NVA und Bundeswehr

Eine Vereinigung voller Risiken

Deutschlandflagge auf Bundeswehr-Uniform
Mit der Wiedervereinigung wurden auf frühere Soldaten der nationalen Volksarmee der DDR zu Bundeswehrsoldaten © Philipp Schulze
Rainer Eppelmann im Gespräch mit Ute Welty  · 22.08.2015
Der frühere Bürgerrechtler und letzte Verteidigungsminister der DDR, Rainer Eppelmann, hat an die Risiken erinnert, die heute vor 25 Jahren mit der Vereinigung der beiden deutschen Armeen verbunden waren.
"Wir waren voller Hoffnung", sagte frühere Bürgerrechtler und letzte Verteidigungsminister der DDR, Rainer Eppelmann, im Deutschlandradio Kultur. Man sei damals der Überzeugung gewesen, dass die Sowjetunion ein Interesse an guten Beziehungen zum zukünftigen, wiedervereinigten Deutschland und zu Europa haben werde. Mit Blick auf das heutige Russland sagte Eppelmann, das Verhältnis beider Länder sei leider "nicht so entspannt, wie wir damals hofften."
Abzug mit einem deutschen Volkslied
Anfang der 1990er Jahre sei er sehr gerührt gewesen, als die sowjetischen Soldaten Deutschland den Rücken kehrten. "Und ich bin im Treptower Park damals dabei gewesen, als sie abzogen mit einem deutschen Volkslied singend in deutsch", sagte Eppelmann. "Das war angesichts der belasteten Geschichte der Zeit in der sowjetischen Besatzungszone und auch dem, was wir Deutschen ihnen vorher angetan haben, zu Herzen gehend." Deshalb könne er gut verstehen, dass viele dachten, man habe das Problem des Krieges in Europa überstanden. "Wir wissen heute sehr viel genauer, wir haben es nicht getan", sagte Eppelmann. "Auch Europa ist kein paradiesischer Ort, zumindest militärisch und politisch nicht." Der Kontinent müsse sich weiter den Problemen der Welt stellen.
Eppelmann erinnerte daran, wie die damalige nationale Volksarmee der DDR und die Bundeswehr zusammenwuchsen. Er habe dabei im Blick gehabt, dass die ostdeutschen Militärangehörigen Teil einer Parteiarmee waren und Mitglieder der SED. Die Armeen hatten sich vorher feindlich gegenüber gestanden.

Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Als sich die DDR-Volkskammer am Abend des 22. August trifft, steht den Abgeordneten eine lange und historische Sitzung bevor, an dessen Ende gegen 3 Uhr in der Früh die Entscheidung steht, die DDR tritt der Bundesrepublik bei. Einer der Abgeordneten war Rainer Eppelmann, jetzt zu Gast in "Studio 9", guten Morgen!
Rainer Eppelmann: Schönen guten Morgen!
Welty: Wir haben eben Gregor Gysi gehört, damals Vorsitzender der SED/PDS, der hörbar mitgenommen war ob der Tragweite dieser Entscheidung. Wie ist es Ihnen in dieser Nacht ergangen? Ihre Biografie ist ja eine ganz andere als die von Gregor Gysi.
Eppelmann: Richtig, von daher bin ich auch bewegt gewesen, aber ganz bestimmt ganz anders als Gregor Gysi. Ich war nicht traurig über das politische Projekt DDR und der SED-Führung, das gescheitert war, nach dem Willen der Menschen sollte etwas ganz anders sein, sondern ich war froh darüber, dass es vollbracht war und dass die unnatürliche Teilung Deutschlands, die wir uns mit dem Zweiten Weltkrieg und mit Auschwitz verdient hatten, dass das endlich vorbei war.
Welty: Zu Volkskammerzeiten waren Sie ja nicht nur Abgeordneter, sondern auch Minister für Abrüstung und Verteidigung und haben sich zur Zukunft der nationalen Volksarmee geäußert.
Rainer Eppelmann, damals Minister für Abrüstung und Verteidigung der DDR, heute zu Gast in "Studio 9". Herr Eppelmann, wie ist das praktisch vorangegangen, die beiden Armeen zusammenzuführen?
Eppelmann: Da waren zwei Armeen, die sich feindlich gegenüber standen, die über Jahre mit dem großen Risiko leben mussten, wenn sie den Befehl bekommen, gegeneinander zu gehen und sich gegenseitig umzubringen. Der Wähler hatte uns den Auftrag gegeben, bei den ersten einzigen freien Wahlen in der DDR, deutsche Einheit so rasch und so gut wie möglich. Und nun war die große Streitfrage, wie ist dieses dann vereinte Deutschland, wie ist das militärisch eingebunden?
Und das größte Entgegenkommen, das die Sowjetunion uns in Gestalt von Gorbatschow oder Walentin Falin, dem deutschlandpolitischen Berater, signalisierte, war die militärische Neutralität. Auf die hat sich aber die Bundesrepublik Deutschland nicht eingelassen. Darum haben wir verabredet zwischen Herrn Stoltenberg und mir, dass eine Gruppe gebildet worden ist, die sich in Strausberg traf ab Sommer 1990, in der überlegt worden ist, was muss an den Strukturen der nationalen Volksarmee verändert werden, damit sie kompatibel wird mit den Strukturen der Bundeswehr.
Zeit der Verunsicherung
Welty: Ich stelle mir das als einen schwierigen Prozess vor. Und Sie waren auch der Überbringer der schlechten Nachrichten sozusagen –
Eppelmann: Richtig.
Welty: – weil bei diesen ganzen strukturellen Veränderungen stehen da ja auch immer menschliche Schicksale dahinter, eine ganze Familie, deren Leben völlig verändert wird.
Eppelmann: Richtig, Sie haben vollkommen Recht. Das ist für mich eigentlich die wichtigste Aufgabe gewesen. Ich wusste ja, die nationale Volksarmee ist eine Parteiarmee. Das heißt, die Offiziere, die Generäle, die meisten Zeitsoldaten, sind Angehörige der SED gewesen, sonst hätten sie in der Armee gar keine Karriere machen können. Die waren in einer total verunsicherten Situation und haben sich jetzt gefragt, was wird aus uns. Es galt also, darum ist uns wichtig gewesen im Ministerium für Abrüstung und Verteidigung – das auf meinen Wunsch hin so genannt wurde, ich bin gefragt worden, ob ich Verteidigungsminister werden will, habe ich gesagt, nein, aber für Abrüstung und Verteidigung, das würde ich machen –
Welty: Vielleicht auch für Abwicklung und Verteidigung?
Eppelmann: Na, das stellte sich erst im Vollzug heraus. Ich habe mir überlegen müssen im Blick darauf, dass wir sagten, wir können an der Stelle nichts machen, was auf den entscheidenden Widerstand der Sowjetunion trifft und die das möglicherweise nur deswegen dulden muss, weil sie es im Augenblick nicht verhindern kann, dann aber, wenn sie wieder kräftig ist, es sofort korrigieren würde, notfalls auch mit Mitteln der Gewalt – eine solche Situation wollten wir nach den Schrecknissen des Zweiten Weltkrieges, wollten wir unseren Kindern nicht in die Wiege legen, und darum warteten wir auf eine Zustimmung und ein Ja der Sowjetunion. Das kam eben erst im Gespräch zwischen Gorbatschow und Helmut Kohl im Kaukasus.
Das Verhältnis zwischen Sowjetunion und Deutschland
Welty: Haben Sie jemals, wenn Sie noch mal auf diese gesamte Zeit gucken, haben Sie jemals gefürchtet, befürchtet, dass diese Zustimmung der Sowjetunion ausbleibt, weil, wenn man sich die gesamtpolitische Lage anschaut, war das ja ein Unternehmen mit großem Risiko.
Eppelmann: Ja, ein großes Risiko. Wir waren voller Hoffnung und sind davon ausgegangen, dass auch die Sowjetunion ein großes Interesse daran haben muss, in dem sich verändernden Deutschland, aber auch Europa – die Ungaren hatten signalisiert, sie wollen aus dem Warschauer Vertrag austreten, um noch ein Beispiel zu nennen –, und wir waren immer mehr der Überzeugung, auch Gorbatschow wird ein Interesse daran haben, dass es ein gutes Verhältnis zwischen der Sowjetunion – ich muss immer noch von der Sowjetunion reden, die gab es ja zu der Zeit noch – und dem zukünftigen wiedervereinigten Deutschland geben wird, weil für Europa und darüber hinaus das eine zentrale Frage ist, wie ist das Verhältnis zwischen Deutschland und der Sowjetunion.
Welty: Wie würden Sie dieses Verhältnis heute beschreiben beziehungsweise das Verhältnis Deutschland, Russland?
Eppelmann: Nicht so entspannt, wie wir damals hofften, 1990 oder 1991 oder 92. Ich kann mich noch erinnern, wie gerührt ich gewesen bin, als die sowjetischen Soldaten – und ich bin im Treptower Park in Berlin dabei gewesen –, als sie abzogen mit einem deutschen Volkslied singend in deutsch. Das war angesichts der belasteten Geschichte der Zeit in der sowjetischen Besatzungszone und auch dem, was wir Deutschen ihnen vorher angetan haben, war das zu Herzen gehend. Und von daher kann ich das gut verstehen, dass nicht nur ich, sondern viele dachten, in Europa haben wir das Problem des Krieges jetzt überstanden. Wir wissen heute sehr viel genauer, wir haben es nicht getan. Auch Europa ist kein paradiesischer Ort, zumindest militärisch und politisch nicht, außerhalb dieser Welt, sondern er wird sich auch, der Kontinent Europa, weiterhin den Problemen auf unserer Welt stellen können. Und das Verhältnis zwischen Deutschland und Russland ist gegenwärtig verbesserungswürdig und aber auch nötig, wieder verbessert zu werden.
Reise zu den Nachbarn
Welty: Was hätten Sie als DDR-Verteidigungsminister gerne noch gemacht? Wozu sind Sie nicht mehr gekommen?
Eppelmann: Ich wäre gerne mit meinem Kollegen Stoltenberg, als die Diskussion aufflammte, um Gottes Willen, Deutschland dann ja auch militärisch wiedervereinigt, das ist nicht gut, wäre ich gerne zu all unseren Nachbarn gefahren und hätte gemeinsam mit ihm gesagt, ihr könnt euch darauf verlassen, wir haben unsere Lektionen gelernt. Er fand die Idee schön, hat aber gesagt, leider können wir das nicht zusammen machen, das lässt sich Hans-Dietrich Genscher nicht nehmen!
Welty: Der damalige Außenminister. Kann man ja auch irgendwo verstehen. Nichtsdestotrotz, Minister für Abrüstung und Verteidigung und auch Botschafter für die Völkerverständigung, Rainer Eppelmann, zu Gast in "Studio 9", und gemeinsam erinnerten wir uns an die Nacht, in der die DDR-Volkskammer den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik beschließt. Ich danke sehr für dieses Gespräch, das wir aufgezeichnet haben. Danke!
Eppelmann: Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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