Obama, Afghanistan und die Europäer
Die USA seien bereit, auch mit „gemäßigten Taliban“ zu sprechen. Diese Äußerung von US-Präsident Obama schien die Deutschen in einer ihrer liebsten Illusionen zu bestärken. Man müsse eben nur mit den richtigen Leuten vernünftig reden, dann würden sich kriegerische Konflikte wie der in Afghanistan schon irgendwie in friedliches Wohlgefallen auflösen.
Tatsächlich aber fiel Obamas Bemerkung in einem Zusammenhang, der Deutsche und Europäer in eine noch unangenehmere Lage bringen könnte, als wenn die neue US-Administration – wie seit langem befürchtet – bloß ein paar mehr Soldaten von ihnen anfordern würde. Hinter der nebulösen Rede von „gemäßigten Taliban“ verbirgt sich nämlich die Absicht der Amerikaner, das Land auf ähnliche Weise zu befrieden wie es jüngst im Irak gelungen ist – – in die Wege geleitet übrigens noch unter Führung des Buhmanns George W. Bush.
In diesem Konzept spielten drei Komponenten eine zentrale Rolle: eine massive zusätzliche Aufstockung der US-Truppen, um Sicherheit an Orten, aus denen Terroristen vertrieben wurden, nachhaltig gewährleisten zu können. Die Intensivierung der Ausbildung heimischer Armee- und Polizeikräfte. Und das Herüberziehen lokaler Stammesführern auf die eigene Seite. Im Klartext hieß das für den Irak, und wird das auch für Afghanistan heißen: Einflussreiche Clanchefs, die mit den Taliban gemeinsame Sache machen oder ihre Umtriebe zumindest dulden, müssen mit Geld, Waffen und Positionen versorgt und so zum Seitenwechsel bewegt werden.
Die Lieblingsvorstellung deutscher Politiker und Kommentatoren, man müsse in Afghanistan die „zivile Komponente“ gegenüber der militärischen stärken, löst sich damit in Rauch auf. Militärische Befriedung, Stabilisierung und ziviler Aufbau lassen sich nicht voneinander trennen. Sie müssen eng ineinander greifen, damit jedes Element für sich Erfolg hat.
Das aber kann nur gelingen, wenn die Anstrengungen der Nato auf allen drei Gebieten erheblich verstärkt und effektiviert – und wenn sie geschlossen umgesetzt werden. An einer solchen entschiedenen Gesamtstrategie aber hat es in Afghanistan bisher gefehlt. Die nationalen Nato-Kontingente wursteln in ihrer jeweiligen Zone zu unkoordiniert und halbherzig vor sich hin. Der Beitrag namentlich der Europäer in der Debatte, wie das zu ändern sei, konzentrierte sich meist darauf zu erklären, was man alles nicht zu leisten fähig oder bereit sei. Deutschland etwa will seine Soldaten auf keinen Fall im besonders gefährlichen Süden einsetzen. Dabei fällt auch der deutsche Beitrag zum zivilen Aufbau, besonders bei der Polizeiausbildung, in Wirklichkeit bescheiden bis katastrophal aus.
Dieses Vermeidungsritual aber will und kann sich die neue US-Administration unter Obama nicht länger bieten lassen. Noch wartet sie auf konstruktive Vorschläge der Europäer für eine neue Afghanistan-Strategie – bisher weitgehend vergebens. Heiß hatten Europäer und Deutsche den Tag ersehnt, da der verhasste George W. Bush abtreten und sie bei transatlantischen Entscheidungen endlich wieder mitreden dürften. Jetzt, da sie von der Obama-Regierung ausdrücklich gefragt werden, wird klar, dass sie zu Afghanistan keine aktiven Lösungsansätze zu bieten haben. In Zeiten der Wirtschafts- und Finanzkrise sinkt ihr Wille sogar zusätzlich, die Aufwendungen für den ohnehin unpopulären Hindukusch-Einsatz noch einmal drastisch zu erhöhen.
Es ist deshalb wahrscheinlich, dass die USA die Stabilisierung Afghanistans mehr oder weniger im Alleingang in die Hand nehmen, von den Nato-Verbündeten dafür aber dennoch mehr materielle und politische Unterstützung verlangen werden – nicht zuletzt dabei, Pakistan unter Druck zu setzen, von dessen Grenzgebiet aus die Taliban operieren. Wer dann hinter der amerikanischen Lokomotive nicht mitzieht, wird automatisch an Einfluss in der Nato verlieren.
Die Bush-Regierung war zu sehr diskreditiert, um die Verbündeten zu größeren Anstrengungen am Hindukusch nötigen zu können. Obama aber wird sagen können, er habe die Europäer ja ausdrücklich zur Mitformulierung einer neuen Strategie eingeladen. Leider, so wird es heißen, hätten sie diese Gelegenheit weltpolitischer Profilierung jedoch einmal mehr gründlich verpasst. Obama aber wird der Letzte sein, der sich von ihrem Zögern an dringend notwendigem Handeln hindern lässt.
