: Kommen wir noch mal darauf zurück, was Sie gesagt haben, dass er ein, das bestreitet glaube ich niemand, auch kein Feind Obamas, ein sehr begabter Redner ist und aus welcher Tradition auch immer es wirklich versteht, Menschen mit seinen Auftritten zu fesseln. John McCain hat nun das Problem, dieses Talent hat er wirklich nur sehr eingeschränkt. Da geben hinter vorgehaltener Hand ja auch die Konservativen in Amerika zu, er kann, egal was man ihm da schreibt, er kann nicht wirklich mitreißende Reden halten. Das ist ja schön und gut, aber ist denn derjenige, der die bessere Show liefert auch zwangsläufig der bessere Politiker?

Schneider: Nein, und zumal nicht in Amerika. Also, man hat ja gesehen, wie überrascht die Amerikaner waren über diesen Riesenerfolg, also auch was die Zahl der Zuhörer angeht. Obama hat ja offenbar noch nie vor so vielen Leuten geredet wie in Berlin, was wiederum für die ganz spezielle Beziehung zwischen den USA und Berlin spricht. Natürlich ist auch eine Art Selbstfeier der Berliner dabei. Sie wollen zeigen "Wir gehören zu den Guten, wir sind auf der richtigen Seite, wir sind die Antirassisten, wir wollen, dass so einer wie Obama Präsident der Vereinigten Staaten wird". Das ist auch ein bisschen eine Selbstfeier, wenn nicht sogar Selbstbeweihräucherung. Aber es ist ja für eine gute Sache, also sei es gegönnt. Nein, der, ich glaube nicht, dass es selbstverständlich ist, dass Obama Präsident wird, obwohl 80 Prozent der Amerikaner ja bekanntlich sagen, wir sind auf dem falschen Weg, wir müssen umkehren. Ich fürchte auch immer noch, dass irgendein schmutziger Trick in den Ärmeln der Republikaner ist, der irgendwann jetzt gezogen wird, irgendwann wird diese Karte gezogen. Da kann noch viel passieren. Es ist überhaupt nicht sicher, dass Obama das schafft. Und schon gar nicht, dass es einer schafft, der in Europa so gefeiert wird. Denn die Leute, da kann man an John Kerry denken, die in Europa gut ankommen, die gelten in Amerika, jedenfalls in dem Amerika der Mitte und der Konservativen, eher als Weicheier und sind schon deswegen verdächtig. Es könnte aber sein, dass es sich diesmal anders verhält.

Kassel: Warten wir es ab. Ich danke Ihnen. Der Schriftsteller Peter Schneider über die Rede von Barack Obama gestern vor der Siegessäule in Berlin.