Dr. Richard Herzinger, Jahrgang 1955, ist Journalist und Buchautor. Er arbeitet als außenpolitischer Redakteur bei der „Welt am Sonntag“. Zuvor war Herzinger Deutschlandkorrespondent der in Zürich erscheinenden „Weltwoche“ und hatte als Redakteur und Autor der Wochenzeitung „DIE ZEIT“ gearbeitet. Letzte Buchveröffentlichungen: „Die Tyrannei des Gemeinsinns – ein Bekenntnis zur egoistischen Gesellschaft“ und „Republik ohne Mitte“.
In diesem Konzept spielten drei Komponenten eine zentrale Rolle: eine massive zusätzliche Aufstockung der US-Truppen, um Sicherheit an Orten, aus denen Terroristen vertrieben wurden, nachhaltig gewährleisten zu können. Die Intensivierung der Ausbildung heimischer Armee- und Polizeikräfte. Und das Herüberziehen lokaler Stammesführern auf die eigene Seite. Im Klartext hieß das für den Irak, und wird das auch für Afghanistan heißen: Einflussreiche Clanchefs, die mit den Taliban gemeinsame Sache machen oder ihre Umtriebe zumindest dulden, müssen mit Geld, Waffen und Positionen versorgt und so zum Seitenwechsel bewegt werden.
Die Lieblingsvorstellung deutscher Politiker und Kommentatoren, man müsse in Afghanistan die „zivile Komponente“ gegenüber der militärischen stärken, löst sich damit in Rauch auf. Militärische Befriedung, Stabilisierung und ziviler Aufbau lassen sich nicht voneinander trennen. Sie müssen eng ineinander greifen, damit jedes Element für sich Erfolg hat.
Das aber kann nur gelingen, wenn die Anstrengungen der Nato auf allen drei Gebieten erheblich verstärkt und effektiviert – und wenn sie geschlossen umgesetzt werden. An einer solchen entschiedenen Gesamtstrategie aber hat es in Afghanistan bisher gefehlt. Die nationalen Nato-Kontingente wursteln in ihrer jeweiligen Zone zu unkoordiniert und halbherzig vor sich hin. Der Beitrag namentlich der Europäer in der Debatte, wie das zu ändern sei, konzentrierte sich meist darauf zu erklären, was man alles nicht zu leisten fähig oder bereit sei. Deutschland etwa will seine Soldaten auf keinen Fall im besonders gefährlichen Süden einsetzen. Dabei fällt auch der deutsche Beitrag zum zivilen Aufbau, besonders bei der Polizeiausbildung, in Wirklichkeit bescheiden bis katastrophal aus.
Dieses Vermeidungsritual aber will und kann sich die neue US-Administration unter Obama nicht länger bieten lassen. Noch wartet sie auf konstruktive Vorschläge der Europäer für eine neue Afghanistan-Strategie – bisher weitgehend vergebens. Heiß hatten Europäer und Deutsche den Tag ersehnt, da der verhasste George W. Bush abtreten und sie bei transatlantischen Entscheidungen endlich wieder mitreden dürften. Jetzt, da sie von der Obama-Regierung ausdrücklich gefragt werden, wird klar, dass sie zu Afghanistan keine aktiven Lösungsansätze zu bieten haben. In Zeiten der Wirtschafts- und Finanzkrise sinkt ihr Wille sogar zusätzlich, die Aufwendungen für den ohnehin unpopulären Hindukusch-Einsatz noch einmal drastisch zu erhöhen.
Es ist deshalb wahrscheinlich, dass die USA die Stabilisierung Afghanistans mehr oder weniger im Alleingang in die Hand nehmen, von den Nato-Verbündeten dafür aber dennoch mehr materielle und politische Unterstützung verlangen werden – nicht zuletzt dabei, Pakistan unter Druck zu setzen, von dessen Grenzgebiet aus die Taliban operieren. Wer dann hinter der amerikanischen Lokomotive nicht mitzieht, wird automatisch an Einfluss in der Nato verlieren.
Die Bush-Regierung war zu sehr diskreditiert, um die Verbündeten zu größeren Anstrengungen am Hindukusch nötigen zu können. Obama aber wird sagen können, er habe die Europäer ja ausdrücklich zur Mitformulierung einer neuen Strategie eingeladen. Leider, so wird es heißen, hätten sie diese Gelegenheit weltpolitischer Profilierung jedoch einmal mehr gründlich verpasst. Obama aber wird der Letzte sein, der sich von ihrem Zögern an dringend notwendigem Handeln hindern lässt.
Dr. Richard Herzinger, Jahrgang 1955, ist Journalist und Buchautor. Er arbeitet als außenpolitischer Redakteur bei der „Welt am Sonntag“. Zuvor war Herzinger Deutschlandkorrespondent der in Zürich erscheinenden „Weltwoche“ und hatte als Redakteur und Autor der Wochenzeitung „DIE ZEIT“ gearbeitet. Letzte Buchveröffentlichungen: „Die Tyrannei des Gemeinsinns – ein Bekenntnis zur egoistischen Gesellschaft“ und „Republik ohne Mitte“.

Richard Herzinger© DIE ZEIT